Klassik – in Klasse statt Masse

Der ehemalige Tübinger Lukas Krohn-Grimberghe hat die Klassik-Internetplattform „Grammofy“ gegründet

Internet-Videoportale wie YouTube oder SoundCloud ermöglichen die Wiedergabe, teils auch das Herunterladen von Audio- und Videodateien – oft am Urheberrecht vorbei. Der Tübinger Lukas Krohn-Grimberghe und sein Team haben nun die Klassik-Plattform „Grammofy“ (www.grammofy.com) gegründet, die Künstler und Labels fair am Umsatz beteiligt. Als digitaler Konzertführer bietet Grammofy zu den Musik-Videos außerdem Werkeinführungen und Hintergrund-Informationen.

03.11.2016

Von Achim Stricker

Wer von den glorreichen Sieben stammt wohl aus dem Schwabenländle? Die Herren links (Lukas Krohn-Grimberghe und Elias Probst) und der Dritte von rechts (Matthias Kümmerer). Die anderen sind Philipp Hertel, Natascha Klotschkoff, Emanuel Schwarz und Felix Lenders.Bild: Privat

Wer von den glorreichen Sieben stammt wohl aus dem Schwabenländle? Die Herren links (Lukas Krohn-Grimberghe und Elias Probst) und der Dritte von rechts (Matthias Kümmerer). Die anderen sind Philipp Hertel, Natascha Klotschkoff, Emanuel Schwarz und Felix Lenders.Bild: Privat

Lukas Krohn-Grimberghe ist dem Tübinger Konzertpublikum bestens bekannt: als zuverlässiger und klangsensibler Schlagwerker, etwa an den Pauken im mittlerweile aufgelösten Benefizorchester Oikomusica. 1985 geboren, hat der Sohn der Altistin Adelheid Krohn-Grimberghe und des langjährigen Stephanus-Chorleiters Hans Walter Maier sein Abitur 2005 am Uhlandgymnasium gemacht.

Vernetzt von London bis Berlin

Nach einem Kulturmanagement-Studium lebt er inzwischen in London. Bis 2014 arbeitete Krohn-Grimberghe als Manager für das Unternehmen „SumUp“, das mobile Kreditkartenzahlung per Smartphone anbietet. Nebenher, nachts und am Wochenende, erstellte er einen Geschäftsplan für den eigenen Unternehmensstart. Sein erster Kontakt mit Streaming-Anbietern („Streamen“ ist das Abspielen, also „Strömen“-Lassen von Videos im Internet) war 2009 die „Digital Concert Hall“ der Berliner Philharmoniker, der vielleicht bekannteste deutsche Vorreiter. Allerdings ist die Auswahl hier auf Konzertmitschnitte nur dieses Orchesters beschränkt und richtet sich an dessen Fanpublikum.

Krohn-Grimberghe hat die Philharmoniker-Webseite analysiert und seine Bachelor-Arbeit im Studiengang „Communcation & Cultural Management“ an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen über Klassik-Streaming geschrieben. An der Goldsmiths University London hat er daraus dann seine Master-Arbeit entwickelt.

Mit kostenpflichtigen Internet-Angeboten versuchen Orchester und Klassik-Labels, den zahlreichen illegalen Plattformen und der inflationären Daten-Piraterie entgegenzutreten. Zum umstrittenen Präzedenzfall vielfacher Urheberrechts-Prozesse wurde das 2005 gegründete Video-Portal YouTube. Jeden Tag werden hier Videos mit einer Gesamtdauer von mehreren hundert Millionen Stunden abgespielt. Jede Minute werden etwa 100 Stunden Material hochgeladen.

Inzwischen hat YouTube in Sachen Urheberrecht nachgebessert und wurde als weltweit größtes Datenarchiv durchaus auch mit Preisen ausgezeichnet. Vor allem lässt sich daran ablesen, was die Musikindustrie über lange Jahre versäumt und verschlafen hat. Nicht zuletzt ist YouTube eine unerschöpfliche Fundgrube für vergriffene Einspielungen und historische Raritäten.

