Unterwegs mit Staubsaugerverkäufern. Hinterher weiß man mehr über die Provinz und das Brot des Vertreters.

Die Blume der Hausfrau

Unterwegs mit Staubsaugerverkäufern. Hinterher weiß man mehr über die Provinz und das Brot des Vertreters.

24.11.2015

Von ust

Die Blume der Hausfrau

Staubige Provinzialität und blitzsaubere Wohnzimmer, alle Spione an den Eingangstüren sind auf Fremdlingsabwehr eingestellt. Unbekannte, gutgekleidete Männer erbitten Einlaß in die Etagenreiche. Doch in deren Innerem regiert höchstes Mißtrauen. Neben dem Kehrwochenschild könnten hier auch Schilder hängen wie: "Wir kaufen nix!" "Wir geben nix!" Nach anderthalb Stunden weiß der Zuschauer, wieviel Kraft ein Leben an dieser Front kostet. Wieviel Herausforderung es bedeutet und wie vergleichsweise sterblich der Ruhm ist, den man dafür erntet.

Der erste abendfüllende Film der Firma Vorwerk ist auf dem Markt. Pardon, der erste abendfüllende Film von Dominik Wessely, einem 32jähri-gen Absolventen der Ludwigsburger Filmakademie. "Die Blume der Hausfrau" heißt sein Werk schön lyrisch.

Der Film zeigt eine Handvoll Handlungsreisender auf Verkaufstour im Stuttgarter Raum. Alerte, nicht unsympathische junge Männer sind das. Wer in dieser Branche überleben will, dem darf man die harte Arbeit nicht anmerken. Der muß kämpfen und dabei immer einem Witz auf den Lippen tragen. Und wenn er dann untergeht, muß er noch einen eleganten Abgang hinkriegen.

Ein begnadeter Verkäufer ist zweifelsohne jemand, der einen "Kobold", für 1256 Mark komplett, an jemanden verkauft, der der Meinung ist, der eigene Staubsauger könnte für ihn gut und gerne noch lebenslang Dreck schlucken. Ein Verkäufer wie Steffen Widule ist gefährlich. Der spielt mit der Softdüse, der stufenlos von 1 auf 10 Zentimeter verstellbaren Rundbürste, der sogenannten "Blume der Hausfrau", und die Beziehung zum Alt-Staubsauger tritt unerwartet in eine kurze, schmerzvolle Trennungsphase ein.

Das Feuer der Hausfrau oder des Hausmannes entzündet sich langsam für das ungleich leistungsfähigere, neue Gerät, das auch so überzeugende Dinge wie "um die Ecke saugen" zu tun vermag. Irgendwann fragt der Mann, der vor einer halben Stunde noch ein Eindringling war, kokett: "Na, waren Sie zufrieden mit mir?" Und die Frau antwortet schon fast gurrend: "Ja, sehr."

Nun ist der Dokumentarfilm weder ein Hausfrauenreport noch eine Polemik zum kleinbürgerlichen Alltag. Ein wenig schlagen dem Zuschauer schon diese Wohnzimmer mit ihren Couchtrumms und Schrankmonstern aufs Gemüt oder die mit der Zuckerdose ringsum verteilten Bilder und Bildchen, Gestecke und Gedecke. Am Persianer-Teppich demonstriert der Verkäufer eine sensationelle Trockenreinigung auf Zellulosebasis, sein Ton changiert zwischen sachlich und scherzend. Und irgendwann hat er einen selber schon fast überzeugt.

Der Film ist kein Verkaufsfilm der Firma Vorwerk, die ja, wie sie selber nie müde wird zu betonen, fast völlig auf Werbung verzichtet und ihre Staubsauger direkt am Vertreter sprechen läßt. Wessely kommentiert nicht, er läßt die Bilder selber reden. Material hat er auf seinen Begleittouren durch die Reviere der Vertreter genug zusammenbekommen.

Das Kamerateam scheint schon nicht mehr wahrgenommen worden zu sein, so selbstverständlich ist es beim Mittagessen der Vertreter, bei der betrieblichen Weihnachtsfeier oder bei der Mitarbeiterschulung dabei, wo gerade "das Modul: Wie komme ich in eine Wohnung rein?" durchgenommen wird. Hinterher weiß man ein bißchen mehr über die Provinz, über Dreck, seine Bekämpfung und das Brot des Vertreters.

Statt in 92 Minuten hätte man diesen Stoff wohl auch in 45 Minuten gelernt, doch bis zur Entwicklung einer nächsten und vielleicht handlicheren Variante wollen wir uns an diesem (Vor-) Werk Wesselys freuen. Sicher ist, so wie der Staubsauger wird auch der Film kaum je ein Kassenschlager. Beide benötigen dringend die mündliche Empfehlung.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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