Ohne viel Zauber

Die 59-jährige Renate Sieblitz-Obermeier leitet die Tübinger Hexenschule

In der Walpurgisnacht fliegen die Hexen, heißt es. Sie treffen sich auf dem Blocksberg und tanzen ums Feuer. Alles nur Märchen aus vergangener Zeit? Mit dem Fliegen könnte es schwierig werden, aber ums Feuer tanzen sie. Auch in Tübingen. Renate Sieblitz-Obermeier leitet die hiesige Hexenschule und erzählt von Ritualen, Religion und moderner Magie.

28.04.2016

Von Christine Laudenbach

Sieht sich als Teil der Natur: die Tübinger Wicca-Priesterin Renate Sieblitz-Obermeier.Bild: Metz

Sieht sich als Teil der Natur: die Tübinger Wicca-Priesterin Renate Sieblitz-Obermeier.Bild: Metz

Tübingen. In den inneren Zirkel der Tübinger Hexenschule gelangt offenbar niemand ohne Magie. Ein Treffen? Ausgeschlossen, sagt Renate Sieblitz-Obermeier am Telefon. Die Gruppe habe beschlossen, unter sich zu bleiben. Was die Runde aus momentan fünf Brüdern und Schwestern verbindet, erzähle sie jedoch gerne – allerdings an einem neutralen Ort.

Ganz so einfach zu erklären sei dies jedoch nicht, sagt die 59-Jährige dann beim Redaktionsbesuch, und beginnt bei ihren Schülern: Hausfrauen, Hartz IV-Empfänger, Studierte und Beamte gehörten zu der Runde, Menschen „aller Berufsgruppen“ eben. Aus dem Tübinger Umkreis, aus Kassel und Ansbach. Das Einzugsgebiet ist groß. Die Fluktuation leider auch. In einer Uni-Stadt sei das eben so – die Leiterin der Hexenschule geht vieles pragmatisch an.

Wicca-Zirkel sieht

sich als Teil der Natur

Innerhalb der Gruppe legt sie Wert auf Demokratie. Strenge Hierarchien, wie in manch anderen Wicca-Zirkeln, sind nicht ihre Sache. Im Zentrum steht für sie die Nähe zur Natur. „Wir sehen uns als ein Teil“ von ihr, betont die Frührentnerin, die sich fünf Jahre lang zur naturspirituellen Priesterin ausbilden ließ. Ganz gleich, ob Kräuterkunde oder Traumdeuten: Jeder bringe sich mit dem ein, was er gut kann. Auch die Treffen an sogenannten „kraftvollen“ Orten gestalte immer wieder ein anderes Mitglied. Meist zu einem bestimmten Thema, beispielsweise Schatten. Sie sollen das Verborgene ans Licht bringen, auch die Schwächen und heimlichen Talente der einzelnen. Wo diese mystischen Treffpunkte sind? Sieblitz-Obermeier lächelt und bleibt vage: hier und da, im Wald und an Quellen. „Es kommt darauf an, was wir vorhaben.“ Einsam seien sie auf ihrem Weg zu den erwählten Orten meist jedoch nicht. Gleichgesinnte, die durch die Tübinger Nacht streifen? Auch diesbezüglich hüllt sie sich in Schweigen. Nur so viel: „Sie wären erstaunt, wen man nachts im Wald alles trifft!“

Mit Besen das

Areal reinigen

Wann sich ihre Gruppe trifft, entscheide sie ganz pragmatisch – „wir sind moderne Menschen“. Ausschlaggebend sei schlicht: Wer hat wann Zeit? Die acht Jahreskreisfeste feiert der Zirkel selbstverständlich, mit traditionellen Riten in der Natur. An Walpurgis – beziehungsweise an Beltane, wie die Wicca die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai auch nennen – springen die Brüder und Schwestern durchs Feuer und schreien ihre Wünsche heraus. „Man muss sich ja überall benehmen“, erklärt sie, da sei es wohltuend, auch mal wild zu sein. Besen kommen bei der Zeremonie ebenfalls zum Einsatz. Vor Beginn reinigen sie das Areal – ein symbolischer Akt, der wie viele von den Hebammen übernommen wurde. Schon in der Antike fegten sie mit einem geweihten Besen nach der Geburt die Schwelle, um Mutter und Kind vor bösen Geistern zu schützen.

