Stadtentwicklung: Cord Soehlke tritt wieder an

Der Baubürgermeister über seine Kandidatur, Wohnungspolitik und wo er Tübingen 2026 sieht

„Ja, ich bleibe in Tübingen“, sagt Cord Soehlke, „wenn ich wieder gewählt werde.“ Noch genau ein Jahr läuft die erste Amtszeit von Tübingens Baubürgermeister – dann sind die acht Jahre rum.

01.04.2017

Von Volker Rekittke

Tübingen wächst, aber nicht unbegrenzt, so Cord Soehlke: „Wir werden die 100000 nicht erreichen.“ Bild: Faden

Tübingen wächst, aber nicht unbegrenzt, so Cord Soehlke: „Wir werden die 100000 nicht erreichen.“ Bild: Faden

Es war keine einfache Entscheidung für ihn, gibt Soehlke (48) unumwunden zu: „Das ist kein ‚Weiter so‘ mangels Alternativen.“ Es habe durchaus „richtig interessante Angebote“ aus einigen Städten gegeben, sogar die Stockholmer klopften mal an.

Und was ist so attraktiv an Tübingen? „Das politische Klima, die offene Diskussionskultur, die Art des Arbeitens, …“, fängt Soehlke in der TAGBLATT-Redaktion an aufzuzählen. Dann die „sehr angenehme“ Zusammenarbeit mit OB Boris Palmer und der Ersten Bürgermeisterin Christine Arbogast – obschon er mit beiden in der Sache oft hart diskutiert. Und: „Man kann hier Dinge machen, die gehen anderswo nicht.“ Jedenfalls nicht so einfach. „Straßen sind in Tübingen nicht nur Orte, wo Autos fahren.“ Hier halten sich auch Menschen auf, wird flaniert und geradelt und Eis gegessen.

Außerdem gibt es Baugruppen, das kleinteilige Planen und Bauen, die Weiterentwicklung von Andreas Feldtkellers „Stadt der kurzen Wege“. Also all das, was längst „Tübinger Modell“ genannt wird und was mittlerweile bundes-, ja europaweit auf großes Interesse stößt. Unzählige Räte und Verwaltungsleute aus ganz Deutschland und bestimmt zehn europäischen Ländern führte Soehlke in den vergangenen Jahren durch Tübingen, oder er reiste selbst zu Vorträgen. Sein Credo: „Man kann Stadtplanung auch anders machen, die Stadt kann aktiv gestalten.“ Wie in Tübingen zuletzt beim Güterbahnhof, wo bevorzugt Baugruppen zum Zuge kamen, die auf soziale Mischung achtgaben. In anderen Städten können potente „Rechtsanwalts-Baugemeinschaften“, wie Soehlke sie flapsig nennt, durchaus zur „Gentrifizierung“ samt explodierender Mieten und Immobilienpreise führen, sind also eher Teil des Problems und nicht der Lösung.

Und nicht zuletzt: „Das ist meine Heimat. Ich bin ja kein Söldner, der dahin geht, wo am meisten gezahlt wird.“ Seit 20 Jahren ist Soehlke in Tübingen, hier ist seine Tochter geboren, hier lebt er im Französischen Viertel mit Frau und Kind.

Tübingen boomt, die Stadt entwickelt sich. Klinikum und Uni wachsen – im Tal und auf dem Berg. Bei der Morgenstelle sei gerade „noch Platz für zehn, zwölf Jahre“. Und dann? „Das diskutieren wir gerade mit der Universität.“ Die Tübinger Dynamik freut Soehlke. Sie ist aber auch eine Herausforderung. Gerade weil in Tübingen so viel geht bei Wissenschaft und Medizin, auf den Arbeits- und Immobilienmärkten, wird es für immer mehr Menschen schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. „Fairer Wohnen“ heißt folgerichtig das Programm, das der Baubürgermeister dem Gemeinderat am Montag vorstellen wird. Kernpunkte: ein aktives kommunales Boden- und Baulandmanagement samt Erbpacht und Aufkauf von Entwicklungsflächen, eine Quote für Sozialwohnungen bei neuen Baugebieten, Unterstützung von Genossenschaften und Projekten wie dem Mietshäuser Syndikat.

