Sicherheit

Super Recogniser: Der Blick für das Gesicht

Bis zu zwei Prozent der Menschen haben die Gabe, sich herausragend gut Gesichter merken zu können. Sie sind Super Recogniser. Immer mehr Polizeibehörden machen sich diese Fähigkeit bei der Fahndung nach Verdächtigen zunutze.

21.09.2021

Von DOMINIK GUGGEMOS

Ein Online-Test zur Erkennung von „Super-Recogniser“-Fähigkeiten. Foto: Sven Hoppe/dpa

Ein Online-Test zur Erkennung von „Super-Recogniser“-Fähigkeiten. Foto: Sven Hoppe/dpa

Berlin. Das Gesicht kommt mir so bekannt vor. Kenne ich diese Person?“ Die meisten Menschen dürften sich diese Frage schon einmal gestellt haben – und oft keine Antwort darauf finden. Das passiert Michael Aschenbrenner nicht, denn der 32-Jährige vergisst kein Gesicht. Lange war dem Polizisten gar nicht bewusst, dass er damit eine seltene Gabe besitzt. Erst, als er einen Test der britischen University of Greenwich erfolgreich absolvierte, wurde ihm klar, dass all die Erinnerungen an tausende Gesichter außergewöhnlich sind. Nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung sind sogenannte Super Recogniser, die meisten von ihnen wissen nichts davon. Seit 2019 setzt er diese Fähigkeiten beruflich ein – und überführt damit Verbrecher.

Aschenbrenner leitet gemeinsam mit einem Kollegen die Koordinierungsstelle für Super Recogniser der Stuttgarter Polizei. Rund 50 Beamte haben dort nachgewiesenermaßen diese Fähigkeit, werden aber nur hinzugerufen, wenn Aschenbrenner Hilfe benötigt. Die menschliche Gesichtsdatenbank, die bei einer Rundmail mit der Frage: „Kennt jemand von euch diese Person?“ zusammenkommt, sollte man trotzdem nicht unterschätzen. Bekannt wurde die Abteilung durch die Ermittlungen im Anschluss an die Krawallnacht in Stuttgart im Juni 2020 – rund die Hälfte der 140 ermittelten Tatverdächtigen wurden von Super Recognisern identifiziert.

Sich den ganzen Tag Gesichter einzuprägen und diese dann abzugleichen, ist das nicht wahnsinnig anstrengend? Nicht für Aschenbrenner. „In unserem System recherchieren und 2000 Gesichter anschauen, das könnte ich den ganzen Tag machen.“ Ab und zu darf er aber auch mal den Schreibtisch verlassen und draußen arbeiten.

Einmal bekam die Polizei einen Hinweis, dass auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt eine Diebesbande ihr Unwesen treibt. Der Super Recogniser schaute sich im Büro die hinterlegten Bilder der Verdächtigen an und achtete dann auf dem Weihnachtsmarkt darauf, ob es bei ihm „Klick“ macht. Es klickte an diesem Tag nicht, und doch steckt eine Menge Potenzial darin, Polizisten mit diesen Fähigkeiten auch vor Ort einzusetzen, findet Aschenbrenner. „Die Fahndung gehört ja ohnehin zur Polizeiarbeit. Dass in bestimmten Fällen dann Kollegen mit dem besseren Auge den Einsatz unterstützen könnten, haben wir auf dem Schirm.“

In Deutschland werden die polizeilichen Möglichkeiten der Gesichtserkenner noch zurückhaltend eingesetzt. Es gibt allerdings Vorreiter auf Länderebene. Zum Beispiel Baden-Württemberg, wo Innenminister Thomas Strobl sagt: „Super Recogniser werden uns helfen, mehr Kriminelle zu identifizieren.“ Im Südwesten kann sich jeder Polizeischüler auf diese Begabung testen lassen.

Auch das Polizeipräsidium München setzt schon länger auf die Fähigkeiten besonders begabter Beamter. Ein spezieller Fokus liegt dort auf Tatserien und den entsprechenden Tatverdächtigen. Die Super Recogniser greifen auf bereits vorhandenes Bildmaterial zurück, zum Beispiel auf Fotos am Geldautomaten. „Mit ihrer besonderen Fähigkeit können sie die Fotos mehrerer Taten deutlich einfacher zusammenführen“, sagt ein Münchner Polizeisprecher.

Auch Hessen und Berlin setzen Super Recogniser ein und suchen aktiv nach entsprechenden Personen. Und bundesweit? Bei der Bundespolizei sind sie noch nicht im Einsatz, trotz Aufgaben wie Grenzschutz, bei der Bahn oder der Luftsicherheit – wo man also nicht kreativ sein muss, um mögliche Einsatzbereiche von Super Recognisern zu erkennen. Immerhin, derzeit läuft ein Testverfahren zur Identifizierung der Gesichtserkenner in den Dienststellen der Bundespolizeidirektion Pirna. Über den aktuellen Stand des Projekts wollte die Behörde auf Nachfrage nicht informieren. Aschenbrenner jedenfalls ist optimistisch: „Man spürt, dass das Thema auf bundesweiter Ebene mehr Gehör findet.“

Unterstützung erhalten die Stuttgarter Super Recogniser bei ihren Ermittlungen, sofern es sich um Straftaten handelt, von einer Gesichtserkennungssoftware. Noch sind die Menschen der Maschine aber überlegen: Bis zu 1000 Treffer, wer die Person denn sein könnte, spucke der Computer aus, sagt Aschenbrenner und stellt klar: „Ohne Mensch geht es nicht.“ Der größte Mehrwert der Super Recogniser liegt in der Wiedererkennung von Tätern und der Fahndung nach ihnen. „Wir haben als Zeugen vor Gericht einen gewissen Beweiswert, aber wenn bei der Durchsuchung und Vernehmung nichts rauskommt, muss ein Sachverständiger ran“, sagt Aschenbrenner. Ein forensischer Anthropologe analysiert dann die Foto- und Videoaufnahmen nach wissenschaftlichen Kriterien und kann dem Gericht am Ende wissenschaftlich belegt sagen: Der war es – oder eben nicht.

Im Gespräch mit Freunden wird mittlerweile nicht mehr angezweifelt, ob Aschenbrenner Recht hat, wenn er sagt, dass die Person, die gerade vorbeigelaufen ist, doch ein Bekannter sei. Falsch liegen könnte er schließlich nur bei einem anderen Aspekt: „Mein Namensgedächtnis ist echt nicht gut.“

Michael Aschenbrenner, Super Recogniser des Polizeipräsidiums Stuttgart, betrachtet Fahndungsbilder. Foto: Marijan Murat

Michael Aschenbrenner, Super Recogniser des Polizeipräsidiums Stuttgart, betrachtet Fahndungsbilder. Foto: Marijan Murat