Der Wert des Menschen

Der Wert des Menschen

In dem französischen Sozialdrama wird ein Mann mit Mitte 50 entlassen und steht vor den Trümmern seines Lebens.

21.01.2016

Von Dorothee Hermann

Exakt neun Monate trennen Thierry (Vincent Lindon) vom sozialen Absturz. Noch ist der 51-jährige Maschinenführer in der vergleichsweise privilegierten Lage, richtiges Arbeitslosengeld zu beziehen. Doch er kann schon absehen, wann sein bisheriges Leben auseinanderfallen wird: die Raten für die Eigentumswohnung, die Kosten der Schulausbildung für den Sohn mit der Sprechbehinderung, die laufenden Rechnungen wird er mit 500Euro Sozialhilfe nicht mehr begleichen können.

Mit der tickenden Uhr im Kopf ist schon der hohle Bürokratismus des Jobcenter-Mitarbeiters ziemlich schwer zu ertragen für den langjährigen Gewerkschafter. Dabei ist der Mann vom Arbeitsamt nur der vergleichsweise neutrale Anfang einer Spirale von Demütigungen: In der Schule des Sohnes, auf der Bank, beim versuchten Notverkauf des Wohnmobils - plötzlich scheint Thierry in jeder Situation über den eigenen Wert verhandeln zu müssen.

Sogar das einzige Vergnügen, das er sich leistet, ein Rock’n’Roll-Tanzkurs mit seiner Frau, wirkt maschinenmäßig getaktet. Seine (Gewerkschafts-)Kollegen spielen in der Arbeitswelt ebenfalls keine Rolle mehr. Als letztes Aufbäumen erwägen sie eine Klage gegen ihre ehemalige Firma: Das Unternehmen war gesund, es hätte nicht entlassen dürfen.

Der französische Regisseur Stéphane Brizé zeigt mit schonungslosem Realismus, wie die Freude aus einem Leben weicht: Thierry nimmt schließlich einen Job als Supermarktdetektiv an. Er landet in einem feindselig-autoritären Sozialgefüge, in dem Arbeitsrechte keine Rolle spielen, sondern nur der jeweilige Chef. Kunden und Kollegen, die er bespitzeln soll, werden nicht nur vom firmeneigenen Überwachungssystem, sondern auch von der Kamera in die Enge getrieben. Thierry fügt sich wohl oder übel ins System, aber mit einem Rest von Staunen und auch Widerstand (ab 0).dhe

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