Jane Goodall: Tiere haben eine Persönlichkeit

Die Pionierin der Primatenforschung füllte den größten Saal – und lehnt Tierversuche heftig ab

Sie kam über den Seitengang hinunter in den Hörsaal N 6 auf der Morgenstelle. Eine kleine Frau, in einer Art praktischem Wettermantel, eher zurückhaltend-erstaunt in die vollbesetzten Reihen blickend – 700 Menschen füllten den Saal. Und nicht wenige standen schon auf zur standing ovation, kaum dass sie die Frau gesehen hatten.

09.12.2016

Von Wolfgang Albers

Mit Ovationen gefeiert: Jane Goodall lockte 700 Zuhörer in den Hörsaal.Bild: Ärzte gegen Tierversuche

Mit Ovationen gefeiert: Jane Goodall lockte 700 Zuhörer in den Hörsaal.Bild: Ärzte gegen Tierversuche

Jane Goodall. 82 Jahre alt, eine Jahrhundert-Frau. Von den Zeiten, die sie erlebt hat, von ihrer Lebensleistung her – und wegen ihrer aktuellen Präsenz. 300 Tage im Jahr, so heißt es, ist sie weltweit rastlos in Sachen Tierschutz unterwegs. Ausgebucht. Und kaum in Deutschland, schon wieder weg. Stuttgart und München, das waren ihre Termine. Bis die „Ärzte gegen Tierversuche“ ihr Netzwerk beackerten und einen dritten Termin herausschlugen: in Tübingen.

Ganz gezielt war dieser Ort gewählt worden, berichtete Claus Kronaus, der Geschäftsführer des Vereins, der in Köln sitzt: „An vier Stellen gibt es in Tübingen Affenhirn-Forschung – deshalb sind wir hier.“ Und als Kronzeugin gegen diese Versuche sei niemand besser geeignet als Jane Goodall: „Sie hat unsere Weltsicht auf den Kopf gestellt, weil sie gezeigt hat, dass auch Tiere Emotionen haben.“

Und Leid empfinden wie Stella, jene Affenfrau, deren Sterben in dem Tierversuchs-Aufnahmen, die aus dem Max-Planck-Institut geschmuggelt wurden, dargestellt ist. Stellas Tod hat der Duisburger Musiker Magnus anklagend besungen: „Wofür soll das gut sein?“

Das Video mit Aufnahmen von Affen, die in Gerüste eingeklemmt sind, hatte Patrick van Veen einspielen lassen. Der niederländische Biologe ist im Jane Goodall Institut für Europa zuständig und moderierte den Abend. Durchaus anheizend wie mit dem Stella-Video, aber auch mit einem Kurzfilm über Versuche mit Kleinkindern und Schimpansen. Deren Ergebnis: Die Affen waren viermal so fix dabei, eine Situation zu begreifen und kooperativ zu lösen. „Das macht uns die unglaubliche Intelligenz von Schimpansen klar“, sagte Patrick van Veen.

Goodall kann auch kämpfen

Was heute nicht gerade eine Neuigkeit ist – aber wissenschaftliche terra incognita zu Jane Goodalls Zeiten. Es war ihre bahnbrechende Entdeckung, die sie als junge Frau in Tansania, im Gombe-Nationalpark, machte: Dass Affen nicht nur Werkzeuge benutzten, sondern diese auch anfertigten. Es öffnete ihr, der gelernten Sekretärin, den Weg für eine Doktorarbeit in Cambridge. Keine leichte Zeit, denn die etablierte Forscherzunft stellte die Quereinsteigerin als unwissenschaftlich hin: Schon, dass sie ihren Tieren Namen statt Nummern gegeben hatte!

