Ein Zufall kam ihr zu Hilfe

Die 18-jährige Schülerin entging knapp der Abschiebung / Gefahr ist nicht gebannt

Zwischen 18-Jährigen können Welten liegen. Während die einen aufs Abitur lernen und unbeschwert ihre Freizeit genießen, leben andere in ständiger Angst, abgeschoben zu werden. Miljana Stojanovic ist gerade mal 18 Jahre alt, aber in die Wohnung ihrer Familie traut sie sich kaum noch. Sie hat Angst, die Polizei könnte sie dort abholen und in ein Flugzeug nach Serbien setzen. Dabei ist die Jugendliche ein Musterbeispiel an Integration: Sie hat in kürzester Zeit Deutsch gelernt, und sie macht eine Ausbildung, die ihr allerbeste Chancen auf einen Arbeitsplatz bietet.

26.07.2016

Von Ulla Steuernagel

Tübingen. Miljana Stojanovic kam vor drei Jahren mit ihrer Familie aus dem serbischen Vranje nach Deutschland. Das Land hatten die Eltern mit ihren drei Kinder verlassen, weil sie dort fortwährender Diskriminierung ausgesetzt waren und keine Möglichkeit hatten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Obwohl Miljana Stojanovic bei ihrer Ankunft in Baden-Württemberg kein Wort deutsch sprach, schaffte sie nach nur zwei Jahren Umgang mit der fremden Sprache den Hauptschulabschluss – Notendurchschnitt: 1,9.

Noch bevor sie im September letzten Jahres den Abschluss hatte, begann sie sich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. „Im Juni und Juli habe ich jeden Tag zehn Bewerbungen geschrieben“, sagt die junge Frau, die vor Energie sprüht. Für sie war klar, dass sie einen pflegerischen Beruf erlernen wollte. „Ich möchte kranken und alten Menschen helfen, irgendwann bin ich ja schließlich selber alt und krank und möchte, dass man mir dann hilft“, sagt Stojanovic.

Sie bekam eine Zusage von der Schule für Pflegeberufe am Tübinger Klinikum. Dort macht sie nun die Ausbildung zur Krankenpflegehelferin, die sie schon im August 2017 abschließen wird. Wegen ihrer guten Noten verkürzt sich für sie die Lehrzeit um ein Jahr. Danach kann sie sich zur Krankenpflegerin ausbilden lassen – ebenfalls mit Verkürzungsmöglichkeit. Schon 2019 könnte sie also in den Pflegeberuf einsteigen und damit in einer Branche arbeiten, in der derzeit händeringend Arbeitskräfte gesucht und aus den Philippinen und Italien eingeflogen werden. Anders als diese muss Miljana Stojanovic nicht erst mühsam deutsch lernen, sondern kann sich bestens verständigen. „Ich finde es okay, dass man die Leute hierherholt“, sagt die 18-Jährige und setzt dann hinzu: „Aber ich bin doch schon da!“

Ihre Zukunft steht momentan auf wackeligen Füßen. Nur ein glücklicher Zufall verhinderte, dass sie nicht schon wieder dort gelandet ist, wo ihre Reise begann.

In der Nacht auf Montag, 11. Juli, klingelte es nämlich an der Wohnungstür ihrer Eltern in Stuttgart. Die Polizei wollte die 18-Jährige abholen und ins Flugzeug nach Serbien setzen. Die Tochter war nur gerade nicht bei ihren Eltern und entkam so knapp der Abschiebung. Seitdem lebt sie jedoch in einem dauernden Angst- und Alarmzustand.

Wieso soll die Tochter abgeschoben werden, während die Eltern in Deutschland bleiben können? Diese Frage beantwortet der Stuttgarter Anwalt, der sich für das Aufenthaltsrecht der ganzen Familie einsetzt. Roland Kugler hatte für die Eltern und die beiden jüngeren Brüder von Miljana Stojanovic einen Härtefallantrag gestellt. Ende letzten Jahres war nämlich der Asylantrag der Familie abgelehnt worden, da Serbien in die Reihe der „sicheren Herkunftsländer“ aufgenommen wurde. „Im laufenden Verfahren hat sich dadurch die Rechtslage für die Familie verschlechtert“, so Kugler.

