Horb · Das Mittwochs-Interview

„Der Verlust war schwer zu ertragen“

Vielseitigkeitsolympiasieger Michael Jung spricht im „Plausch um Sieben“ über die verschobenen Spiele, über seinen Antrieb weiter erfolgreich zu sein und über einen tragischen Todesfall eines Pferdes.

12.08.2020

Von Sascha Eggebrecht und Milos Kuhn

Wurde nun nicht von der ARD interviewt, sondern vom „Plausch um Sieben“-Team: Olympiasieger Michael Jung. Archivbild

Wurde nun nicht von der ARD interviewt, sondern vom „Plausch um Sieben“-Team: Olympiasieger Michael Jung. Archivbild

SÜDWEST PRESSE: Herr Jung, am heutigen Tag wären die Olympischen Spiele in Tokio zu Ende gegangen, wenn sie denn ausgetragen worden wären. Mit wie vielen Medaillen im Gepäck wären Sie nach Deutschland zurückgekommen?

Michael Jung: Gute Frage. Weiß ich nicht, keine Ahnung. Ich hoffe, dass die eine oder andere Medaille dabei gewesen wäre. Wir sind ja zwei Lebewesen, die mal einen guten und mal einen schlechten Tag haben. Das ist also nicht programmierbar. Ich glaube, von der Statistik her wäre ein gutes Ergebnis rausgekommen, sicher kann man sich aber nicht sein.

Sie waren von 2012 bis zu den Weltreiterspielen 2014 als erster Vielseitigkeitsreiter gleichzeitig Olympiasieger, Einzelweltmeister und Europameister ebenfalls in der Einzelwertung. 2016 wurden Sie in Rio, erneut auf Sam, erneut Olympiasieger in der Einzelwertung. Sie haben also alles schon mit damals 34 Jahren erreicht. Wie hoch ist der Neidfaktor bei den Reitkollegen?

Ich glaube, es ist eher Anerkennung und Respekt. Gerade wenn man mit den Pferden zu tun hat, weiß man, dass man natürlich hauptsächlich vom Pferd abhängig ist. Man muss fleißig sein. Man muss auf dem Punkt hundertprozentig fit sein. Da müssen beide Top-Laune haben.

Vor wenigen Tagen sind Sie nun 38 Jahre alt geworden – was treibt Sie an, weiter erfolgreich zu sein?

Es macht einfach Spaß, mit den Pferden zu arbeiten und sie auszubilden. So bin ich auch zu dem Beruf gekommen, da ging es mir nicht um die Medaillen. Mir macht es Spaß, mit den Tieren zu arbeiten. Das Hobby zum Beruf machen, ist glaube ich der Traum von jedem. Es ist schön, zu sehen, wie sich junge Pferde entwickeln.

Suchen Sie aber auch, weil Sie in der Vielseitigkeitsreiterei alles gewonnen haben, nun auch eine neue Herausforderung im Springreiten?

Sicherlich, ich bin aber ja wie gesagt, abhängig von den Pferden. Wir haben hier im Übrigen nicht so viele Vielseitigkeitsturniere, wie beispielsweise in England. Deswegen habe ich auch genug Zeit, auf Springturniere zu gehen, was ein gutes zweites Standbein ist.

Wird es irgendwann auch den Olympiasieger Michael Jung im Springreiten geben - noch nicht in Tokio 2021, aber vielleicht in vier Jahren in Paris oder in acht Jahren in Los Angeles? Das wäre durchaus ein Traum. Aber das ist noch ein ganz weiter Weg.

Wenn man ein gutes Pferd hat, ist das aber möglich, oder?

Da muss alles zusammenpassen. Es ist wie gesagt ein Traum und noch kein Ziel.

Was würden Sie einem Kritiker antworten, der zu Ihnen sagt: Ein Vielseitigkeitsreiter ist einer, der alles ein bisschen kann, nur keine Disziplin richtig gut.

Das sagt man mal schnell so dahin. Ich glaube aber, das stimmt nicht mehr. Man muss extrem vielseitig sein und inzwischen ist die Leistungsdichte so hoch, dass der Spruch nicht mehr stimmt.

Wie fit müssen Sie für die tägliche Arbeit sein?

Umso fitter, umso besser. Da geht es dann auch um das eigene Gewicht und die Fitness. Sport zu Hause oder im Fitnessstudio, Dauerlauf, Gymnastik, Training der Oberkörpermuskulatur – das ist sehr wichtig.

