Große Träume und was aus ihnen wird: Unter die Haut gehendes Langzeitporträt von Schauspielschülern.

Die Spielwütigen

Große Träume und was aus ihnen wird: Unter die Haut gehendes Langzeitporträt von Schauspielschülern.

24.11.2015

Von Bernd Haase

Die Spielwütigen

Die Entschlossenheit steht ihr ins Gesicht geschrieben. "Ich schaffe das, die müssen mich nehmen." Diejenige, die das sagt, ist Stephanie Stremler. Es ist 1996, sie kämpft um einen Studienplatz als Schauspielschülerin und hat mal wieder eine Absage bekommen - eine von insgesamt 27. Stephanie steht wie exemplarisch für das, was der Dokumentarist Andres Veiel in seiner 108-minütigen Langzeitdokumentation "Die Spielwütigen" nun in die Kinos bringt. Es geht - wie der Titel schon sagt - um Spielwut, um die Entschlossenheit, ein Ziel zu erreichen. Und auch ums Erwachsen werden in einer extremen Situation.

Sieben Jahre lang hat Veiel vier Schauspielschüler mit der Kamera begleitet, die auf der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin ihr Bühnenhandwerk lernen. Er beginnt noch vor dem ersten Vorsprechen, zeigt, wie seine Protagonisten ihren Eltern eine Szene vorspielen. Der selbstbewusste Prodromos Antoniadis schlüpft in die Rolle des Travis aus "Taxi Driver". Seine Eltern sind irritiert von ihrem Sohn, der im Spiel eine ihnen wohl unbekannte Aggressivität an den Tag legt.

Es sind solche Szenen, die berühren und den Film zum Publikumsliebling auf der Berlinale gemacht haben. Später werden sie auf der Schauspielschule mit Widerständen zu kämpfen haben, mit Zweifeln, mit Nöten, auch materiellen. Man sieht, wie die vier Eleven sich verwandeln in Liebende, Hassende und Lachende. Aber Veiel schafft viel mehr, als hier lediglich werdende Schauspieler zu porträtieren. Diese vier Protagonisten stehen stellvertretend für eine Generation.

"Ich möchte so gern mal rebellisch sein", sagt Karina Plachetka, die dritte im Bunde. Und Constanze Becker sinniert: "Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte es nicht geschafft." Sie haben den Wunsch, sich etwas gegen Widerstände erkämpfen zu müssen. Vermutlich deshalb, weil die Kämpfe, die die Generation des 45-jährigen Veiel selbst durchstehen musste, heute nicht mehr selbstverständlich sind.

"Dieser Film zeigt Gewinner in einer Zeit, in der Theater geschlossen werden", analysiert der gebürtige Stuttgarter. "Aber den Preis, den sie zahlen müssen, sieht man auch. Es muss unendlich viel Staub gefressen und die Persönlichkeit abgegeben werden." Das ist dicht gewebt, emotional und wirkt authentisch, obwohl Veiel Szenen nachgestellt oder verdichtet hat. "Wenn es auf der Schule einen Knall gegeben hat und ich komme zwei Tage später mit der Kamera, ist der ganze Konflikt zu Zuckerguss geworden. Deshalb filme ich fünf Stunden, davon kontrollieren sie sich vielleicht in zwei Minuten nicht, im Film sind davon schließlich 30 Sekunden zu sehen", erklärt er seine Arbeitsweise. "Es kommt mir auf die innere Wahrheit an, auf den Kern."

Und wenn die porträtierte Constanze Becker dazu sagt, "die Kamera ist bei aller Subjektivität vielleicht immer noch objektiver als der eigene Blick auf die Vergangenheit", dann ist das für den Dokumentaristen Veiel mehr als ein Lob.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 27sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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Philipp 27.11.200412:00 Uhr

Ein wundervoller Film, der mir aufgrund ähnlicher Träume sehr nahe ging. Sehr spannend, obwohl oder gerade weil er nur dokumentiert. Stellt sich nur die Frage, ob ein realistisches Bild von der tatsächlichen Aufnahmesituation gewährleistet werden konnte. Ist es nicht in Wahrheit so, dass nur Kinder, deren Eltern auch schon Schauspieler sind, eine Chance haben?

andrea 01.07.200412:00 Uhr

Finde den Film super interessant, spannend und unglaublich persönlich. Ging mir irgendwie auch ziemlich nah. Fragen wie "was mache ich aus meinem Leben?", "Was will ich wirklich erreichen?" beschäftigten mich danach. Sehr interressant, vier ganz verschiedene Jung-Schauspieler kennen zu lernen.

surreal 25.06.200412:00 Uhr

unbedingt reingehen! Ein sehr schöner interessanter Dokumentarfilm, den es sich lohnt auch alleine anzuschauen.

Boris Dollinger 06.06.200412:00 Uhr

Großartiger Dokumentarfilm der einen interessanten Einblick in das Leben vierer sehr unterschiedlicher Menschen gibt, die alle einen gemeinsamen Traum hegen, und der dabei wesentlich unterhaltsamer als so mancher Hollywood-Blockbuster ist!