Literatur

Der Maharadscha und drei Perlen

Der Tübinger Verleger Hubert Klöpfer lud nach Horb: Zum 25-Jahre-Jubiläum lasen gestern drei Autoren – darunter Lyrik-Preisträger Walle Sayer.

12.12.2016

Von Michael Zerhusen

Die „Horber Literaturgemeinde“ fast vollzählig versammelt, dazu Gäste von weither: Verleger Hubert Klöpfer kann sich auf „seine“ Leserinnen und Leser verlassen. Bilder: Kuball

Die „Horber Literaturgemeinde“ fast vollzählig versammelt, dazu Gäste von weither: Verleger Hubert Klöpfer kann sich auf „seine“ Leserinnen und Leser verlassen. Bilder: Kuball

Hubert Klöpfer selbst, Gratulation, ist vor einem knappen Monat 65 geworden. Fünf Jahre zuvor hat ihn die Stuttgarter Professorin Bärbel Renner (in einer Festschrift zu seinem 60. Geburtstag) als „Neckar-Maharadscha“ bezeichnet. Was etwas despektierlich anmutet, erinnert an den Schriftsteller Peter Bamm: „Ein Verleger – das war für uns so etwas wie ein Maharadscha, der Perlen und Diamanten verschenkt.“

Der Verlag, mit dem Klöpfer literarische Preziosen verteilt (wenn auch nicht verschenkt), ist inzwischen fast auf den Tag genau 25 Jahre alt (siehe „Es lebe das Bibliotop!“). Das war der Anlass, dass Klöpfer drei „seiner“ Autoren ins Horber Kloster mitbrachte, am gestrigen Sonntag zu einer Matinee, die erwartungsgemäß den Theatersaal mit Literaturfreunden füllte – trotz Blitzeis auf den Straßen. Um genau zu sein: „Mitgebracht“ hatte Klöpfer nur zwei, Silke Knäpper aus Neu-Ulm und den Schweizer Markus Bundi. Für den Dritten im Bunde ist der Altbau sozusagen Heimat: zum einen, weil Walle Sayer dort als Ruhmesblatt der Region häufig seine jüngsten Arbeiten präsentiert, zum anderen, weil er beim regelmäßigen Einsatz in der Klostergaststätte seine Einkünfte aufbessert. Nicht dass man gleich an Spitzwegs „armen Poeten“ denken müsste, aber der finanzielle Segen, den er jetzt erwarten darf, wird dem Familienvater willkommen sein: Er erhält Ende Januar den mit 10 000 Franken dotierten Basler Lyrikpreis (wir berichteten).

Walle Sayer, so die Jury, „gelingt mit seinem bedachten Schreiben, dem ungekünstelten Blick auf das Einfache, eine Weltbetrachtung, die den Menschen hinter den Dingen hervortreten lässt“ und die Leserschaft „mit ebenso reduzierten wie intensiven Fein- und Feinstarbeiten besticht“. Für dieses Urteil erbrachte Walle Sayer gestern gleich den Beweis, als er aus vier Gedichtbänden – selbstverständlich alle bei Klöpfer & Meyer erschienen – vorlas: „Irrläufer“ (2000), „Von der Beschaffenheit des Staunens“ (2002), „Den Tag zu den Tagen“ (2006) und „Strohhalm, Stützbalken“ (2013).

In der aktuellen Ausgabe der Schweizer Literaturzeitschrift „Orte“ vermutet Sayer, was ihn, den Nachfahren von Tagelöhnern und Nebenerwerbslandwirten, zur Dichtkunst gebracht haben könnte: „Mit so einem kleinbäuerlichen Hintergrund wird man wahrscheinlich eher kein Großschriftsteller, wird man wohl nie weite Romanfelder bewirtschaften, sondern bleibt beim Nutzgarten, dem Krautland der Poesie.“ Das rede er sich zumindest ein und, ja, ein wenig kokettiere er auch damit.

