Die Storno-Welle

Claudia Leuze führt das einzige Fünf-Sterne-Hotel Tübingens, das La Casa. Normalerweise kommen Touristen, Kulturschaffende und Geschäftsreisende in ihr Haus – im Moment muss sie es geschlossen halten. Als Vorsitzende des Dehoga-Verbands im Kreis Tübingen ist Leuze in ihrer Branche gut vernetzt. Im Interview spricht sie über die Situation der Hoteliers und Gastronomen in der Pandemie.

04.12.2020

Von TEXT: Lorenzo Zimmer|FOTOs: Ulrich Metz, Marla Hahne, Privatbild

Mit ihrer Tochter Stefani (rechts) und ihrem Mann Peter Hihn leitet Claudia Leuze die Geschicke des Tübinger Fünf-Sterne-Hotels La Casa.

Mit ihrer Tochter Stefani (rechts) und ihrem Mann Peter Hihn leitet Claudia Leuze die Geschicke des Tübinger Fünf-Sterne-Hotels La Casa.

Frau Leuze, wie geht es dem Hotel La Casa?

Claudia Leuze: Wir haben seit 18. März, vor dem Beginn des ersten Lockdowns, geschlossen. Für uns hatte sich die Problematik schon in der zweiten Februarhälfte angedeutet, weil wir schlagartig zunehmend mit sehr vielen Stornierungen konfrontiert waren. Als Haus mit sehr vielen Stammgästen haben wir normalerweise kaum Stornierungen, aber damals gab es regelrechte Absage-Wellen. Wir waren alarmiert, aber schnell wurde klar: Das wird vorerst so bleiben. Ich habe versucht, den einen oder anderen Mitarbeiter in eine gefragte Urlaubsregion zu vermitteln, die meisten gingen in Kurzarbeit.

Wie ging es weiter?

Im Sommer gab es die Tendenz, dass es bald wieder losgehen könnte, viele haben den Herbst freudig erwartet. Im September konnten wir auf Wunsch unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hin wieder öffnen – sie wollten beschäftigt sein und die Buchungen waren überwältigend. Das war leider nicht von langer Dauer.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf ihr Unternehmen?

Wir haben massive Einbußen hinnehmen müssen. Wir sprechen von 75 bis 80 Prozent des Umsatzes von 2019, die weggebrochen sind. Im Herbst wollten wir wenigstens etwas davon auffangen, aber daraus wird nichts. Die Gäste sind extrem verunsichert und Geschäftsreisen finden kaum noch statt.

Gibt es neue Hoffnung?

In unserem speziellen Fall hoffen wir jetzt, dass wir unser Restaurant später in dieser Zeit noch werden öffnen können. Es wird viele Menschen geben, die mal wieder ausgehen wollen, Fine Dining ist zur Zeit sowieso recht angesagt. Wir haben ein Hygienekonzept, das bereits im April und Mai erarbeitet und seitdem stetig verbesser wurde. Und ausreichend Platz mit Frischluftsystem haben wir auch.

Wie geht es Ihrer Branche?

Man kann sich nur zusammenraufen. Die Kollegen setzen sich gemeinsam an Tische und versuchen, Lösungen zu finden, von denen möglichst alle im Gastgewerbe profitieren. Jetzt den Konkurrenzdruck zu erhöhen und sich das Geschäft streitig zu machen, bringt nichts – im Moment macht niemand große Gewinne. Aber es gibt auch manches, was diesem Zusammenhalt schadet.

Was meinen Sie konkret?

In der Krise gibt es immer Menschen, denen ein Schnäppchen wichtiger ist als faire Preisgestaltung mit guter Entlohnung. Im Gegensatz zu vielen Kettenhotels, die von ihren Preisen nicht abrücken, gibt es Kollegen, die Schnäppchen anbieten, um überhaupt irgendeinen Umsatz zu generieren. Auch wenn es die eigene Insolvenzgefahr erhöht. Da Geiz aber nicht geil ist, nimmt der Verbraucher das Angebot an, kann dann aber nicht davon ausgehen, dass die Mitarbeiter in Vollzeit und rentenversichert angestellt sind oder Ware vernünftig eingekauft wird.

