Das schweigende Klassenzimmer

Das schweigende Klassenzimmer

Abiturienten geraten für ihre Solidarität mit den Opfern des Ungarn-Aufstandes 1956 in die politischen Mühlen der noch jungen DDR.

26.02.2018

Von Madeleine Wegner

Was ist hier los? Der Geschichtslehrer steht vor seiner Klasse, keiner der Schüler beantwortet seine Fragen. In der Klasse herrscht Schweigen. Einer der Schüler beginnt verstohlen zu grinsen. Doch selbst als der Lehrer wütend auf den Tisch schlägt, erntet er nur eines: Stille. Bis es nach schier endlosen Minuten aus einem herausplatzt, der den Lehrer nicht länger verärgern will. Er erklärt: „Das ist ein Zeichen des Protests.“

Es ist das Jahr 1956, die DDR ist noch jung, ebenso sind es die Protestierenden. Die Schüler stehen kurz vor dem Abitur. Aus dem Westen erfahren sie, dass die Russen in Budapest den Aufstand blutig niederschlagen. Sie beschließen kurzerhand, eine Schweigeminute für die Opfer des Ungarn-Aufstands einzulegen – in den Augen der Parteigenossen ist das ein „konterrevolutionärer Protest“. Den Schülern droht der Ausschluss vom Abitur. Das alles beruht auf wahren Begebenheiten.

Filmemacher Lars Kraume, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist, hatte sich bereits in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ mit den Entwicklungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Nun wirft er mit „Das schweigende Klassenzimmer“ einen Blick auf die andere Seite der Mauer. Als Grundlage nutzt er das gleichnamige Buch von Dieter Garstka. Dieser war Teil der Protest-Klasse 1956 und floh aus dem Städtchen Storkow bei Berlin, um sein Abitur im Westen zu machen. Kraume hat die Geschichte noch weiter gen Osten verlegt, an die polnische Grenze, nach „Stalinstadt“, „die erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden“, die Mitte der 50er-Jahre so rasant gewachsen war. Die Entscheidung, die Handlung in das heutige Eisenhüttenstadt zu verlegen, war vor allem eine Frage der Kulisse: Hier gibt es noch die entsprechenden Baudenkmäler.

Ein Problem des Films ist, dass viele Handlungsstränge und Hintergründe konstruiert sind, vor allem die der Väter. Die weitgehend als grenzdebile graue Mäuschen dargestellten Mütter schweigen übrigens – allerdings aus anderen Gründen als ihre Söhne. Schier unerträglich ist die Filmmusik, die vor allem eines erreicht: Sie macht den Film noch plakativer, als er es ohnehin schon ist.

Wie in dem DDR-Apparat Propaganda und Manipulation eingesetzt werden, das wiederum zeigt der Film. Die Funktionsträger, die den Jugendlichen das Leben schwer machen, sind dabei nicht holzschnittartig dargestellt. Sie glauben an dieses System, aus ganz persönlichen Erfahrungen heraus – einer kann es als Arbeiter-Sohn endlich zu was bringen im Leben, dem anderen hätte im Krieg ein Nazi fast das Leben genommen. Und die nächste Generation? Die sucht nach Wahrheit, ringt mit dem Richtig und dem Falsch – in einem Regime, das seinen Bürgern diese Entscheidungsfreiheit überhaupt nicht zugesteht. Warum sich die Jugendlichen für den – letztlich so gefährlichen – Protest entscheiden, was sie antreibt, und woher sie diese enorme Kraft und den Mut nehmen, das beantwortet der Film bis zum Schluss nicht. Ganz einmalig war die Protest-Aktion übrigens nicht. Eine Leipziger Klasse schwieg ebenfalls. Ihr „Rädelsführer“ bekam dafür zehn Jahre Zuchthaus.

Viele Details der wahren Geschichte sind konstruiert. Dadurch wird der – ohnehin äußerst plakative – Film unglaubwürdig.