Friedhofstage

Der Kletterer im Ruhewald

Da ein Ruhewald auch ein Friedhof ist, herrschen hier andere Bestimmungen für die Sicherheit – und diese sind zeit- und kostenintensiv.

12.10.2018

Von Dagmar Stepper

Reinhard Schulze schwingt sich von Ast zu Ast. Der Baumkletterer sägt tote Äste ab, damit sie keinen Schaden anrichten können.  Bilder: Kuball

Reinhard Schulze schwingt sich von Ast zu Ast. Der Baumkletterer sägt tote Äste ab, damit sie keinen Schaden anrichten können. Bilder: Kuball

Das Laub streicht leise raschelnd um die Füße, die Sonne blitzt durchs Blätterdach. Die Laubbäume strahlen in bunten Herbsttönen, die Nadelbäume in sattem Grün. Die Luft riecht und schmeckt satt nach Wald, den Besucher erfülle eine idyllische Ruhe. Es könnte ein Herbsttag in einem ganz normalen Wald sein, doch wir befinden uns etwas außerhalb von Nordstetten im Ruhewald .

2016 wurde der Naturfriedhof für Urnenbestattungen eingeweiht und für einen Friedhof gelten andere Bestimmungen als für einen Wald. Die Sicherheit spielt eine gewichtige Rolle, die Pflege ist viel aufwändiger. „Wir wollen ja nicht, dass bei einer Beerdigung Trauergäste durch Äste verletzt werden“, sagt Anja Schneider, die bei der Stadt Horb für die Friedhöfe verantwortlich ist. Daher hat sie im Rahmen der Horber Friedhofstage zu einer speziellen Führung in den Ruhewald eingeladen.

„Viele wundern sich über den Preis der Bestattungen, er scheint ihnen zu hoch“, berichtet Schneider. Wer im Voraus einen Platz frei wählen will, zahlt 830 Euro. Zum Vergleich: Auf einem städtischen Friedhof kostet ein Urnenwahlgrab 1200 Euro, ein Reihengrab 1420 Euro. „Aber es ist aufwändig, den Wald zu unterhalten“, erklärt Schneider. Sie möchte zeigen, was die Stadt für den Unterhalt alles macht. Daher wartet auf einem Weg im Ruhewald ein Hubsteiger des städtischen Bauhofs.

Bis zu 22 Meter kann sein Arm ausgefahren werden. Im Korb steht der Nordstetter Reinhard Schulze (45). Hauptberuflich arbeitet er für der Berufsfeuerwehr des Mercedes-Benz-Werks in Sindelfingen, nebenbei ist er als Baumkletterer tätig. Schulze drückt auf einen Knopf, und der Korb gleitet nach oben. Als er voll ausgefahren ist, schwebt er über den Wipfeln des Ruhewalds. Der Nordstetter Wasserturm ist zum Greifen nah.

Schulze lacht, die Höhe macht ihm nichts aus. Er zeigt auf die Bäume: Von oben erkennt er, ob ein Baum gesund ist oder nicht, ob er morsche Äste hat, Totholz, das entfernt werden muss, bevor es zum Sicherheitsrisiko wird.

Manche Arbeiten kann Schulze mit dem Hubsteiger erledigen. Doch es gibt Grenzen: Nicht immer kommt er dicht genug ran, um die Säge richtig einzusetzen. Dazu kommt das Gewicht: Der Korb trägt nicht mehr als 200 Kilogramm befinden. Schulze kann also nicht viel Totholz im Korb transportieren. Daher klettert Schulze meist selbst in die Bäume. „Überall, wo es schwierig wird, wird er eingesetzt. Man kann sich auf ihn verlassen“, sagt Schneider.

Schulze nimmt einen Wurfsack in die Hand, an den ein schmales Seil geknotet ist, und schleudert ihn über einen Ast. An dem schmalen Seil kann er nun sein eigentliches Kletterseil nach oben ziehen. Um seine Hüften hängt ein Gurt mit Werkzeugen. Schulze prüft das Seil, dann klettert er nach oben. Es ist ein schweißtreibender Akt – und nicht ungefährlich. Unten wird Schulze von einem zweiten Mann gesichert. „Man darf nie allein in den Baum“, sagt er. Bis zu 28 Meter sind die Bäume im Friedwald hoch, Schulze steigt aber auch auf höhere Bäume, wie beispielsweise beim Jüdischen Friedhof in Nordstetten.