Silke Knäpper, in Ulm geboren, kehrte 2001 nach Lehraufenthalten in Saint-Cloud bei Paris und in London nach Neu-Ulm zurück, wo sie heute als Lehrerin an einem Gymnasium unterrichtet. Im Horber Kloster las sie aus ihrem Roman „Hofkind“: vom Besuch der Ich-Erzählerin Karla bei Großmutter Erna und von der Hand des Stiefvaters Hajo auf ihrem Knie. „Ein doppelbödiger Familienroman, die schmerzhaft-tragische Geschichte einer Lieblosigkeit – und der unsentimentalen, wunderbaren Befreiung daraus“, fand Schriftstellerkollege Peter Renz, „ein mutiges und ermutigendes Buch.“

Markus Bundi, der in Neuenhof in der Schweiz lebt, hat sich einen Namen als Lyriker und Autor von Kurzprosa gemacht und reüssiert jetzt mit dem Roman „Mann ohne Pflichten“. Er liebt es eher skurril: Seinem Protagonisten Peter Meander – nomen est omen – fehlt es an Orientierung, stattdessen versucht er, meist erfolglos, der Kunst des Lebens auf die Spur zu kommen. Der letzte Eintrag in seinem Journal befasst sich mit einem Reiterstandbild, das „sich in seiner Legierung nicht mehr wohl fühlt“ und während Bauarbeiten am benachbarten Dom seinen Freund, den kleinen Zeiger an der Turmuhr, vermisst.

Die rund 80 Besucher der andert halbstündigen „Leistungsschau“ (so Klöpfer) bedachten die Vorleser mit brausendem Beifall und nahmen hernach auch einiges vom Büchertisch mit – mehrheitlich dem Verlegerwunsche folgend: „nach Möglichkeit gegen Bezahlung“.

Der „Dienstälteste“ im Verlag: Walle Sayer, der hier aus seinem Gedichtband „Von der Beschaffenheit des Staunens“ liest.

Der „Dienstälteste“ im Verlag: Walle Sayer, der hier aus seinem Gedichtband „Von der Beschaffenheit des Staunens“ liest.

Es lebe das Bibliotop!

„Schon damals gefiel mir die Entschiedenheit, allen Anfeindungen, juristischen Drohungen und finanziellen Risiken zum Trotz dieses Buch herauszubringen“, erinnert sich Heiner Riethmüller, Vorsteher des Deutschen Börsenvereins, an die Veröffentlichung von „Monrepos oder Die Kälte der Macht“. Denn der Roman des in Empfingen lebenden Ex-Regierungssprechers Manfred Zach – gestern als Zuhörer im Kloster – löste 1996 viel Aufregung in Stuttgarter Politikerkreisen aus. Gleichwohl gab‘s im selben Jahr den baden-württembergischen Landespreis für literarisch ambitionierte Verlage.

Fünf Jahre zuvor, am 19. Dezember 1991, war Klöpfer & Meyer als „Verlag für Schöne Literatur, Sachbuch und Essayistik“ in Tübingen gegründet worden, von Hubert Klöpfer, Klaus Meyer und einigen engagierten Compagnons. Die nachfolgende Arbeit erwies sich bisweilen als schwierig, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht: Die Geldverlegenheit, schrieb Hermann Bausinger vor Jahren, sei „als Bedrohung immer, als Realität jedenfalls hin und wieder gegenwärtig“. Hubert Klöpfer wurde gestern noch deutlicher: „Ich weiß aus Erfahrung, was Krise und Existenzangst heißt.“

Bis dato freilich wurde noch jede Misere überwunden. Das Büchermachen sei zwar nurmehr eine Art begrenzter Lebensraum, aber immerhin: „Es lebe das Bibliotop!“ Man sei in den 25 Jahren „gehörig politisch“ gewesen, aber auch altmodisch, was die Ausstattung der Bücher angeht. Und von Anfang an habe man nicht bloß aufs Gängige gesetzt, sondern „das Besondere, die Entdeckung, die Überraschung gesucht“. Als Carl Herzog von Württemberg im Sommer 2011 Hubert Klöpfer mit dem Ludwig-Uhland-Förderpreis auszeichnete, erklärte er: „Die Kultur unseres Landes kann nicht nur in die Breite wirken, sie muss auch in die Tiefe gehen.“

Dazu trägt längst ein beachtliches Autoren-Aufgebot bei: Mehr als 160 Namen nennt der Verlag, dieser habe „der Literatur des Südens ein Gesicht gegeben“, schwärmte vor Kurzem die Stuttgarter Zeitung. „Kulturpapst“ Bausinger und Bühnenautor Joachim Zelter gehören ebenso zum Autorenstamm wie Drehbuchautor Felix Huby, Hörfunk-Journalist Thomas Vogel und der frühere „Tagblatt“-Redakteur Kurt Oesterle.

Aber auch die Lyrik, so das „Literaturblatt für Baden-Württemberg“, spielte „von Anfang an eine gewichtige Rolle im Verlag“: etwa mit Eva Christina Zeller (gestern ebenfalls in Horb) und mit Walle Sayer, der seit 1997 sieben neue Bücher veröffentlicht hat und damit, so Klöpfer, „der dienstälteste Autor des Verlags“ ist.