Die damals noch nicht volljährige Tochter hatte der Anwalt bewusst aus dem Härtefallantrag herausgehalten „Ich ging davon aus, dass deren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung wegen begonnener Ausbildung angenommen würde.“ Wäre Serbien nicht mittlerweile zu einem sicheren Herkunftsland erklärt worden, hätte die junge Frau den Aufenthaltstitel auch bekommen. So jedoch lehnte die Stuttgarter Ausländerbehörde den Antrag Ende Mai ab. Der Anwalt reichte zwar daraufhin beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf aufschiebende Wirkung ein, aber bevor dieser noch im Gericht angekommen war, war die Abschiebung schon eingeleitet worden. Selbst Kugler sah sich durch die Schnelligkeit des Verfahrens überrascht. „Ich vertrete auch Straftäter, die abgeschoben werden sollen, da dauert es oft monatelang“, wundert sich der Anwalt.

Immerhin konnte er nun mit dem zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe vereinbaren, dass solange keine Antwort des Verwaltungsgerichts vorliegt, keine weiteren Schritte unternommen werden. Miljana Stojanovic muss momentan keine weiteren Behördenbesuche fürchten. Als letzte Option sieht der Anwalt auch für sie den Härtefallantrag. Der Vorteil davon ist zugleich auch eine Nervenprobe für die junge Frau: So eine Entscheidung kann nämlich dauern.

Mittlerweile hat die junge Serbin einen riesigen Online-Unterstützerkreis mit 2500 Unterschriften bei www.change.org unter der Überschrift „Unsere Mili soll in Deutschland bleiben“ gefunden. Nicht nur der Leiter der Pflegeschule, Uwe Krämer, lobt die Schülerin als „vorbildliche, in jeder Hinsicht gewissenhafte und sowohl in der Theorie als auch in der Praxis sehr gute Auszubildende“. Auch ihre Mitschülerinnen zeigen flammendes Engagement für sie und würden alles tun, um eine Abschiebung zu verhindern. In offizieller Erklärung hört sich das so an: „Sie trägt mit ihren Beiträgen zu einem positiven Unterrichtsgeschehen und durch ihr freundliches zugewandtes Wesen zu einem guten Kursklima bei.“

Der Vorwurf, nicht integriert zu sein, lässt sich dieser jungen Frau nicht machen. Sogar als sie noch in einer Flüchtlingsunterkunft lebte, so berichtet sie, habe sie für andere übersetzt und geholfen, wann immer sie konnte. Später leitete sie anderthalb Jahre lang eine Jungschargruppe in der evangelischen Kirche in Vaihingen. Vor ihrer Ausbildung absolvierte sie zudem verschiedene Sozialpraktika. „Ich habe das alles gemacht, weil ich es wollte und wichtig fand“, sagt die junge Frau, die bislang so wenig Zeit für die eigene Jugend fand und so unsanft in ein erwachsenes Leben gestoßen wurde.

Auch Klinikums-Chef plädiert für eine Aufenthaltserlaubnis

Der Ärztliche Direktor des Uniklinikums, Prof. Michael Bamberg, tritt ebenfalls für eine Aufenthaltserlaubnis der jungen Serbin ein. Er kommentierte dem TAGBLATT gegenüber die drohende Abschiebung mit den Worten: „Wir benötigen in der Pflege qualifizierte Mitarbeiter. Der Mangel an Pflegekräften in Deutschland macht es für uns erforderlich, Pflegekräfte aus dem Ausland zu rekrutieren und für das deutsche Pflegesystem zu schulen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dass Frau Stojanovic, die bereits sehr gut in Deutschland integriert ist, eine Aufenthaltserlaubnis erhält und ihre Ausbildung in der Pflegeschule am Klinikum fortführen kann.“

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Erstellt:
26.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 52sec
zuletzt aktualisiert: 26.07.2016, 01:00 Uhr

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