Film

Der letzte Kaiser des Kinos

Bernardo Bertolucci ist tot. Sein Werk drehte sich um das Verbotene und das Verborgene, er war sehr politisch, oft maßlos und überschritt Grenzen.

27.11.2018

Von DPA

Zweifacher Oscar-Gewinner: Bernardo Bertolucci. Foto: dpa

Zweifacher Oscar-Gewinner: Bernardo Bertolucci. Foto: dpa

Rom. Er war voyeuristisch und politisch, er provozierte und kalkulierte den Skandal. Er wurde gewürdigt mit Oscars und Golden Globes, von den Filmfestspielen in Venedig und Cannes. Als einer der letzten ganz großen italienischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts ist Bernardo Bertolucci gestern im Alter von 77 Jahren an den Folgen eines Krebsleidens gestorben.

Er habe sich immer dagegen gewehrt, das Filmemachen an einer Schule zu lernen, sagte Bertolucci 2012 in einem Interview. „Später wurde mir klar, dass man lernen muss, was es bedeutet, Regisseur in der Realität der Dinge zu sein.“ Nach dem Abitur reiste der 1941 in Parma geborene Bertolucci nach Paris, wo er nicht den Louvre, sondern die Cinémathèque besuchte, um sich Filme anzuschauen. Mit dem Schreiben fing er noch früher an, das sei für ihn – Sohn eines in Italien recht bekannten Literaten – selbstverständlich gewesen. Über seinen Vater lernte Bertolucci Pier Paolo Pasolini kennen, der ihn als Regieassistenten engagierte. Der Weg war geebnet.

1972 feierte er seinen Durchbruch: „Der letzte Tango in Paris“ wurde nicht nur zum Kultfilm, er lieferte auch eine der wohl umstrittensten Szenen der Filmgeschichte. Darin zwingt der Amerikaner Paul (Marlon Brando) die junge Jeanne (Maria Schneider) zum Analverkehr – und greift zu Butter als Gleitmittel.

Von diesem Detail wusste Schauspielerin Schneider nichts – Bertolucci und Brando hatten sie nicht eingeweiht. Spätere Aussagen von Bertolucci über die Szene sorgten für einen Aufschrei, klang es zunächst so, als habe Schneider selbst von der Vergewaltigungsszene nichts gewusst. „Um Filme zu machen und etwas zu erreichen, denke ich, dass du komplett frei sein musst“, hatte Bertolucci in dem Zusammenhang gesagt. „Ich wollte nicht, dass Maria ihre Erniedrigung, ihre Wut spielt. Ich wollte, dass Maria es spürt.“ Dafür habe Schneider ihn ein Leben lang gehasst.

„Er hat sich nie versteckt, er hat nie Angst gehabt, sich zu zeigen, er hat nie aufgehört, Streit anzuheizen, Stellung zu beziehen“, schreibt „La Stampa“ zu Bertoluccis Tod. Spuren im Kino hatte er mit seinem ehrgeizigsten Projekt „1900“ (1976) hinterlassen, ein fast fünfeinhalb Stunden langes Epos über die italienischen Bauern- und Klassenkämpfe Anfang des Jahrhunderts. Ein politischer Film mit einer Traumbesetzung, mit Stars wie Burt Lancaster, Donald Sutherland, Robert de Niro und Gérard Depardieu. Politisch war Bertoluccis Werk auch schon vorher, wie sich in „Vor der Revolution“ (1964) und in „Der große Irrtum“ (1970) über einen gesetzten Professor während des Faschismus zeigte.

Für seine enorme Bandbreite und künstlerische Klasse wurde der einst bekennende Marxist mehrfach ausgezeichnet. „Der letzte Kaiser“ von 1987 bekam neun Oscars und vier Golden Globes. Der Film dreht sich um das Leben des letzten chinesischen Imperators, der bereits als Dreijähriger an die Macht kam, von den Untertanen als Gott verehrt wurde und „wie ein Gefangener seiner eigenen Macht lebte“. Bertolucci durfte als erster westlicher Regisseur an Originalschauplätzen in Peking drehen.

Gewürdigt wurde längst nicht Bertoluccis ganze – in Zahlen recht überschaubare – Filmographie. Sein fernöstlicher „Little Buddha“ etwa entpuppte sich als Flop und auch „Die Träumer“ (2003) überzeugte das Publikum und Kritiker nicht sonderlich. Nach einer zehnjährigen Regie-Pause war Bertolucci mit „Ich und du“ (2012) in die Kinos zurückgekehrt. „Einen Film will und kann ich noch machen“, hatte Bertolucci, der seit einer misslungenen Bandscheiben-Operation im Rollstuhl saß, im Frühling 2018 in einem seiner letzten Interviews mit „Vanity Fair“ noch gesagt. „Der Wunsch zu arbeiten ist da, der Rest kommt von selbst.“

Lena Klimkeit

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Erstellt:
27.11.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 27.11.2018, 06:00 Uhr

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