Die Lebenden reparieren

Die Lebenden reparieren

Die Eltern des jungen, hirntoten Simon stehen vor der schwierigen Entscheidung, ob sie dessen Körper für Organspenden freigeben sollen.

05.12.2017

Von Madeleine Wegner

Die Lebenden reparieren
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Im frühen Morgengrauen wirft Simon noch einen letzten Blick auf seine schlafende Freundin. Dann springt er aus dem Fenster. Der 17-Jährige rast mit dem Rad durch die schlafende Stadt. Zusammen mit zwei Kumpels fährt er in einem alten Lieferwagen von Le Havre aus an die Küste zum Surfen. Sie springen ins eiskalte Wasser. Großartige Aufnahmen, teils unter Wasser gefilmt, erzählen in tiefem Blau von der Weite dieses jungen Lebens, das alle Zeit der Welt zu haben scheint, um auf die perfekte Welle zu warten. Und wie es mit einem Schlag wenig später vorbei ist.

Schädel-Hirn-Trauma. Simon (Gabin Verdet) liegt im Krankenhaus. In einem Koma, aus dem er nie wieder erwachen wird, so die Einschätzung der Ärzte. Damit tritt zugleich ein seltener Fall ein: junger Mensch, hirntot, keine Vorerkrankungen – der perfekte Körper für Organspenden. Die schwierige Entscheidung müssen nun Simons Eltern (Emmanuelle Seigner, Kool Shen) fällen.

Dann die andere Seite. Claire (Anne Dorval) mit ihren fast erwachsenen Söhnen, liebevoller Umgang miteinander. Auch Claires Zeit läuft ab, doch sie weiß, wie wenig ihr noch bleibt durch ihre Herzerkrankung. Katell Quillévérés Verfilmung des gleichnamigen Bestseller-Romans von Maylis de Kerangal zeigt nicht nur, wie zwei Leben durch eine Organspende miteinander verbunden werden. Sie zeigt ein ganzes Mosaik aus Figuren, die durch den Unfall und die Transplantation miteinander verbunden sind und die auch selbst in ihrem Geflecht aus Familie und Beziehungen verstrickt sind. So lebt Claires Beziehung zu ihrer früheren Geliebten wieder auf, die sie offenbar nur wegen der schweren Krankheit verlassen hat. In Rückblenden sieht man Simon, wie er die Liebe seiner Freundin gewinnt.

Einige der vielen anderen Figuren gewinnen durch Kleinigkeiten Kontur: die schüchterne Assistenzärztin, die Krankenpflegerin mit ihrem Knutschfleck, der junge Arzt mit einem Faible für einen seltenen Singvogel. Die Spuren anderer Figuren verlaufen im Nirgendwo, als ob der Film das Interesse an ihnen verloren hätte. Es ist ein Mosaik aus Portraits, manche mit nur wenigen Strichen skizziert.

An die wesentlichen Fragen traut sich der Film jedoch nicht heran: Warum entscheiden sich Simons Eltern plötzlich doch dafür, den Körper zur Organspende freizugeben? Wie finden sie zu einer Antwort auf die Frage, was ihr Junge gewollt hätte? Und was ist mit Claire, die eben noch philosophierte, dass ihre Zeit vielleicht einfach abgelaufen ist? Die sich fragt, ob sie wirklich mit einem fremden Herzen leben will?

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Erstellt:
05.12.2017, 11:25 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 05.12.2017, 11:25 Uhr

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