Verbrechen oder Versprechen?

Der Tübinger Filmemacher Marcus Vetter recherchierte einen Justizskandal in den USA

Jens Söring wurde in den USA wegen Mordes zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt. Der Tübinger Filmemacher Marcus Vetter recherchierte einen Justizskandal.

18.10.2016

Von Ulla Steuernagel

Markus Vetter wurde bekannt mit den Filmen „Mein Vater der Türke“ und „Herz von Jenin“.Bild: Metz

Markus Vetter wurde bekannt mit den Filmen „Mein Vater der Türke“ und „Herz von Jenin“.Bild: Metz

In dieser Geschichte gibt es mehr Opfer, als es zunächst scheint. Jens Söring soll im März 1985 die Eltern seiner Freundin in ihrem Haus in Lynchburg bestialisch ermordet haben. Für diese Tat wurde er vom Gericht in Virginia zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt. Ein Urteil, das ihn für den Rest seiner Tage in den Hochsicherheitsknast von Virginia verbannte. Seine Freundin wurde als Komplizin zu „nur“ 90 Jahren Gefängnis verurteilt, damit hat sie nach amerikanischen Recht immerhin die Chance, noch bei Lebzeiten das Gefängnis zu verlassen.

Der Tübinger Dokumentarfilmer Marcus Vetter hat sich der Geschichte von Jens Söring angenommen. Zusammen mit Karin Steinberger. Die „SZ“-Journalistin hält seit zehn Jahren den Kontakt zu dem Diplomatensohn, der in den USA als „German Bastard“ („deutsche Bestie“) gilt. Steinberger recherchierte und begann Ungereimtheiten in der Geschichte aufzudecken. Vetter stieg in die Recherche ein. Drei Jahre arbeiteten die beiden an dem Dokumentarfilm und fanden immer neue Beweise für die Unschuld des Mannes. Mittlerweile haben die im Mordjahr noch nicht verfügbaren DNA-Tests ergeben, dass es keinen Hinweis auf Sörings Anwesenheit am Tatort gibt.

„Das Versprechen“ wurde zu einem spannenden Dokumentarstreifen. Die Filmemacher rollen die „True-Crime“-Story mit Archivmaterial aus beiden Prozessen auf. Sie werten Liebesbriefe des Paares und Gerichtsprotokolle aus. Sie interviewen Zeugen, decken Widersprüche in den Ermittlungen auf, finden einen Profiler, dessen entlastendes Gutachten über Söring spurlos verschwand; sie befragten Anwälte, Journalisten und treffen sich mit den Unterstützern des Inhaftierten. Vetter ist froh, dass die Helfer US-Bürger sind. „Sonst hätte es den Makel: Zwei Deutsche machen einen Film übers ungerechte amerikanische Rechtssystem.“ Als wollten sie einen verurteilten Landsmann reinwaschen und seine Geschichte zum Justizskandal erklären. Dass sich so viele US-Bürger, darunter zwei Staatsanwälte, für Söring starkmachen, bringe den Film „ins Gleichgewicht“.

Die beiden Filmemacher sprachen mit Jens Söring viereinhalb Stunden lang im Gefängnis von Virginia. „Wir hatten dummerweise nur einen Akku für die Kamera dabei“, wundert sich Vetter im Nachhinein über die eigene Sorglosigkeit. Zum Glück habe der Akku dann genau so lange gehalten, wie das Interview dauern durfte. Es war Vetters einzige Begegnung mit dem Verurteilten. Er näherte sich ihm dann auf andere Weise: „Ich habe ihn im Schneideraum kennengelernt.“

Kilometer von Filmmaterial mussten in eine dramaturgisch packende Folge gebracht werden. Heraus kamen eine Langfassung, eine spannende Kinofassung und zwei Serienfassungen für den amerikanischen Markt. Premiere war in München beim Filmfest, und hier schlug der Film gleich ein. „Das macht mich glücklich und unglücklich“, gibt Vetter zu. Glücklich: Jens Sörings und des Filmes wegen. Etwas Bitterkeit mischt sich für Vetter hinein, weil es doch immer die Liebesgeschichten sind, die das Publikum anziehen. Dennoch überwiegt die Freude. Nicht nur die Kulturmagazine, auch die populären Medien stehen Schlange, demnächst wird Vetter bei Stern TV (19. Oktober) und bei Lanz (1. November) zu sehen sein. Im Kino ist er ab 27. Oktober zu sehen.

Viel verspricht sich Vetter davon, dass „Das Versprechen“ mittlerweile vom Vorsitzenden des Bewährungsausschusses in Virginia und auch vom dortigen Gouverneur angeschaut wurde. Auch auf den großen Dokumentarfilm-Festivals in Denver, New York und Amsterdam wird er gezeigt. Und ganz wichtig: „The Promise“ wird als Hauptfilm auf dem Virginia Film Festival zwei Tage vor der US-Präsidentschaftswahl laufen. Möglich, dass sich bald ein Schlupfloch auftut. „Noch ist Jens stark“, sagt Vetter. Erstaunlich genug sei dies für einen Mann, der seit fast 30 Jahren einsitzt und seine Zelle mit Schwerverbrechern teilen muss. Zehn Bücher habe er in der Zeit geschrieben, nicht zuletzt über das Knastsystem, was ihm den Respekt seiner Mitinhaftierten einbrachte. Der Kontakt zu seiner ehemaligen und bisher einzigen Geliebten ist komplett abgebrochen. Und wie es aussieht, scheint sie nicht nur ein Verbrechen an ihren Eltern, sondern auch an Söring begangen zu haben.