Sollte Soehlke in einem Jahr vom Tübinger Gemeinderat für eine zweite Amtszeit von acht Jahren gewählt werden, würde die 2026 enden. Wo sieht er Tübingen zu diesem Zeitpunkt? „Der Europaplatz ist fertig, der Anlagenpark gerichtet.“ Der Neckar zwischen Stauwehr und Ruderverein renaturiert, die Tal-Planungen der Uni sind etwa zur Hälfte umgesetzt. Alle Brachen, auch das Hechinger Eck, sind bebaut. Bleibt der Saiben als letzte große Entwicklungsfläche. „Frühestens 2023 wird es da eine Planung geben.“ Tübingen wächst, aber mangels Flächen nicht unbegrenzt: „Wir werden die 100000 nicht erreichen“, sagt Soehlke – der sehr dafür ist, „nicht nur auf Quantität, sondern auch auf Qualität zu achten“. Galgenberg, Ammertal und Waldhäuser West sind für ihn tabu. „Wir haben Grenzen des Wachstums. Unsere Wohnraumpolitik muss regionaler werden.“

„Es ist toll, in so dynamischen Zeiten mit dabei zu sein“, sagt Soehlke. Doch bei all den spannenden Projekten und Plänen in der „Schwarmstadt“ Tübingen ist Soehlke ein Punkt dann doch wichtig: Die Arbeitsbelastung vieler Mitarbeiter/innen im Technischen Rathaus ist teils sehr hoch und macht dem Chef der Bauverwaltung regelrecht Sorgen. Hausintern wurden Prozesse bereits überdacht und gestrafft, die Bearbeitungszeiten für Baugesuche wurde halbiert. Doch ständig kommt neue Arbeit obendrauf. 80 Bebauungsplan-Verfahren haben Soehlke und sein Team aktuell in der Pipeline. Deshalb ist für ihn klar: „Wir müssen noch mehr Prioritäten setzen. Wir können nicht alles schaffen.“

Die Gesundheit der Kollegen, und auch seine eigene, der Spaß am Arbeiten – auch das ist wichtig. Zeit ist wichtig. Nicht zuletzt, damit Projekte wohlüberlegt und sicher geplant und gebaut werden können. Und schließlich: Selbst wenn die Bauverwaltung immer noch mehr Projekte be- und abarbeitet – fertig wird sie ohnehin nie. „Das will ich auch gar nicht“, sagt Soehlke. Eine Stadt verändert sich schließlich immer weiter.

Soehlke zur Regionalstadtbahn: Bürgerbeteiligung startet noch in diesem Jahr

Noch nicht 2026, sondern wohl eher in den 2030er Jahren wird die Regionalstadtbahn durch Tübingen fahren – wenn sie denn jemals fährt. Keine Frage: Die Einpendlerströme ins boomende Tübingen nehmen zu, neue Verkehrskonzepte jenseits von Autos mit Verbrennungsmotor sind gefragt. „Ich sehe die positiven Aspekte der Regionalstadtbahn, bin aber bei manchen Punkten durchaus skeptisch“, sagt Baubürgermeister Cord Soehlke. Bei der Innenstadtstrecke etwa sieht er „Zielkonflikte“ – und das nicht nur in der Mühlstraße, wo die Regiobahn um den begrenzten Raum mit Bussen und Radfahrern konkurrieren würde. Klar ist für ihn: „Die Regionalstadtbahn kann nur wirtschaftlich erfolgreich sein, wenn der Landkreis sich finanziell beteiligt.“

Jetzt sei der Zeitpunkt, die Pro- und Contra-Argumente gegeneinander zu stellen und in die Diskussion einzusteigen. Noch in diesem Jahr, vermutlich nach den Sommerferien, soll in Tübingen die Bürgerbeteiligung beginnen – samt umfangreicher Information zu den Themen Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn und Mobilitätskonzepte der Zukunft.