FischerChipmunk ist Ihr Vielseitigkeitspferd Nummer eins. FischerChelsea ihr aktuell bestes Springpferd. Wann erkennen Sie in Ihrer täglichen Arbeit mit den Pferden, in welchem Bereich also in welcher Pferdesportdisziplin das Pferd später erfolgreich sein kann?

Das ist von Anfang an schon die Abstammung. Die gibt vor, wo die Talente liegen. Wenn die Pferde dann vier- oder fünfjährig sind, weiß man wohin es geht. Top-Athleten sind sie dann ab acht Jahren.

Können Sie mal die wesentlichen Unterschiede zwischen einem Vielseitigkeitspferd, einem Dressurpferd und einem Springpferd nennen?

Ein Dressurpferd muss definitiv ein hübsches Pferd, ein Hingucker sein. Sie sind meist schwarz oder dunkel gekleidet. Sie müssen im Viereck tanzen können. Ein Springpferd muss natürlich sprunggewaltig sein, außerdem clever und geschickt. Ein Vielseitigkeitspferd braucht wiederum unheimlich viel Ausdauer. Sie sind mit Marathonläufern vergleichbar.

Kann Ihre Karriere eigentlich auch ganz schnell mal zu Ende sein, wenn Sie kein starkes Pferd mehr haben? Ja. Man darf sich nie zu lange auf Top-Pferde verlassen. Man muss schauen, dass man gut aufgestellt ist und eine breite Basis hat. Man weiß nicht genau, zu welchem Level sie es überhaupt schaffen. Deshalb ist es wichtig, dass der Stall voll ist.

Stimmt es eigentlich, dass einige Engländer, die jahrelang in der Vielseitigkeit nicht zu schlagen waren, Ihnen Sam wegkaufen wollten, nur damit Sie nicht weiter alles gewinnen würden?

Es gab da die ein oder andere lustige Geschichte. Zum einen war es ja so, dass Sam nach der Weltmeisterschaft 2010 fast weggegangen wäre. Und zwar nicht, um geritten zu werden, sondern nur, um uns auseinanderzubringen. Er wäre auf die Koppel gestellt und verwöhnt worden. Das war eine nette Formulierung. Aktuell genießt Sam aber seine wohlverdiente Rente.

Sie haben von Ihrer Freundin Faye Füllgraebe das Pferd Go-For-S übernommen. Hat sich der Wechsel schon bezahlt gemacht?

Go-For-S ist ein sehr gutes Pferd. Man muss aber noch ein bisschen abwarten. Wir haben nächste Woche ein Turnier in Frankreich. Ob sie dann im Herbst die Vier Sterne gehen kann, muss man noch sehen. Es ist wie gesagt ein tolles Pferd mit vielen Möglichkeiten. Es ist aber noch zu früh, etwas zu sagen.

Go-For-S war nicht mal das beste Pferd Ihrer Freundin. Das Beste, die belgische Stute Quebec, hatte sie decken lassen und dann gab es während der Trächtigkeit Probleme. Am Ende sind im Frühjahr sowohl das Pferd und das ungeborene Fohlen gestorben. Wie ist Ihre Freundin mit dem Verlust umgegangen?

Das war sehr schwer, muss ich sagen. Das Pferd ist uns sehr ans Herz gewachsen. Wir waren viele Jahre zusammen und haben einiges durchgestanden. Man macht viel durch, so ein Verlust ist natürlich sehr schwer zu verkraften. Speziell mit dem Fohlen kurz vor der Geburt, das ist natürlich sehr bitter.

Für die baden-württembergischen Reitfans wird es auch ein Verlust sein, dass das German-Masters in Stuttgart, für das Sie Botschafter sind, im Herbst schon jetzt wegen der Corona-Krise abgesagt worden ist. Wie schade finden Sie es, nicht vor heimischem Publikum reiten zu dürfen?

Stuttgart ist ein gigantisches Turnier mit Massen an Zuschauern. Wenn man in die Halle reinreitet und alle am Jubeln sind, das ist eine tolle Stimmung, Gänsehautfeeling. Viel heimisches Publikum. Das Turnier fehlt und ich hoffe, dass das sich nicht wiederholt.

Im Herbst stehen noch weitere hochkarätige Turniere auf dem Plan. Glauben Sie, dass zum Beispiel die Turniere in Frankfurt, Genf oder Salzburg ausgetragen werden können?

