Sehr einfache Erzählung über die letzten Berliner Juden, die in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert wurden.

Der letzte Zug

Sehr einfache Erzählung über die letzten Berliner Juden, die in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert wurden.

24.11.2015

Von Uli Landthaler

Der letzte Zug

Sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust lässt Regisseur Joseph Vilsmaier nochmals die Deportationszüge rollen. "Der letzte Zug" ist die Innenansicht eines Auschwitz-Transports und will ein Film gegen das Vergessen sein. Er ist gut gemeint - aber nicht durchweg gut gemacht.

Die Schiebetür des Viehwaggons kracht in die Arretierung. Doch diesmal bleibt die Kamera nicht, wie in anderen Filmen mit dem Holocaust-­Thema, draußen zurück. Sie verbleibt bei den Menschen im Waggon, wird mit ihnen eingesperrt, zoomt auf angstgezeichnete Gesichter. Die Abfahrt ist ein grollendes Beben, das die Zusammengepferchten aus dem Gleichgewicht wirft. "Der letzte Zug" hat sich in Bewegung gesetzt, vom Bahnhof Berlin-­Grunewald in Richtung polnische Grenze, nur die SS-­Wachmannschaft kennt die Endstation.

Die sechs quälenden Tage bis nach Auschwitz beschreibt "Der letzte Zug", der jüngste Film Joseph Vilsmaiers. Aus mehreren historischen Quellen haben die Autoren Art Bernd und Stephan Glantz die Handlung für eine Kinoproduktion geschrieben, die von drei Regisseuren begonnen und erst im vierten Anlauf von Vilsmaier zusammen mit seiner Frau Dana Vávrová als Co-­Regisseurin fertiggestellt wurde.

Doch was kann ein Film 60 Jahre nach dem Holocaust an Erkenntnissen bieten, die noch nicht hervorgebracht wurden? Diese Frage muss die Messlatte sein, nach der ein Geschichtsdrama mit Hintergrund Drittes Reich heute zu bewerten ist. Nun, "Der letzte Zug" nimmt sich das Innenleben im Waggon nach Auschwitz vor, was noch kein Regisseur so breit auszumalen versucht hat. Und hier kann der gelernte Kameramann Vilsmaier seine Stärken als Beobachter und als Modellierer von Szenarien ausspielen. Die jüdischen Gefangenen, nur Stunden zuvor von der SS aus der Wohnung geholt, sind am Anfang noch äußerlich geordnet, haben Koffer dabei und saubere Anzüge an. Sie versuchen, sich in ihrer Schreckenslage zu organisieren.

Der Film möchte den Vorgang darstellen, wie in sechs quälend langen Tagen und Nächten mit entsprechend gedehnten Sequenzen die Hoffnung der Leute im Viehwaggon auf ein gutes Ende ihrer Odyssee zerrinnt - und langsam der schrecklichen Erkenntnis weicht, die von Anfang an als unausgesprochene Furcht in den Gesichtern stand: dass diese Reise nur ins Verderben führen kann. Denn zu eindeutig sind die Indizien, die auf der rumpelnden Fahrt durch einsame Waldlandschaften und Provinzbahnhöfe durch den Sehschlitz wahrzunehmen sind: Aggressive Wachmannschaften, die keinen an die Waggons heranlassen. Drinnen kaum noch Wasser für die immer qualvoller dürstenden Insassen. Und schließlich die ersten Toten im Waggon, verdurstet oder wegen Aufbegehrens von gereizten SS-­Wachleuten niedergeschossen. Auch zwei Fluchtversuche scheitern blutig.

So weit, so gut. Wäre "Der letzte Zug" ein Kammerspiel, könnte hier ein wirkungsvoller dramaturgischer Schlussstein gesetzt werden, denn es ist alles gesagt. Aber nein, es ist ein Kinofilm, und da müssen pflichtschuldig cineastische Zutaten eingebaut werden. War es die Eile im Drehplan oder war es Lustlosigkeit, die den Regisseur mit seinem Hang zur melodramatischen Aufladung von Geschichtsthemen eine solch kühl routinierte Rahmenhandlung abspulen lässt? Kurze Rückblenden sollen das frühere Leben veranschaulichen, aus dem die Menschen im Viehwaggon herausgerissen wurden. Doch sie versinken in kaltem Kitsch, wenn verliebte Paare händchenhaltend im Wald herumtollen. Kinder flüchten mit furchtsamem Blick hinter den Rockzipfel der Mutter, wenn die SS-­Schergen an die Wohnungstür hämmern. Und wenn der Unterscharführer mit fiesem Grinsen seinem Opfer den Stiefel ins Gesicht rammt, wirkt das platt wie im amerikanischen Serienkrimi. Die Schauspielerführung ist außerhalb des Waggons bisweilen aufreizend uninspiriert.

So macht "Der letzte Zug" als Ergänzung zu Holocaust-­Dramen wie Spielbergs "Schindlers Liste" und Polanskis "Pianist" Sinn. Als eigenständiges Kinowerk nur zum Teil.