Nur beinahe ein großer Film: Ein haftentlassener Triebtäter kämpft gegen den Rückfall.

Der freie Wille

Nur beinahe ein großer Film: Ein haftentlassener Triebtäter kämpft gegen den Rückfall.

24.11.2015

Von Peter Ertle

Der freie Wille

„Der freie Wille? beginnt mit den schwer aushaltbaren Bildern einer Vergewaltigung. Der Zuschauer soll sie im Kopf behalten, damit er bereits von der folgenden Szene an in emotionalen Konflikt gerät: Da sieht er nämlich den Vergewaltiger Theo bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis, geläutert, ängstlich; und soll fortan an seiner Seite sein, beim Versuch, sich zu resozialisieren.

Doch das klappt nicht recht, weder bei Theo, noch beim Zuschauer, der eher auf der Seite der Frauen steht, die im Folgenden zu seinen Versuchungen werden. Kommt es zum Rückfall? Dann lernt er Nettie kennen, auf andere Weise ähnlich gestört wie er, eine scheue, mit Aggressionen gespeiste Annäherung mündet in eine Liebesbeziehung, auf deren Gipfel ein kuscheliges Normalo-Pärchenleben steht. Patient(en) gerettet?

Das Bekenntnis zu realistischem Dialoggestammel, die langen, ungeschönten Sequenzen, in denen scheinbar nichts aber doch jede Menge Nuancen passieren und die schauspielerischen Glanzleistungen vor allem von Jürgen Vogel (Theo) und Sabine Timoteo (Nettie) hätten die Basis für einen ganz großen Film werden können.

Hier aber wird der lautverstärkte Atem als Signal für das jeweils erwachende Triebmonster in Theo gnadenlos übertrieben, zu offensichtlich fängt die Kamera Werbeplakate mit Unterwäschemodels oder leichtbekleidete Frauen im Bus ein. Und warum blendet die Schonungslosigkeit dieses Films ausgerechnet den ersten, doch sicher nicht unproblematischen Sex zwischen Theo und Nettie aus? Besonders dämlich ist ein gesungenes Ave Maria in einer Kirche, das Theo als Überraschung für Nettie vorher eingefädelt haben muss ? für den bis dahin geschilderten Charakter eine völlig unglaubwürdige Aktion.

Richtig schlimm wird es aber erst nach Theos Rückfall, denn Regisseur Matthias Glasner und sein Co-Autor, Produzent und Hauptdarsteller Jürgen Vogel hatten offenbar keine oder zu viele widerstreitenden Ideen, wie sie den Film beenden könnten, und so zieht sich das Ende des mit zweidreiviertel Stunden sowieso zu langen Streifens kopflos dahin.

Ärgerlich auch, dass der Schluss nicht offen gehalten wird. Natürlich ist es nur ein Film über dieses eine Schicksal. Und doch wird er, ob er will oder nicht, auch als General-Aussage verstanden. Die Aussage lautet: Ein Vergewaltiger bleibt ein Vergewaltiger, der freie Wille unterliegt letztlich. Das ist genauso fahrlässig wie ein dummes Happy End.

Die im Zusammenhang mit diesem Film öfters mal gestellte Frage, ob die Täterpsyche überhaupt zum Thema gemacht werden darf, ist dagegen uninteressant. Natürlich darf sie. Man muss es nur gut machen.