Nordstetten/Rottweil · Justiz

Die Plädoyers lassen weiter auf sich warten

Der jüngste Verhandlungstag im Riecher-Prozess endete abrupt mit einem Befangenheitsantrag.

10.12.2019

Von Manuel Fuchs

Landgericht Rottweil Archivbild: Manuel Fuchs

Landgericht Rottweil Archivbild: Manuel Fuchs

Am Montagvormittag hatte die 1. Schwurgerichtskammer des Rottweiler Landgerichts sogenannte Hinweise geäußert, welcher Geschehensablauf am Tatabend, dem 2. November 2018, in Michael Riechers Nordstetter Wohnung für sie „auch in Betracht komme“ (wir berichteten ausführlich).

Im Kern eröffneten die Hinweise die Möglichkeit, dem ersten Angeklagten die Alleinschuld am Tod Michael Riechers zuzuerkennen, was als Mord gewertet werden könnte. Der zweite Angeklagten würde unter Umständen lediglich wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung verurteilt, was ein deutlich geringeres Strafmaß nach sich zöge.

Am Nachmittag trug der Sachverständige Dr. Charalabos Salabasidis ein psychologisches Gutachten über den zweiten Angeklagten vor, welches unter anderem auf zwei Gesprächen der beiden Männer basierte. Dabei habe der Sachverständige keine psychopathologischen Auffälligkeiten erkennen können. Aggressive Tendenzen zeige der Angeklagte nicht, seine kognitiven Fähigkeiten, sein Urteilsvermögen und seine Einsichtfähigkeit seien intakt: Er war „durchaus in der Lage, zu erkennen, dass diese Tat“ – nämlich das Eindringen in Michael Riechers Wohung – eine strafbare, sozial inakzeptable Handlung darstellte“, formulierte Salabasidis. Die Wahrscheinlichkeit, dass der zweite Angeklagte innerhalb der nächsten zehn Jahre erneut straffällig werde, bezeichnete der Sachverständige „gering bis moderat“, was der Stufe 4 einer neunstufigen Skala entspreche.

Welche Rolle spielten Drogen?

Der zweite Angeklagte konsumiert nach eigenen Angaben regelmäßig Haschisch, am Tattag will er drei Joints geraucht haben. Dies könnte sein Verhalten natürlich beeinflusst haben, sagte Salabasidis auf Nachfrage, die Substanz THC wirke jedoch tendenziell beruhigend, nicht aufstachelnd. Nach Darstellung des zweiten Angeklagten sei er von der – letztlich tödlichen – Attacke seines mutmaßlichen Komplizen auf Michael Riecher derart überrascht gewesen, dass er erstarrt sei und nicht habe einschreiten können. Einige Prozessbeteiligten zweifelten diese Darstellung an. Salabasidis meinte, vollständiges Erstarren sei angesichts der Persönlichkeit des zweiten Angeklagten in der Tat unwahrscheinlich.

Der erste Angeklagte hatte einer Untersuchung durch Salabasidis nicht zugestimmt, auch seine Krankenakte nicht freigegeben. Beobachtungen, die der Sachverständige während der Hauptverhandlung machen konnte, seien nicht geeignet, um belastbare Erkenntnisse zu formulieren. Dass manche Zeugen den ersten Angeklagten als sympathische Person, andere als geldgierig und notorischen Lügner beschrieben haben, sei keine Basis, um eine defizitäre Persönlichkeitsentwicklung zu konstatieren.

Anrufversuch am Tatabend

Ein weiterer Sachverständiger, ein LKA-Beamter mit dem Spezialgebiet Mobilgeräteforensik, war auf Antrag der Verteidigung des ersten Angeklagten geladen worden. Der zweite Angeklagte hatte ausgesagt, er habe am Tatabend um kurz vor 19 Uhr zweimal versucht, den ersten Angeklagten über einen Whatsapp-Anruf zu kontaktieren. Beide Versuche seien fehlgeschlagen. Die Smartphones beider Angeklagten protokollierten jedoch zum fraglichen Zeitpunkt eine 43-sekündige Gesprächsverbindung. Sollte dieser Teil der Aussage des zweiten Angeklagten widerlegt werden, so führten die Anwälte des ersten Angeklagten aus, sei die Glaubwürdigkeit der Aussage insgesamt beschädigt.

Der Forensiker erklärte, eine Gesprächsverbindung werde nur wie vorliegend protokolliert, wenn ein Gesprächsteilnehmer den anderen anrufe und dieser den Anruf aktiv annehme. Es habe also in jedem Fall eine Verbindung bestanden. Ob die beiden Angeklagten tatsächlich kommuniziert haben oder ob beispielsweise technische Schwierigkeiten eine Unterhaltung unterbanden, konnte der Forensiker nicht sagen.

Die Tatsache, dass die Kammer am Vormittag die genannten Hinweise geäußert hatte und erst am Nachmittag den Sachverständigen für Mobilgeräteforensik anhörte, machte den ersten Angeklagten und Alexander Hamburg, einen seiner Verteidiger, hellhörig. Hamburg äußerte die Besorgnis, die Kammer könne befangen sein und stellte einen entsprechenden Antrag. „Befangenheit ist ein innerer Zustand des Richters, der seine Unparteilichkeit störend beeinflussen kann“, führte er aus. Innere Zustände entziehen sich der Beweisbarkeit, daher genüge ein Umstand, um einen Ablehnungsantrag zu stellen. Hierbei komme es allein auf die Perspektive des Ablehnenden an.

Der am Morgen des Verhandlungstages vorgetragene rechtliche Hinweis erwecke den Eindruck, die Richter haben sich bereits entschieden und es komme es auf das Sachverständigengutachten nicht mehr an – „als würde die Kammer die Einlassung des zweiten Angeklagten Glauben schenken.“ Die Terminknappheit liege in der Verantwortung der Kammer, fügte er mit Blick auf die nur zwei noch ausstehenden Verhandlungstage hinzu. Es sei jedenfalls nicht Aufgabe seines Mandanten, die Beweisaufnahme gegen ihn voranzutreiben. Das Vorgehen der Kammer habe dessen Vertrauen in die Unvoreingenommenheit der Richter beschädigt.

Weiterer Verfahrensablauf

Dem Vorsitzenden Richter Karlheinz Münzer blieb nur, die Hauptverhandlung zu schließen. Bis zum nächsten Verhandlungstag am Donnerstag, 19. Dezember, muss das Landgericht über den Befangenheitsantrag entscheiden. Sollte er zurückgewiesen werden, blieben nach derzeitigem Terminplan mit dem 19. und dem 20. Dezember noch zwei Tage für acht Plädoyers und die Urteilsverkündung – eine straffe Taktung. „Das kann reichen, das kann auch nicht reichen“, erläuterte Thomas Geiger, Sprecher des Landgerichts, auf Anfrage der SÜDWEST PRESSE. Sollte für die Urteilsverkündung ein Fortsetzungstermin nötig werden, müsse dieser laut Strafprozessordnung spätestens am elften Tag nach dem letzten Plädoyer liegen – was in diesem Fall Silvester wäre.

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Erstellt:
10.12.2019, 16:21 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 10.12.2019, 16:21 Uhr

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