Ins Herz getroffen · Das Ende des Hechinger Mordprozesses

Der Mord an dem jungen Umut K.: Das Landgericht verurteilte die Haupttäter zu hohen Haftstrafen

Hechingen ist traumatisiert seit dem 1. Dezember vergangenen Jahres, die Diagnose ist nicht übertrieben.

19.10.2017

Von Eike Freese

„Umut-Platz“ nennen die Freunde des verstorbenen Bisingers Umut K. das Plätzchen an der Hechinger Staig, wo der 22-Jährige an einem Pistolenschuss ins Herz starb. Noch immer dekorieren Angehörige die Fläche unter den Bäumen mit Bildern und Kerzen. Bild: Freese

„Umut-Platz“ nennen die Freunde des verstorbenen Bisingers Umut K. das Plätzchen an der Hechinger Staig, wo der 22-Jährige an einem Pistolenschuss ins Herz starb. Noch immer dekorieren Angehörige die Fläche unter den Bäumen mit Bildern und Kerzen. Bild: Freese

Als vor gut zehn Monaten der junge Deutschkurde Umut K. – weit vor Ladenschluss, mitten in der Stadt, auf offener Straße – über den Haufen geschossen wurde, aus einem fahrenden Auto heraus, hat sich in der Wahrnehmung der Stadt etwas verschoben. Damals brach eine Realität in die verwinkelten Gassen, die man hier zuvor niemals erwartet hatte. „In dieser beschaulichen und friedlichen Stadt“, wie Richter Hannes Breucker es gestern formulierte. Breucker, Vizepräsident des Landgerichts Hechingen, brachte da mit seinem Urteil einen Prozess zuende, der in dieser Form in der Stadt seinesgleichen sucht.

Gestern Morgen, 10.15 Uhr: Zwischen Publikum und Amtsträger im großen Saal des Landgerichts schiebt sich eine geschlossene Phalanx von Bereitschaftspolizisten mit Schutzwesten und MPs. Die Sicherheitsvorkehrungen waren auch zuvor schon hoch, doch zur Urteilsverkündung rechnet das Gericht mit allem. Die Gruppen von Opfer und Angeklagten hatten sich auch zuvor schon angefeindet, am Rande der 15 abgeschlossenen Verhandlungstage. Heute sind im Saal fast nur Freunde des erschossenen Umut K.: rund 30 junge Leute, alle in schwarz, viele mit T-Shirts, die ein Foto des beliebten Mannes zeigen. Es bleibt friedlich.

Lebenslang für den ersten Haupttäter, einen 22-jährigen aus dem Zollernalbkreis: Er soll vom Beifahrersitz des roten Fiat Punto geschossen haben. Hatte er Umuts Freund, einen 25-jährigen Mössinger, treffen wollen? Zweitrangig. Den Tod eines der beiden hat er mit seinem Schuss aus fünf Metern inkauf genommen. Der Mord war geplant und vollstreckt, um Druck auf ein zahlungsunwilliges Grüppchen von Jungdealern zu machen – und um Drogengeld in Höhe von lächerlichen 5000 Euro zurückzubekommen. „Unsere schärfste Sanktion ist die lebenslange Strafe“, sagt Breucker mehr in Richtung Publikum als in Richtung der Angeklagten: „nachdem in Deutschland ja keine Todesstrafe existiert.“

Für den 21-jährigen Fahrer des Fiat, Italiener wie der Todesschütze, gibt es auch wegen gutachterlich bestätigter Unreife Jugendarrest: neun Jahre. Er war unverzichtbarer Mittäter, so sieht es das Gericht. Als Umut K. um 18.05 Uhr nach einem Schuss mitten ins Herz zusammenbricht, drückt der Jüngere aufs Gaspedal und rast mit dem Fiat nach Hause, ins Killertal, ausgerechnet.

Der dritte Angeklagte, älter als die anderen, bekommt drei Jahre und neun Monate. Er saß nicht im Auto – und nach Ansicht des Gerichts ist es das, was ihn vor einem Tötungsurteil bewahrte. Stattdessen habe der 37-Jährige im Hintergrund Fäden gezogen, war Lieferant der Drogen und machte Druck auf die jungen Dealer.

Sein Spitzname: „Catania“. Er stammt aus Catania in Sizilien, die italienische Polizei hatte ihn nach Recherchen des Journalisten und Mafia-Fachmanns Sandro Mattioli auf der Liste – doch ein Haftbefehl vor zwei Jahren wurde von deutschen Behörden nicht anerkannt. „Für Mafia-Zugehörigkeit gibt es keine Anhaltspunkte“ befindet Breucker. Das Gericht hat nun drei Drogentaten von „Catania“ auf zusammen dreieinviertel Jahre eingedampft, unter anderem, weil der vorgebliche Olivenhändler nicht vorbestraft gewesen sei.