Jane Goodall erzählt das nicht ungern – ist sie doch längst eine etablierte Autorität: „Sie hatten Unrecht! Tiere haben eine Persönlichkeit!“ Da steckt natürlich auch eine Botschaft dahinter: Man soll sich nicht unterkriegen lassen in dem, was man für richtig hält. Man soll sein Hirn einschalten, darauf bestand sie immer wieder im Laufe des Abends: „Wir haben diesen Verstand, und es ist Zeit, ihn zu benutzen!“

Ja, Jane Goodall kann auch, trotz leiser Stimme, kämpferisch. Das hat das Leben sie gelehrt: Arm seien sie in ihrer Jugend gewesen, am Leib trug sie nur gebrauchte Kleidung, und Bücher holte sie in der Bücherei oder im Antiquariat. Wie „Tarzan und die Affen“. Mit zehn Jahren kaufte sie das Buch, kletterte in ihren Lieblingsbaum, las sich durch von Buchdeckel zu Buchdeckel - und war Afrika verfallen. Einen Makel hatte das Buch allerdings: „Tarzan hat die falsche Jane geheiratet.“

Dafür verband sich die richtige Jane lebenslänglich mit den Affen. Seit langen ist sie für ihren Schutz engagiert – indem sie etwa versucht, vor Ort die Einwohner in den Tierschutz einzubinden. Und indem sie eine klare Haltung zum Umgang mit Affen hat.

Die Erwartungen, die die „Ärzte gegen Tierversuche“ hatten, erfüllte sie und sprach sich deutlich gegen Tierversuche aus: „Wir haben nicht das moralische Recht, Folter auf andere Kreaturen zu verhängen, bloß weil sie nicht menschlich sind.“

Auch die Bäume senden Signale

Zumal sie Tierversuche für sinnlos hält und eine Studie zitiert: „Wie viele Experimente nutzen dem Menschen? Nicht eines!“ Und wenn doch? „Das rechtfertigt nicht, solche Schmerzen und solche Angst bei Tieren zu verursachen. Wir sollten Alternativen entwickeln, besonders für die Primaten: Sie sind uns so ähnlich!“ Wobei Jane Goodall den Schutz auch auf andere Tiere wie Tintenfische („wir lernen so viel von diesen Tieren“) ausgedehnt sehen will. Selbst die Bäume sind ihr aufgefallen: „Sie senden Signale, wenn sie von den Bulldozer attackiert werden.“

Es auf andere Weise tun

Nutzen diese Appelle etwas? Jane Goodall hat schon den Eindruck: „Ja, es ist ein langer Weg, aber ich sehe einen Wandel. Es sind schon viele Schimpansen aus Experimenten entlassen worden. Ich setze meine Hoffnung auf die Zukunft, deshalb arbeite ich so hart.“

Aufstehen, sich engagieren - das ist ihr wichtig: „Jeder Einzelne hat Einfluss jeden Tag, und jeder hat die Wahl. Befreie deinen Geist und nutze ihn, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen.“

In Sachen Experimente heißt das: „Wir können es auf andere Weise tun, und je eher wir das tun, um so besser stehen wir da.“ Das „Yes we can“ der Jane Goodall. Der ganze Saal feierte sie mit standing ovations.

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Erstellt:
09.12.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 09.12.2016, 01:00 Uhr

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Paul Töbelmann 09.12.201609:32 Uhr

Eine großartige Frau, ein toller Vortrag, inspirierend! Zumindest bis so ca. Minute 50. Besonders viel über Tierversuche wissen tut JG offenbar nicht. Wie man sich ernsthaft hinstellen und behaupten kann, Experimente mit Affen hätten dem Menschen noch nie einen Nutzen gebracht – finde ich schwer nachzuvollziehen für eine Wissenschaftlerin. Tiefenhirnstimulation schonmal gehört? Worüber hunderttausend erfolgreich behandelte Parkinson-Patienten weltweit froh und dankbar sind? Nur so als Beispiel!

Ja, Affen sind uns ähnlich. Ob man an ihnen experimentieren darf (und weiterführende Fragen, z.B. ob man an Mäusen experimentieren, ob man Schweine essen, ob man Hunde als Haustiere halten darf...), darüber kann man geteilter Meinung sein und dann eine ethische Debatte führen. Aber doch bitte nicht auf der Basis falscher Annahmen.

Und sonst noch: Auch gegenüber der Primatenspezies Mensch haben wir Verantwortung. Tiere in Versuchslaboren tun mir leid; kranke Menschen tun mir leider!

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