Eine von der Polizei allein gelassene Mutter sucht in Clint Eastwoods Retro-Krimi verzweifelt ihren verschwundenen Jungen.

Der fremde Sohn

Eine von der Polizei allein gelassene Mutter sucht in Clint Eastwoods Retro-Krimi verzweifelt ihren verschwundenen Jungen.

23.11.2015

Von Dorothee Hermann

Clint Eastwood (Regie) holt ein altes Verbrechen aus dem Justiz-Archiv und lässt es aus einer ungewöhnlichen Perspektive verstörend virulent werden. Es ist der Blick einer unabhängigen Frau, deren Leben beinahe zerbricht, als ihr neunjähriger Sohn Walter im März 1928 spurlos verschwindet. Von Anfang an wirken die Bilder, als wären sie vom Schmerz ihrer Erinnerung grundiert.

Fünf Monate später präsentiert ihr die Polizei den wiedergefundenen Jungen. Es ist der falsche, wie der Original-Filmtitel „Changeling? (wie Wechselbalg oder untergeschobenes Kind) viel deutlicher signalisiert. Leider steht Christine Collins (Angelina Jolie als distanziert elegante 20er-Jahre-Schönheit), die Mutter, mit dieser Überzeugung völlig allein da. Ahnungslos bringt sie die gesamte Polizeibehörde von Los Angeles gegen sich auf. Die so korrupten wie unfähigen Ermittler brauchen das angeblich wiedergefundene Kind dringend als positives PR-Ereignis.

Dass Christine Collins nicht aufhören will, nach ihrem Sohn zu suchen, stört dieses Bild empfindlich. Vor allem ein Captain Jones tut sich darin hervor, sie mit plump machistischen Sprüchen ins Unrecht zu setzen. Wie sich die Demütigung gegen ihren Willen in den selbstbewussten Blick von Christine stiehlt, stellt ein auf Gewalt gegründetes Geschlechterverhältnis bloß. Die Machenschaften der Polizei werden sie beinahe die bürgerliche Existenz kosten. Nur ein Radio-Prediger (John Malkovich) setzt sich zunächst für sie ein. Allmählich deutet sich an, dass Walters Verschwinden mit einem fürchterlichen Verbrechen zusammenhängen könnte. Nicht allein die Flashbacks der Bluttaten können einen zweifeln lassen, ob die Altersgrenze von zwölf Jahren nicht ein wenig niedrig angesetzt ist.

Eine abgelegene Farm als Ort des Grauens ist das schwarze Gegenbild von Christines urbaner Existenz als Abteilungsleiterin einer Telefonfirma. Ein Gewehr auf der Ladefläche eines Lieferwagens, in einem verlassenen Haus exakt platzierte blankgewischte Äxte und Messer genügen Eastwood zur Vorausdeutung des Entsetzlichen. Zeittypisch verhält sich der Film auch darin, dass er den psychopathischen, ewig grinsenden Mörder nur von außen präsentiert, ohne auch nur zu versuchen, an dessen Vorerfahrungen heranzukommen.

Der fremde Sohn

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Erstellt:
23.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 00sec
zuletzt aktualisiert: 23.11.2015, 12:00 Uhr

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