Neckarbrücke trägt Bahn nicht

Die Schwächen der alten Neckarbrücke: Für eine Regionalstadtbahn wäre ein teurer Neubau nötig

Die Eberhardsbrücke mitten in Tübingen ist nicht sicher. Das haben die Gutachter des Ingenieurbüros Haisch aus Backnang in einer Machbarkeitsstudie im Auftrag der Stadt Tübingen herausgefunden.

18.11.2016

Von Gernot Stegert

Die Bögen der Eberhardsbrücke sind aus Stampfbeton. Eine Stadtbahn drüberfahren zu lassen, wäre zu riskant, sagen Gutachter. Bild: Metz

Die Bögen der Eberhardsbrücke sind aus Stampfbeton. Eine Stadtbahn drüberfahren zu lassen, wäre zu riskant, sagen Gutachter. Bild: Metz

Die Frage lautete: Genügt die Tragfähigkeit der 1901 gebauten Brücke für den heutigen Schwerlastverkehr, erst recht für eine mögliche Regionalstadtbahn? Ergebnis: Das Risiko ist groß.

Wie lange die Brücke überhaupt hält, ist unklar. Die Gutachter schreiben: „Die Eberhardsbrücke hat mit dem heutigen Stand ihre geplante Lebensdauer von 100 Jahren bereits leicht überschritten. Inwieweit der Stampfbeton und die Lager bereits so geschädigt sind, dass ein Versagen infolge Materialermüdung in naher Zukunft auftritt, kann ohne weitere Untersuchungen nicht abschließend beurteilt werden.“ Weiteres Material für Proben zu entnehmen, würde die Tragfähigkeit gefährden.

Eindeutig würde die Last einer Stadtbahn Statik der Bögen aus Stampfbeton und der Gelenke im Inneren überfordern – um 28 Prozent des Drucks. Auch die Gesamtlast sei zu hoch. Während derzeit maximal 384 Tonnen auf der Brücke lasten, wären es durch eine Stadtbahn des Typs GT8 der Firma Stadler, durch die Bahnsteige und die Fahrgäste bis zu 508 Tonnen. Das Fazit der Studie: „Im Hinblick darauf wird empfohlen, die Konstruktion nicht für eine Stadtbahnnutzung zu verwenden.“

Die Gutachter schließen eine Verstärkung der Brücke ebenso wie einen Teilneubau aus. Für sie „scheint ein Ersatzneubau die wirtschaftlichste Lösung, wenn die Stadtbahn geplant ist“. Die Kosten beziffert das Büro Haisch auf 10 Millionen Euro, bei Durchführung eines Wettbewerbs „erheblich mehr“. Der Bau könne gesondert für die beiden Brückenseiten erfolgen, so dass Busse noch passieren könnten.

Für die Stadt kommt auch keine andere Trassenführung in Frage. Schließlich sollen möglichst viele Menschen ins Stadtzentrum, zur Uni und zum Uniklinikum fahren. Bedeutet das Gutachten also das Aus für die Innenstadttrasse der Regionalstadtbahn? Oberbürgermeister Boris Palmer verneint: „Das ist kein K.o.-Kriterium für die Stadtbahn.“ Zwar ist für ihn der Befund eindeutig: „Kein Statiker unterschreibt, dass die Brücke hält.“ Also sei das Risiko für eine Stadtbahn zu groß. Da gebe es keinen Handlungsspielraum für den Gemeinderat: „Ich will nicht, dass Politiker über die Tragfähigkeit einer Brücke entscheiden.“

Doch sieht Palmer die Lösung im Neubau der Brücke über den Neckar. Die bestehende sei erstens nicht die historische und ansehnliche Vorgängerbrücke. Zudem sei ihre Lebenszeit „ohnehin endlich“. Sie könne noch 20 oder mehr Jahre halten. Doch wisse das eben laut Gutachten niemand. Insofern wäre ein Neubau, so Palmers Argumentation, keine extra Ausgabe für eine Stadtbahn, sondern „nur das Vorziehen einer Investition“. Die Preisdifferenz bezifferte der OB auf ein bis zwei Millionen Euro. Das würde bei den Gesamtkosten der Regionalstadtbahn nicht ins Gewicht fallen. Und: Die Stadt könne wgen der Stadtbahn auf Zuschüsse des Bundes für eine neue Brücke hoffen.

Gleichwohl weiß Palmer um die Brisanz der Machbarkeitsstudie: „Sachlich ist sie harmlos, politisch und psychologisch aber gravierend.“ Der OB rechnet damit, dass jetzt heftige Debatten um die Neckarbrücke und um die Stadtbahn entbrennen. Die Stadtverwaltung wird über das Gutachten am Montag im Planungsausschuss des Gemeinderats berichten, ab 17.30 Uhr im Rathaus.

Zu Bau und Material der Eberhardsbrücke

Die Eberhardsbrücke wurde 1901 mit zwei langen, flachen Dreigelenkbögen aus Stampfbeton gebaut, um die mittelalterliche, unter Graf Eberhard im Bart errichtete Steinbrücke zu ersetzen. Der Stampfbeton enthält viel Neckarkies, der Zement wurde sparsam verwendet. Nahe der Gelenke an den Widerlagern und den Scheitelpunkten geht der Stampfbetonquerschnitt in Natursteinblöcke über, in die Stahllager eingelassen sind. Diese stellen die eigentlichen Gelenke dar und ermöglichen der Brücke minimale Auf- und Abbewegungen in den Scheitelpunkten bei Temperaturdehnung, ohne dass sich innere Kräfte aufbauen. 1952 wurde die als zu schmal empfundene Brücke durch eine als Stahlbetonhohlkasten gebaute Fußgängerbrücke Richtung Platanenallee erweitert. Einen Neubau der Brücke hat der damalige Gemeinderat verworfen.

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18.11.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 18.11.2016, 01:00 Uhr

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