Versuchter Mord in 5 Fällen: Lebensmittelerpresser angeklagt

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat Anklage gegen den Supermarkterpresser aus Ofterdingen erhoben

Er soll Babybrei in Gläschen vergiftet und damit Supermarktketten erpresst haben: Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat am Donnerstag Anklage gegen einen 54-Jährigen aus Ofterdingen erhoben.

24.05.2018

Von ST

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat Anklage gegen den Supermarkterpresser aus Ofterdingen erhoben

Der Fall hatte im September vergangenen Jahres für erhebliches Aufsehen in ganz Deutschland gesorgt: 11,75 Millionen Euro in bar wollte der damals unbekannte Täter von den Konzernen haben. Um zu zeigen, wie ernst ihm die Forderung ist, hatte er am 16. September fünf Babybrei-Gläschen mit dem Frostschutzmittel Ehtylenglykol vergiftet und in Supermärkten in Friedrichshafen ins Regal gestellt. Ehtylenglykol ist auch in kleineren Dosen potenziell tödlich. In einer entsprechenden Mail drohte der Erpresser damals, seinen Aktionsradius auf ganz Deutschland und weitere Standorte in Europa auszuweiten.

Nicht alltäglicher Tat-Hintergrund

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg klagt den 54-Jährigen nun des tateinheitlich begangenen versuchten Mordes in fünf Fällen an – außerdem der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in sieben Fällen und der gemeingefährlichen Vergiftung. Gleich fünf Mordmerkmale sehen die Ankläger verwirklicht: Habgier, Heimtücke, Grausamkeit, gemeingefährliche Mittel – und der Versuch, mit der Tat eine andere Straftat zu ermöglichen. „Das ist schon nicht alltäglich“, sagt die Ravensburger Erste Staatsanwältin Christine Weiss: „Schließlich gibt es strenge Anforderungen, denen diese Mordmerkmale unterliegen.“

Für Mord sieht das Gesetz eine lebenslange Haftstrafe vor. Bei versuchtem Mord, sagt Weiss, komme es entsprechend zu einer Verschiebung des Strafrahmens. Mehr müsse allerdings die Hauptverhandlung zeigen. Wann der Prozess am Landgericht Ravensburg beginnen kann, ist noch nicht abzusehen.

•In Friedrichshafen platzierte der Ofterdinger die vergifteten Babybrei-Gläschen, so die Anklage. Weil er sich auf Überwachungsvideos verdächtig verhielt, konnte die Polizei entsprechende Bilder veröffentlichen. Bild: LKA

•In Friedrichshafen platzierte der Ofterdinger die vergifteten Babybrei-Gläschen, so die Anklage. Weil er sich auf Überwachungsvideos verdächtig verhielt, konnte die Polizei entsprechende Bilder veröffentlichen. Bild: LKA

Die Ravensburger Ankläger sind sich ihrer Sache sicher – auch darin, dass sie den richtigen Täter geschnappt haben. Nachdem Ende September vergangenen Jahres mehrere Fahndungsfotos veröffentlicht worden waren, gingen verschiedene Hinweise auf den 54-Jährigen aus Ofterdingen bei der Polizei ein. Weiss: „Mehrere Zeugen waren sich sicher, dass sie den Mann eindeutig erkannt haben.“ Ein Nachbar sagte dem TAGBLATT nach der Festnahme am 29. September: „Diese Schuhe, diese Jacke, diese Brille – die kennen wir hundertprozentig.“

Die Ermittlungen waren nach Angaben der Staatsanwaltschaft sehr komplex und wurden im Hinblick auf die mit der Tat verbundenen Gefahren für Leib und Leben von Babys und Kleinkindern mit Hochdruck geführt. Rund 220 Beamte waren im Herbst in der eilends einberufenen Soko „Apfel“ tätig. Während der heißen Phase Ende September hatte das Call-Center der Polizei Hunderte von Hinweisen entgegenzunehmen. Ein entscheidender Tipp kam damals aus dem Raum Nürnberg: Vom dortigen Landgericht Nürnberg-Fürth war der Mann kurz zuvor zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Die Strafe war in jenen Wochen noch nicht rechtskräftig. Sie bildete damals die Krönung einer langen Delinquenz-Vita mit Vorstrafen wegen Fahrens ohne Führerschein, weiteren Straßenverkehrsdelikten und Bedrohung.

Im aktuellen Fall legt ihm die Staatsanwaltschaft Ravensburg folgendes zur Last: Am 16. September soll er die fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung in Einkaufsmärkten in Friedrichshafen platziert haben. Dann schickte er seine Forderungen: In einer an Konzerne und Polizei gerichteten E-Mail soll er die Millionen-Zahlung gefordert haben. In dieser Mail kündigte der Erpresser zudem an, dass sich am 30. September, also einem Samstag 14 Tage später, 20 weitere vergiftete Produkte in weiteren Filialen befinden würden.

Der Erpresser betonte damals in seiner Mail, dass er mehrere tödliche toxische Substanzen in flüssiger und fester Form zur Auswahl habe, so dass ein großes Spektrum an Substanzen zur Verfügung stehe. Das hätte die ohnehin schwierige Suche nach vergifteten Lebensmitteln sicher noch zusätzlich erschwert. Adressaten der Erpressermails waren unter anderem große deutsche Handelskonzerne und -Marken wie Edeka, Aldi, DM, Müller, Lidl, Norma und Rewe.

Der Erpresser hatte klare Vorstellungen davon, wie die Geldübergabe abzulaufen habe und skizzierte in seiner Mail ein detailliertes Szenario. Zu der Übergabe kam es nicht mehr, da der 54-Jährige am Abend des 29. September in Ofterdingen von Spezialeinsatzkräften des Landeskriminalamts festgenommen wurde.

Ofterdingen: Polizei fasst mutmaßlichen Erpresser
© ST 01:29 min
Die Polizei verhaftete am Freitag einen 53-Jährigen in Ofterdingen. Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass er der seit Tagen intensiv gesuchte Supermarkterpresser ist. In seiner Wohnung fanden sie laut Polizeiangaben ein Fläschchen mit jenem Frostschutzmittel, mit dem mehrere Gläschen Babynahrung in einem Supermarkt am Bodensee versetzt worden waren. Video: Schneck/Bleeser

Geständnis nach der Festnahme

Nach der Festnahme schwieg der 54-Jährige zunächst gegenüber der Polizei, legte dann beim Haftrichter aber bald überraschend ein Geständnis ab und gab zu, dass er die fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung in die Supermarkt-Regale gestellt hatte. Vor seiner Festnahme hatte er nach eigener Aussage und entgegen seiner Drohung keine vergifteten Lebensmittel mehr in Supermärkten versteckt. Die Ermittlungen liefen damals dennoch zunächst weiter.

Weitere Angaben – auch zu seinem Motiv – hat der Ofterdinger bis heute nicht gemacht, so Staatsanwältin Weiss. Boulevardmedien berichteten im Herbst von hohen Schulden des Ofterdingers. Nach seiner Festnahme sprach der Konstanzer Vizepolizeipräsident von einem „exzentrischen Einzelgänger“, der bereits früher psychisch auffällig gewesen sei. Derzeit verbüßt er die erwähnte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen versuchter Freiheitsberaubung.

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Erstellt:
24.05.2018, 10:09 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 24.05.2018, 10:09 Uhr

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