„Ich dachte, dass die großen Internet-Anbieter wie iTunes oder Spotify das Thema Klassik schon irgendwann einmal angehen würden“, kommentiert Krohn-Grimberghe. „Als aber nichts geschehen ist, habe ich beschlossen, das selbst in die Hand zu nehmen.“

Systematisch schrieb er Labels an, kontaktierte Orchester und „versuchte, einen Fuß in die Tür zu bekommen. 2012 war das sehr schwierig, Streaming war damals noch ganz neu. Heute ist das Thema geläufig und die Labels sind an Kooperationen interessiert.“

Unter Krohn-Grimberghes renommierten Partnern finden sich inzwischen das London Symphony Orchestra und das London Philharmonic Orchestra, dazu große Labels wie Chandos, Signum, Genuin, Outhere, Harmonia Mundi und Naxos. Hatten Künstler und Labels im Internet bisher oft das Nachsehen wegen entgangener Tantiemen, werden sie hier nun am Umsatz beteiligt.

Im April 2015 gründete Krohn-Grimberghe dann sein Unternehmen und gewann zwei weitere einstige Tübinger als Mitstreiter: Matthias Kümmerer und Elias Probst. Zusammen mit Felix Lenders sind die Informatiker zuständig für die technische Einrichtung und Programmierung der Internetseite und der Datenbanken. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützte den Firmenstart mit einem Gründerstipendium über 125 000 Euro und verlieh der Firmenidee außerdem gleich auch den Kultur- und Kreativpiloten-Preis 2015.

Mittlerweile ist das Team auf sieben Personen angewachsen, arbeitet vernetzt in London, Stuttgart und Berlin. Offizieller Start der Grammofy-Seite mit ihrem charakteristischen Schwarz-Gelb-Orange-Design war dann im Mai 2016. Seither melden sich jede Woche rund 200 neue Nutzer an – aus Großbritannien, Irland, Deutschland, Schweden, Frankreich, den Benelux-Ländern, Österreich und den USA.

Grammofy – das Kunstwort „sollte irgendwie gut klingen und man soll sich daran erinnern.“ Das gute, alte Grammophon, nun in digitalisierter Form, „steht für Qualität, für das Besondere. Grammofy – das ist das bewusste Auflegen einer Platte statt Nebenhergedudel aus dem Netz.“

„Klasse statt Masse“ ist Krohn-Grimberghes Konzept. „Da nebenan auf YouTube ja
ohnehin alles kostenlos und in Masse verfügbar ist“, setzt er
konsequent auf Qualität: „Die Qual der Wahl frisst auch Zeit und macht Stress.“

Dagegen versucht Grammofy, „mit Mehrwert zu punkten“: Zu allen Musikstücken gibt es fundierte Informationen zur Entstehung, zu Werk-, Gattungs- oder Zeitgeschichte. Wöchentlich neue Aufnahmen – „sorgfältig handverlesen und liebevoll aufbereitet“ – sowie Themenschwerpunkte bieten dem Nutzer ein „betreutes Klassik-Hören und Musik-Verstehen“: „Grammofy ist ein wohlkuratierter Reiseführer in die versteckten Winkel der vielseitigen Klassikwelt.“ Dazu gehören didaktische „Tutorials“ wie etwa Vergleiche desselben Werks in unterschiedlichen Einspielungen – „und das alles auf dem neusten technologischen Stand, mit leichtem Zugriff.“

CD und Konzert als Konkurrenz

Für das Grammofy-Standard-Abo zu 6,99 Euro im Monat bekommt man jede Woche eine neue Auswahl von fünf bis zehn Werken samt Audio-Einführungen und hat Zugriff auf das gesamte Archiv. 30 Tage lang kann man das Angebot gratis testen. Ab diesem Monat soll es auch ein verbilligtes Abo zu 2,99 Euro geben, allerdings ohne Zugriff auf das Archiv.

Neben der didaktischen Aufbereitung setzt Krohn-Grimberghe auf die „Nachhaltigkeit einer Internet-Ethik“: „Fairstream – Transparenz und Fairness gegenüber Künstlern, Kunden und Kooperationspartnern“. 70 Prozent der Einnahmen werden direkt an die Rechte-Inhaber, Künstler und Labels, weitergereicht – pro Wiedergabe sekundengenau abgerechnet.

Bleibt abzuwarten, ob es für dieses Konzept ein größeres, zahlungsbereites Publikum gibt. Im Schatten des Gratis-Giganten YouTube dürfte die Zielgruppe wohl eher klein sein. Die bereits informierten Klassik-Kenner finden sich im Internet auch selbst zurecht, Streaming-Fans stehen vermutlich zu einem geringeren Prozentsatz auf Klassik und die traditionellen Klassik-Liebhaber gehen wahrscheinlich lieber ins Konzert oder legen eine CD auf. Auch dürften dem durchschnittlichen Internet-Musikhörer exakte technische Grammofy-Daten wie Ort und Datum der Aufnahme oder der Name des Tonmeisters eher egal sein.