Preview

Die Frau mit dem Gewehr

„Sibel“ ist eine ungewöhnliche Emanzipationsgeschichte aus den wilden Bergen der Osttürkei.

16.12.2018

Von dhe

Die Regisseure Cagla Zencirci und Guillaume Giovanetti am Freitag im Tübinger Kino Arsenal.Bild: Anne Faden

Die Regisseure Cagla Zencirci und Guillaume Giovanetti am Freitag im Tübinger Kino Arsenal.Bild: Anne Faden

In ein abgelegenes Bergdorf im Osten der Türkei reisen, den Geschichten der Leute zuhören und aus den stärksten Motiven einen Film machen: So arbeitet das Regieduo Çagla Zencirci und Guillaume Giovanetti. An den Dreharbeiten waren alle Dorfbewohner beteiligt, sagten die beiden Filmemacher bei der Tübinger Preview am Freitag im Kino Arsenal. Die Einheimischen fungierten als Fahrer und als Beobachter. Sie kommentierten das Verhalten jeder Figur, zustimmend, mit Verbesserungsvorschlägen oder kritisch. Frauen kochten für das Filmteam.

Das Dorf in den Waldschluchten nahe der türkisch-georgischen Grenze interessierte die Regisseure, weil die Bauern dort noch immer eine alte Pfeifsprache benutzen, um sich bei der Feldarbeit an den steilen Hängen auch über weite Distanzen verständigen zu können. „Ohne Handys und Autos wäre es dort wie vor 500 Jahren.“

Die 25-jährige Sibel (Damla Sönmez) ist stumm. Für sie ist die Pfeifsprache die einzige Verständigungsmöglichkeit. Die anderen Dorfbewohner meiden die junge Frau und verhöhnen sie als Unglücksbringerin. Nur der Vater, Bürgermeister und Ladenbesitzer, hält zu ihr. Die Mutter ist tot. „Sibel ist anders. Sie ist unabhängig“, erläuterte Giovanetti.

Sie hält sich mehr in den Wäldern auf als im Dorf und sucht nach Wolfsspuren. Doch das raubtiermäßige Grunzen, das man einmal zu hören meint, klingt eher nach Bär als nach Wolf. „Es war ein wilder Eber“, sagte Zencirci. Im Wald stößt Sibel auf den Deserteur Ali, zugleich verletzt und bedrohlich. Vielleicht abgesehen von ihrem Vater ist er der erste, der sie mit anderen Augen sieht. „Seine Funktion im Film ist es, etwas in Sibels Leben und in dem der Dorfbewohner aufzubrechen“, sagte Giovanetti.

Ali hat sich von der türkischen Armee abgesetzt. Damit zieht der Film die Konfliktlinien bewusst innerhalb der türkischen Gesellschaft. „Es gibt keine Migranten und keine Kurden in der Region“, sagten die Filmemacher. Aber sie wollten auch nicht, dass die Figur allzu leicht abgetan werden kann: „Ah, er ist Kurde. Oder: Er ist halt ein Revoluzzer aus der Großstadt.“ Von den Frauen im Dorf hörten sie, diese hätten eine Figur wie Sibel beneidet oder beneiden können, aber sie hätten sie vielleicht auch verprügelt.

Die regenreiche Gegend bietet günstige Bedingungen für den Anbau von Tee, Haselnüssen und Mais. Ist es realistisch oder Fiktion, dass eine Frau in den ausgedehnten Wäldern allein auf die Jagd geht? „Dort kann jeder mit einer Waffe umgehen“, sagten die Regisseure. „Der einzige, der keine Waffe hat, ist Ali.“

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Erstellt:
16.12.2018, 18:15 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 16.12.2018, 18:15 Uhr

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