Aber wie wird man denn eine Tübinger Hexe? Ein Anruf genügt offensichtlich nicht. Vorneweg: Als Hexe würde sich Sieblitz-Obermeier nicht bezeichnen. Das Wort ist ihrer Meinung nach negativ belegt. Zumal sie auf jeglichen Zauber verzichte, auch auf Geld- und Liebeszauber. Sie bevorzugt die Bezeichnung Wicca-Priesterin.

Schutz ums Auto: Magie oder fauler Zauber?

Mit der Wicca-Bewegung kam die gebürtige Tübingerin zum ersten Mal in den 1980er Jahren in Berührung, als sie einige Jahre mit ihrem ersten Mann in den USA lebte. Zurück in Deutschland gründete sie zunächst in Heidelberg und schließlich in ihrer Heimatstadt eine Hexenschule. Aus der evangelischen Kirche ist die ausgebildete Schamanin und Reiki-Meisterin längst ausgetreten: Die internationale Wicca-Bewegung „ist für mich Religion“, sagt sie. Kontakt zu ihr und ihrem Kreis finden Gleichgesinnte heutzutage auf modernen Wegen, übers Netz. Unterwegs im Wald erkenne man sich ohnehin – Zeichen sehen und deuten.

Innerhalb der Wicca-Bewegung gibt es unterschiedliche Linien, erklärt sie, politisch aktive und eher spirituelle. Sie lege den Fokus klar aufs Spirituelle. In der Frauenbewegung war Sieblitz-Obermeier nie richtig aktiv. In den ’90er Jahren, in ihrer Zeit in der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, sei sie zwar auch auf die Straße gegangen. Als Aktivistin sehe sie sich jedoch nicht.

Im Mittelpunkt ihres Tübinger Kreises stehe das Weibliche. Als Gegenpart zur männlich dominierten Gesellschaft. Die Frauen sollen Stärke und Kraft spüren, sich selbst kennenlernen und ihre Persönlichkeit entwickeln.

Zur Hexenschule gehen daher hauptsächlich Frauen. Männer eher wenig. Ist Magie und Spiritualität nichts für den modernen Mann von heute? „Männer haben ein Problem, ihre Weiblichkeit zu finden“, erklärt Renate Sieblitz-Obermeier. Ihr jetziger Mann allerdings gehört dem Zirkel an und ist bei den Treffen „immer dabei“. Und wie steht es nun mit der Magie? Alles nur fauler Zauber? Darüber würden sie oft diskutieren. Wo fängt Magie an? Was kann als solche bezeichnet werden? Um ihr Auto ziehe sie zum Beispiel einen Schutzkreis. Und fahre seit über 40 Jahren unfallfrei. Aber ob es tatsächlich daran liegt? Auch das sieht Renate Sieblitz-Obermeier wieder ganz pragmatisch: „Im Zweifel ist mir das wurscht!“

Die Wicca-Bewegung in Kürze

Der Begriff Wicca, für „Hexer“, wurde aus dem Angelsächsischen übernommen. Die neureligiöse Bewegung versteht sich als neu gestaltete, naturverbundene Spiritualität und als Mysterienreligion.

Ihren Ursprung hat die neuheidnische Glaubensrichtung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wicca sieht sich auch als „Religion der Hexen“. Die meisten Anhänger bezeichnen sich selbst als solche.

Gemeinsam ist fast allen Wicca das Feiern der acht Jahreskreisfeste,

wie etwa Beltane (Walpurgis), Litha (Sommersonnwende) oder Jul (Wintersonnwende).

Diese Sabbate richten sich nach dem Jahreslauf.

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Erstellt:
28.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 28.04.2016, 01:00 Uhr

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