Biotech
Curevac in Tübingen: Die Impfstoff-Hoffnung
Curevac aus Tübingen gilt vielen schon als Heilsbringer im Kampf gegen das Coronavirus. Doch in den kommenden Monaten muss sich erweisen, ob die RNA-Technologie aus dem Ländle funktioniert.
Das Wachstum
Für Curevac war im Frühsommer ein EU-Kredit von 75 Millionen Euro noch eine Meldung wert, danach ging es Schlag auf Schlag: GlaxoSmithKline stieg mit 150 Millionen ein, der katarische Staatsfond QIA mit 110 Millionen, der Bund mit 300 Millionen. Der Börsengang im August brachte rund 250 Millionen. Zuletzt schüttete das Forschungsministerium weitere 252 Millionen Euro über Tübingen aus.
Die Curevac-Entwicklung ist ein echter Geldfresser: 200 Mitarbeiter will das Unternehmen kurzfristig neu einstellen. Leute aus 40 Nationen arbeiten in Tübingen und es werden weiter weltweit Wissenschaftler, Ingenieure, Projektmanager gesucht. Zum Ausbau der Produktion braucht Curevac zudem Labor-Assistenten en masse.
Grob drei Viertel der Börsen-Millionen könnten am Ende in die Impfstoff-Entwicklung, ein Viertel in die Produktion fließen. Derzeit beginnt in Peru und Panama die zweite Phase der Impfstoff-Tests: zwei Impfungen im Abstand von rund vier Wochen an knapp 700 Menschen, um Wirkung, Nebenwirkungen und Sicherheit zu prüfen
Die geplante Revolution Vor 2020 waren es vor allem mutige Biotech-Mäzene wie der SAP-Gründer Dietmar Hopp oder die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung, die Geld in Curevac gesteckt haben. In der Branche ist es eben alles andere als sicher, dass Investoren ihr Geld wiedersehen. Selbst der Microsoft-Gründer Gates sagte kürzlich, erst in zehn Jahren hätte man mit der mRNA-Technologie dem Virus mit wirklich breiter Brust begegnen können.
Wenn mit Hilfe der Anti-Corona-Milliarden gezeigt wird, dass es funktioniert, wäre das eine Revolution: mRNA-Daten könnten mit einem Mausklick um die Welt geschickt werden, wo sie gegen Krankheiten eingesetzt werden könnten. Ein Segen für Milliarden?– und ein Milliardengeschäft.
Das Rennen
Schon seit März produziert Curevac den Impfstoff-Anwärter CVnCoV auf Verdacht: Das Unternehmen will sofort in die Verteilung gehen können, wenn die Zulassung da ist. Ein „signifikanter dreistelliger Millionenbetrag“ an Dosen könne bis Ende 2021 ausgeliefert werden. Dafür baut Curevac derzeit. Von 2022 an soll eine Großanlage mit Blick auf die Schwäbische Alb im Milliarden-Maßstab produzieren.
Curevac-CEO Haas weiß, dass prominente Mitbewerber mit dem Impfstoff schneller sein könnten. Doch angesichts Milliarden benötigter Dosen und Qualitäts- und Distributions-Nöten überall auf der Welt zeigen sich die Tübinger sicher, früh genug und stark in den Markt einsteigen zu können.
Und parallel entwickelt Curevac seine „mRNA-Drucker“. Das sind mobile Einheiten, die unabhängig von Großanlagen überall schnell Wirkstoff liefern sollen – eine Kooperation mit der deutschen Tesla-Tochter Grohmann.
Der Rummel
Überhaupt, Tesla: Dessen CEO Elon Musk war mit seinem jüngsten Besuch in Tübingen einer der zahlreichen Größen im Curevac-Umfeld, die das Messias-Image des Unternehmens anheizen. Als Curevac-Share- oder Stakeholder traten Wirtschaftsminister Peter Altmaier, EU-Chefin Ursula von der Leyen, Bill Gates, Dietmar Hopp und Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf. Medienwirksam ließ sich Tübingens OB Boris Palmer in die Reihe der ersten Impfstoff-Probanden aufnehmen.
Curevac ist derzeit das unbestrittene Aushängeschild für den Hochtechnologie-Standort Tübingen – und das in einer Zeit, in der Global Player wie Bosch und Amazon große Forschungszentren im Neckar-Städtchen hochziehen. Das erste Mal in seiner Wirtschaftsgeschichte steht das kleine Tübingen an der Spitze einer akuten, weltweiten Dynamik.
Das Drama
Greifbar war die Dramatik dieses Jahres binnen weniger Tage Anfang März. Dan Menichella, damals noch Curevac-CEO, sprach im Weißen Haus vor Präsident Donald Trump über Impf-Technologien gegen Corona. Gerüchte schossen ins Kraut: Wollte der Egomane Trump die Tübinger Produktion einfach wegkaufen? Das Unternehmen dementiert bis heute glaubhaft – doch in der komplexen politisch-wirtschaftlichen Gemengelage übernahm sofort der Curevac-Gründer Ingmar Hoerr wieder das Ruder als CEO.
Wohin die Reise des Dynamikers Hoerr, der die mRNA-Technik in Tübingen noch als Doktorand ersonnen hatte, künftig geht, ist noch nicht verkündet. Doch die Botschaft aus dem Tübinger Technologiepark lautete: Es geht aufwärts.
Die Herausforderung: Impfen mit mRNA
mRNA (messenger RNA, auf Deutsch Boten-RNA) ist ein körpereigenes Molekül, das in der Zelle als „Bote“ zwischen den Genen und den Produktionsstätten wichtiger Eiweiße dient. Von Curevac industriell hergestellt, soll mRNA dem Körper Informationen über Angreifer liefern, die er selbst noch nicht kennt: Er kann dann seine eigene Medizin herstellen.
Deshalb spricht Curevac auch von einem „natürlichen Mechanismus“. Das Unternehmen teilt mit, dass es mRNA vorbeugend gegen Virusinfektionen, aber auch heilend oder lindernd gegen Krebs oder Stoffwechselerkrankungen anbieten kann. Eine Leistung des Unternehmens ist unter anderem, die mRNA in die Zellen zu bringen, ohne dass der Körper sie zuvor vernichtet. Für den Vertrieb ist zudem sicherzustellen, dass der Impfstoff unkompliziert zu lagern ist. - eik
Zum Dossier: Curevac: Die Tübinger Impfstoff-Hoffnung