Ich glaube nicht. Es gibt vielleicht ein paar Turniere, die sehr gute Vorkehrungen haben im Hinblick auf Corona. Aber Turniere wie Stuttgart, die von den Zuschauereinnahmen leben, können so nicht stattfinden.

Welches Turnier ist oder war in dieser kurzen Corona-Saison Ihr persönlicher Höhepunkt?

Ich hatte in München-Riem ein schönes Turnier. Top-Bedingungen, super Wetter, die Pferde sind schön gelaufen. Das war viel für sie zu lernen. Gerade jetzt, trotz Corona-Maßnahmen, war es ein super Turnier, auch wenn die Atmosphäre leider gefehlt hat.

Ist das für Pferde ohne Zuschauer ein Unterschied?

Sie sind schon etwas entspannter. Aber es ist allein schon etwas anderes als unter Turnierbedingungen. Auf einem Rasenplatz leuchtet alles anders. Da spiegeln sich Dinge und dann sind da noch Bäume, Lichter und Schatten – die Atmosphäre hat man im Training nicht. Wenn dann noch bis zu 40 000 Zuschauer da sind, kommt nochmal eine ganz andere Stimmung auf.

Gelten Sie für Tokio 2021 als gesetzt? Und/oder müssen Sie sich mit FischerChipmunk nochmals bei irgendeinem großen Turnier vorher beweisen, wenn ja, wo?

Gesetzt ist keiner, qualifiziert sind einige. Dieses Jahr und im Laufenden, also im nächsten Jahr, müssen wir dann beweisen, dass alles funktioniert, Pferd und Reiter gesund sind und einen guten Leistungsstand haben. Nach den letzten Turnieren gibt es dann ein Ranking und man wird gesetzt.

Wir wollen es ja nicht hoffen, aber wenn sich FischerChipmunk verletzt, welches Vielseitigkeitspferd stünde als Ersatz für Tokio bereit und müsste dieses Ersatzpferd noch eine Olympiaqualifikation absolvieren?

Ich habe noch ein zweites Pferd qualifiziert, FischerRocana und dann hab ich noch zwei Pferde, die ich qualifizieren will: FischerWild Wave und Go for S.

Wann steht von Bundestrainer Hans Melzer und vom Olympischen Komitee für Reiterei eine erste Vornominierung für Tokio 2021 an und wann erfolgt die endgültige Nominierung? Circa einen Monat vorher. Dann haben wir noch einen Vorbereitungslehrgang. Da ist dann auch das Ersatzpferd dabei, das muss ja auch die Quarantäne mitmachen.

Im Tennis spezialisieren sich die Kinder häufig früh auf eine Sportart. Wie stehen Sie dazu?

Als Kind habe ich viel Fußball gespielt, aber auch Tennis und Basketball haben mir Spaß gemacht. Im Grunde, wenn man einen guten Freundeskreis und Spaß hat, macht dir Sportart Spaß. Daher bin ich auch für eine breitere Ausbildung und späte Spezialisierung.

Im Rückschlagbereich gibt es Kombinationswettbewerbe. Gibt es das auch beim Reiten?

Klar, es gibt ja Polo und dann gibt es noch Horseball, das ist quasi Handball vom Pferd aus. Das wird auch oft auf Turnieren vorgeführt.

Schwingt ein Verletzungsgedanke mit, wenn man auf ein Pferd steigt?

Dann funktioniert es nicht. Bei jedem Skateboarder oder Biker, wenn man da denkt, ‚oh was kann passieren‘, funktioniert das nicht. Ich bin tausende Male runtergefallen. Man muss möglichst früh beginnen, mit Ponys. Wenn man Gefahr sieht, muss man es bleiben lassen. Wenn man Fußball spielt und Angst hat, dass mir jemand in die Hacken haut, geht das auch Spiel nicht.

Gibt es eine Technik, wie man sich am besten abrollt?

Wenn man jung ist, rollt man sich ab, da passiert meistens nichts. Man landet im weichen Sand. Dann lernt man reiten und es geht los mit dem Sport. Da kann auch etwas schiefgehen. Man schüttelt sich, steigt auf und geht weiter, weil es viel Spaß macht.

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Erstellt:
12.08.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 06sec
zuletzt aktualisiert: 12.08.2020, 01:00 Uhr

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