Vier Dolmetscher fangen gleichzeitig an zu reden, als das Strafmaß verkündet wird. In den Augen der Verurteilten sammeln sich schnell die Tränen. Der Todesschütze, nachlässig gekleidet, wirkt irritiert von den Richterworten. Der junge Fahrer, sehr geschniegelt im Hemd, verliert weinend die Fassung. „Catania“ hat sich bald wieder im Griff. Alle drei schweigen.

Auch der Vater des Opfers ist berührt. Während ihm eine Stunde lang das Urteil simultan übersetzt wird, hört er mit gesenktem Kopf zu. Das Gericht gibt sich sichtlich Mühe, die Würde des getöteten Sohnes zu betonen, sein gesellschaftliches Engagement und seinen Wert für den Freundeskreis. „Aus Respekt“, so Richter Breucker, wolle er Umut K.s faszinierte Nähe zur Nachwuchs-Dealerei heute nicht überbetonen.

Die Freunde von Umut K. verfolgen den Vormittag schweigend. Was an den Tagen zuvor bisweilen bedrohlich wirkte, eine geschlossene Wand aus schwarzgekleideten Männern und Frauen in „Umut“-T-Shirts, gilt jetzt nur noch als Zeichen der Solidarität. Nach dem Urteil zestreuen sie sich erst spät am Mittag. Der Richterspruch geht für viele hier in Ordnung, mehr nicht. Die Verteidiger der Verurteilten hatten in ihren Plädoyers lupenreine Freisprüche gefordert.

Von der Tat bis zum Urteil

Herbst 2016: Zwei junge Italiener, die späteren Hauptangeklagten, kaufen von einem 37-jährigen Landsmann aus Hechingen mindestens ein Kilo Gras. Die Drogen im Wert von 5000 Euro geben sie auf Kommission an zwei Jung-Dealer aus Mössingen und Hechingen weiter. Geld dafür sehen sie nicht.

21. November: „Ciao G., dieses Geld gehört mir!“ textet der 37-jährige Zulieferer dem Jung-Dealer aus Mössingen, der nicht zahlen will. Der schreibt Freunden: „Die Itaker sind übelst sauer!“

1. Dezember, nachmittags: Die Dealer spüren den säumigen Mössinger in der Hechinger Spielothek „Imperial“ auf. Es gibt Streit. Der 25-Jährige textet um Hilfe – an seinen Freund Umut K., das spätere Opfer: „Komm schnell Impa“ .

1. Dezember, abends: Umut K. sitzt mit dem 25-jährigen Mössinger auf einer Bank an der Hechinger Staig. Die zwei Dealer fahren in einem roten Fiat Punto vor. Einer schießt aus dem offenen Fenster, Umut K. ist sofort tot. Der Freund aus Mössingen bleibt unverletzt.

Anfang Dezember: Die 40-köpfige Soko „Staig“ findet den Fiat. Vernehmungen deuten auf eine Tat im Drogenmilieu. Die Hauptverdächtigen werden festgenommen. Am Tag nach der Tat gedenken Hunderte am Tatort des Opfers.

1. Juni 2017: Der Mordprozess beginnt unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Die Stimmung im Saal ist aufgeheizt. Es kommt zu Streit zwischen Freunden des Toten und der Angeklagten. Dutzende Besucher tragen schwarze Kleidung mit einem Foto des Opfers.

28. Juni: Die Hauptangeklagten, sie sind Cousins, gestehen zwar. Doch beschuldigen sie sich nun gegenseitig, den Schuss abgefeuert zu haben.

27. September: Gutachter legen Schmauchspur-Ergebnisse vor, die den 22-jährigen Beifahrer des roten Fiat stark belasten.

Anfang Oktober: Die Freundin des Opfers, die als Zeugin im Prozess ausgesagt hatte, wird vor ihrer Wohnung von Unbekannten verprügelt. Die Polizei ermittelt noch.

18. Oktober: 56 Zeugen sind verhört, 83 Datenträger sind gescannt, 6 Sachverständige sind angehört worden. Gestern fiel das Urteil: lebenslänglich für den Schützen.

Kaum eine Partei ist mit dem Urteil vollauf zufrieden

Das gestrige Urteil ist noch nicht rechtskräftig, den Beteiligten bleibt derzeit noch das Mittel der Revision. Tatsächlich wollen sowohl die Verteidigung des zu lebenslanger Haft verurteilten Schützen als auch Staatsanwaltschaft und Nebenklage mögliche Mittel zumindest prüfen. Die Verteidiger der Haupttäter hatten Freispruch bei der Frage der Tötung gefordert – weil sie dem jeweils anderen Dealer den Schuss zusprachen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage indes hatten Erwachsenen-Strafrecht und damit lebenslänglich auch beim jüngeren Dealer gefordert. „Jugendstrafe wäre viel zu wenig“ hieß es hingegen gestern vor und nach der Verhandlung recht unisono zum Urteil aus dem Freundeskreis des Opfers.

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Erstellt:
19.10.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 24sec
zuletzt aktualisiert: 19.10.2017, 01:00 Uhr

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