Von unten ist Schulze bald nur noch als orangeroter Punkt im Blätterwald auszumachen. Er packt seine Säge, ein abgestorbener Ast fällt auf den Boden. Er klettert höher, ein weiter Ast stürzt krachend herunter. Bis zu vier Stunden ist Schulze in den Seilen, er vespert auch manchmal in luftiger Höhe. „Man muss schon ein wenig eine an der Klatsche haben, um so was zu machen“, sagt er und grinst. In einem normalen Wald würde mal einen solchen Aufwand nicht betreiben, da kann ein toter Ast bei einem Sturm einfach mal zu Boden gehen – auf einem Friedhof aber nicht.

Der Ruhewald ist als Bestattungsort beliebt. Vom ersten Feld sind bereits 400 Plätze von insgesamt 840 vergeben. Manche sind belegt, davon künden Schilder mit den Namen der Verstorbenen. Auch Grabschmuck findet sich unter den Bäumen: ein Nest mit Moos, Steinen, Blumen oder Zapfen. „Alles, was im Wald natürlich vorkommt, kann als Dekoration dienen“, erklärt Schneider.

Gerade wird ein zweites Feld als Bestattungsort vorbereitet, die Bäume werden per GPS vermessen. „Wir haben nur noch acht Familien- und Freundschaftsbäume“, sagt Schneider, daher die Erweiterung. Wenn die ersten Plätze hier vergeben werden, wird auch Schulzes Arbeit mehr. Denn ohne Belegung gelten nicht die verschärften Sicherheitsbestimmungen. Wird ein weiteres Feld als Friedhof ausgewiesen, dann schon. Daher muss Schulze sich bald um mehr Bäume kümmern.

Monika Weiß wird ebenfalls mehr zu tun bekommen. Die Gärtnerin arbeitet als 450-Euro-Kraft im Ruhewald. Sie harkt die Wege, entfernt Zweige und Brombeerranken. Wo die Gräber sind, ist es ein aufgeräumter Wald – ein Ort zum Trauern, zum Nachdenken, aber auch zum Krafttanken in einer idyllischen Ruhe an einem sonnigen Herbsttag.

Friedhofsverwalterin Anja Schneider (links) und Mitarbeiterin Monika Weiß zeigen beim Rundgang, wie aufwändig die Pflege im Ruhewald ist.

Friedhofsverwalterin Anja Schneider (links) und Mitarbeiterin Monika Weiß zeigen beim Rundgang, wie aufwändig die Pflege im Ruhewald ist.

Hoch über den Baumwipfeln von Nordstetten: Reinhard Schulze kann auch auf die Technik des Hubsteigers zurückgreifen.

Hoch über den Baumwipfeln von Nordstetten: Reinhard Schulze kann auch auf die Technik des Hubsteigers zurückgreifen.

Horber Friedhofstage

Noch bis zum 19. November gehen die Horber Friedhofstage 2018. Unter dem Motto „Erinnerung leben“ können Besucher bekannte Orte neu kennenlernen und Betroffene werden weitreichend begleitet. Die Termine am

Wochenende:

Freitag, 12. Oktober

19 Uhr: Ausstellungseröffnung

„Memento Mori“, Rathaus

21 Uhr: Sonderführung

Germanengräber, Stadtmuseum

Samstag, 13. Oktober

18 Uhr: Theateraufführung „Oskar und die Dame in Rosa“, Mensa Realschule

Sonntag, 14. Oktober

14 Uhr: Führung jüdischer Friedhof,
Rexingen

16 Uhr: Rundgang über den Mühringer Ortsfriedhof

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Erstellt:
12.10.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 39sec
zuletzt aktualisiert: 12.10.2018, 01:00 Uhr

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