RAF-Terroristin logiert im Spießer-Sozialismus: Starkes Stück Sozialkunde mit viel Gefühl

Die Stille nach dem Schuss

RAF-Terroristin logiert im Spießer-Sozialismus: Starkes Stück Sozialkunde mit viel Gefühl

24.11.2015

Die Stille nach dem Schuss

Die Fragestellung ist verführerisch: Was hat eigentlich ein Dutzend antiautoritär und popkulturell geschulter Aktivisten der Rote Armee Fraktion bewogen, ausgerechnet in der schrebergarten-spießigen DDR Unterschlupf zu suchen? Und umgekehrt: Wie kam die DDR dazu, ihre internationale Reputation aufs Spiel zu setzen, indem sie offiziell auch vom Osten geächtete Terroristen versteckte?

Es geht um Rita Vogt (Bibiana Beglau): Die junge Frau rutscht anfangs "aus Liebe zum Andi" in die RAF, überfällt fröhlich Banken, erschießt aus Dummheit einen Polizisten und hat Anfang der achtziger Jahre die Schnauze voll vom bleiernen Untergrund.

Mehr aus Mitleid denn aus Kalkül verhilft ihr die Stasi ("Wir sind doch auch Romantiker") zu einer neuen, bürgerlichen Existenz im Osten.

Bis hierhin ist "Die Stille nach dem Schluss" eine herbe Enttäuschung. Volker Schlöndorff, der sich einst mit Filmen wie "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und "Deutschland im Herbst" der Rübe-ab-Hysterie widersetzte, handelt die RAF-Geschichte im Schnellwaschgang mit rauchenden Colts und hohlem Revolutions-Geschwätz ab.

Solche Bilder von depperten Politschurken wurden schon in Filmen wie "Stammheim" oder "Todesspiel" bis zum Brechreiz gepflegt. Doch analog zu seiner Hauptfigur rafft sich auch der Film nach einer halben Stunde zu einem neuen Anfang auf.

Es mag an der Mischung zwischen Neugier eines West-Regisseurs und der Abgeklärtheit eines alten Ossi-Hasen (Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase) liegen, dass "Die Stille nach dem Schuss" nun zu großer Form aufläuft. Beider Blick auf den DDR-Alltag ist ehrlich, präzise und zugleich voller Gespür für die grotesken Auswüchse.

Statt Solidarität der Werktätigen erlebt Rita Missgunst und Denunziantentum am Arbeitsplatz, statt sozialistischer Aufbruchstimmung Kleinbürgermief der trostlosesten Sorte.

Und doch begegnet sie auch jener Nestwärme, mit der schon Leander Haußmann in "Sonnenallee" die westliche Unrechtsstaat-Keule pariert hat. Selbst die Stasi wird nicht einfach abdenunziert, sondern erscheint als Haufen idealistischer Wirrköpfe.

Politisch wertvoll ist "Die Stille nach dem Schuss" aber vor allem deswegen, weil er sich nicht dem verzerrten Phantom-Bild vom eiskalten Terroristen beugt, sondern den Menschen hinter der Fahndungs-Fratze zeigt.

Da darf es dann auch ruhig mal ein bisschen gefühlig zugehen. Die Zärtlichkeit, mit der sich Schlöndorff auf die Beziehung zwischen seiner Ex-Terroristin und einer alkoholkranken Fabrikarbeiterin (Nadja Uhl) stürzt, gehört jedenfalls zum Besten, was das deutsche Kino in den letzten Jahren an Liebesgeschichte zu bieten hatte.