Kulturphänomene (118)

Die Rockmusik, der Tod und die Unsterblichkeit

Die Rockmusik ist in die Jahre gekommen. Und es geschieht das Unausweichliche: viele ihrer Heroen sterben. Was tut man dagegen? Man lädt zur „Grave Chapel Radio Show“! Dieter Thomas Kuhn und Rudie Blazer nahmen den Tod zahlreicher Musikgrößen zum Anlass, eine Reihe von Konzerten in einer ausrangierten Autohalle zu geben. Sie intonierten ausschließlich Titel von Musikern, die bereits verstorben sind: „Songs from above“. Und während die richtigen Kirchen immer leerer werden, mussten Kuhn und Co in einer nachgestellten Grabeskapelle ihre Radio Show gleich mehrfach aufführen, der Andrang war groß.

17.02.2018

Von Urban Wiesing

Urban Wiesing, Direktor des Tübinger Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, ließ sich von den „Songs from above“ zu dieser Nachbetrachtung als Gastbeitrag unserer Serie anregen.Archivbild

Urban Wiesing, Direktor des Tübinger Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, ließ sich von den „Songs from above“ zu dieser Nachbetrachtung als Gastbeitrag unserer Serie anregen.Archivbild

Es geht also um Musik aus der Vergangenheit und um die Vergänglichkeit ihrer Schöpfer. Denn auch des Rockmusikers irdische Zeit ist begrenzt, zuweilen sogar ziemlich begrenzt, was auch schon mal dem berufstypischen Lebensstil geschuldet ist. So wird die Rockmusik zur Ehre ihrer Schöpfer in neuem Gewande intoniert, für kurze Zeit in einer angedeuteten Kapelle zum Museumsstück, in der Hoffnung auf Unsterblichkeit. Wenn die Schöpfer dieser Musik dem unerbittlichen Schicksal der Sterblichkeit nicht entrinnen konnten, so möge doch wenigstens ihre Musik weiterleben. Begrenzte irdische Lebenszeit der Künstler möge durch unbegrenzte Lebenszeit ihrer Werke kompensiert werden. Ja möge sich die Eigenschaft ihrer Werke auf die Musiker übertragen: So können sie selbst durch die Langlebigkeit ihrer Werke unsterblich werden. Auch in der Rockmusik kann man sich offensichtlich mit der eigenen Vergänglichkeit nur schwer anfreunden. Da greift man schon mal auf tröstende Anleihen aus der Religion zurück. Der Titel der Show „Songs from above“ ist nicht ganz korrekt, denn die Musik ist samt und sonders auf Erden entstanden, nur ihre Schöpfer befinden sich derzeit „above“. Was man sich unter „above“ vorzustellen habe, ließen Titel und Bühne der Show erahnen. Ein barockes Bühnenbild, eine seitliche Kanzel, die verstorbenen Musiker als Heiligenbilder und eine Predigt als unmissverständliche Hinweise auf eine Kirche. Und so darf man gewiss sein, „above“ herrscht Unsterblichkeit. Und um von diesem wundersamen Zustand etwas auf die Erde zu holen, werden nun Songs vermeintlich „from above“ intoniert. Nein, der Rockmusiker betet nicht für die Seelen der Verstorbenen, er kramt ihre Musik hervor und lässt sie noch einmal erklingen. Und immerhin, er bleibt sich dabei treu. Die Inszenierung in der angedeuteten Grabeskapelle gerät dann doch nicht zur traurigen Totenmesse, sondern zur heiteren Show – nicht Einkehr, sondern musikalische Spielfreude wird geboten. Die Lebenslust kann sich in die Feier zu Ehren der Verstorbenen hinüberretten. Es soll ja auch kein trister Totensonntag werden.

Der Ort der Inszenierung, von Kuhn und Co geschickt gewählt, symbolisiert die Vergänglichkeit. „The autohouse formerly known as Matejka“ wird zur Grabeskapelle und unterstreicht den schnellen Wandel unserer Zeit und die Vergänglichkeit. Gestern noch Autohaus, dient es heute der sakralen Feier zum Tode der Musiker und zur Unsterblichkeit ihrer Werke. Während Musiker und Publikum unweigerlich altern und mehr oder weniger bewusst ihrem Ende entgegengehen, soll die Musik davor bewahrt werden in der verzweifelten Hoffnung, dies trage irgendwie auch zur Unsterblichkeit der Musiker bei. Ein menschliches Urthema schleicht sich in die einstige Autohalle: So denkt der Mensch wohl auch in der Rockmusik zu Lebzeiten über den Tod hinaus. Die Ägypter bauten mit den Pyramiden „Häuser der Ewigkeit“ für das Leben der Pharaonen im Jenseits. Kuhn und Co lieben es weniger gigantisch, dafür aber ironisch: Sie geben Gedenk-Konzerte in einer simulierten Grabeskapelle.

Die Rockmusik war einst angetreten, um dem Zeitgeist etwas Neues entgegen zu setzen. Weg von dem Vorhandenen, ja gegen das Vorhandene sollte etwas Neues erklingen, und nicht nur Neues, sondern Besseres: freier, emotionaler, authentischer, zeitgemäßer, wilder, lauter, einfach geiler sollte die Rockmusik sein. Fortschritt sollte es sein. Eine Richtung dieser neuen Musik, die „progressive Rockmusik“, hat sich die Zukunftsorientierung gleich im Namen festschreiben lassen. Nun ertönt diese Musik in einer Friedhofskapellen-Show. Was zur eigenen Jugend noch dem Protest und der Auflehnung diente, gerät bereits in späteren Abschnitten des eigenen Lebens zum musealen Objekt, das der vergnüglichen Konservierung wert ist und sich zur Wiederaufführung mit sakralen Anleihen eignet. Die Beschleunigung der Lebenswelt macht vor der musikalischen Alltagskultur keinen Halt und die Musealisierung ereilt die Rockmusik recht schnell. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass die Rolling Stones mittlerweile zur besten Coverband der Rolling Stones geworden sind. So wie futuristische Tankstellen aus den 70er Jahren plötzlich zu Baudenkmälern werden, so scheint es auch der Rockmusik zu ergehen. Das Adjektiv „klassisch“, bislang vor allen der Musik von Haydn, Mozart und Beethoven vorangestellt, ziert nun auch die Rockmusik - zumindest ihre besseren Stücke.

Die Instrumentalisierung der Songs unterstützt den Trend zu Musealisierung: Als Tasteninstrumente dienten nur ein Klavier und eine alte Hammondorgel. Die Synthesizer-Parts werden auf einer alten Hammond Orgel gespielt, einem Instrumententyp, der seit den 70er Jahren nicht mehr hergestellt wird. Also wurde ein Teil der vorgetragenen Stücke geschrieben, als dieses Instrument schon gar nicht mehr gebaut wurde. Während man in der klassischen Musik den Trend beobachten kann, Musikstücke auf zeitgenössischen Instrumenten zu spielen (Barockmusik auf original Barockinstrumenten), gehen Kuhn und Co einen Schritt weiter: Die Stücke werden nicht auf den Originalinstrumenten, sondern auf vororiginalen Instrumenten intoniert, so als ob man Musik des 19. Jahrhunderts auf Barockinstrumenten spielen würde. Und das alles im Dienste der
Unsterblichkeit ihrer Schöpfer. Die Menschheit ist um ein vergnügliches Totenritual reicher.