Was können Gastronomen
und Hoteliers tun, um der Krise zu trotzen?

Man kann sich solidarisch verhalten und gemeinschaftlich vorgehen. Zum Beispiel könnte man seine Öffnungszeiten untereinander abstimmen, das würde Planbarkeit und Umsatzsicherheit schaffen. Wenn ein einziger Betrieb im fairen Wechsel nur offen hätte und alle anderen geschlossen, profitiert immer derjenige, welcher gerade geöffnet hat. In der Branche gibt es kein Planbarkeit, das bedeutet, dass in allen geöffneten Betrieben das Personal und die Ware vorgehalten werden muss – bei geringem Umsatz. Daher werden meist mehr Aushilfen als Vollzeitangestellte beschäftigt – da hängen dann auch wieder Themen wie Beschäftigung ohne Rentenabsicherung, damit Altersarmut und fehlende Rentenbeiträge im Sozialsystem dran. Dieses Ausmaß ist dem Gast nicht bewusst, wenn er für günstigste Preise essen und übernachten möchte.

Gibt es „best practice“-Beispiele?

Der Ochsen in Breitenholz hat zum Beispiel auf eine Almhütte gesetzt. Er hat sie extra aufgebaut, um den Gastraum zu erweitern, dadurch mehr Platz zu schaffen. In Tübingen konnten viele Gastronomen auf die Plätze und Gasse ausweichen, das war sehr wichtig für sie. Und es war großzügig von der Stadt, die bei diesem Themen regelrecht vorangegangen ist und erkannt hat, dass es für die Betriebe ums Überleben gehen würde.

Wie sind sie mit Gastronomen umgegangen, die sich nicht an die Bestimmungen hielten?

Da schaltet sich dann der Dehoga-Verband aus Stuttgart ein. Wir als Verband haben sehr viele Infoschreiben herausgegeben und gebetsmühlenartig darum gekämpft, dass die Vorgaben der Politik ernstgenommen werden. Denn hier geht es auch um die Glaubwürdigkeit unserer ganzen Branche: Wir können nicht einerseits um Soforthilfen und Zuschüsse bitten und andererseits schwarze Schafe akzeptieren, die die Regeln nicht akzeptieren und dann ein schlechtes Licht auf uns alle werfen. Ich selbst habe Gäste nach der Sperrstunde um 23 Uhr weggeschickt, um sie dann in der Nähe bei einem Kollegen zu sehen, wie sie noch etwas bekommen haben. Da frage ich mich: Erkennt er nicht, dass wir alle gemeinsam mit dem Rücken zur Wand stehen?

Staatliche Hilfen sollten der Branche helfen, etwas von dieser Wand weg zu kommen. Gelingt das?

Die allergrößte Hilfe war die Reduzierung der Mehrwertsteuer – das entlastet Unternehmen wirklich auch langfristig. Man benötigt weniger Umsatz um in die Nähe dessen zu kommen, was man mal hatte, denn eins muss man bedenken: Die Kosten für Hoteliers, Pächter und Eigentümer, für etwa Werbungsverträge, Mieten und andere Wartungsverträge, laufen weiter. Dem Betreiber einer Werbetafel kann ich nicht sagen: Das setzen wir jetzt erst mal aus, denn da gibt es Vertragszwänge wie auch Wartungsverträge für sicherheitsrelevante Vorschriften können auch nicht selbst bei geschlossenem Betrieb gestoppt werden.

Was hat noch geholfen und was könnte der Staat noch tun?

Die unkompliziert gehaltene Soforthilfe, die von Betrieben selbst angefragt werden kann, hat schnelle Wirkung gezeigt. Für die Überbrückungshilfen braucht man jetzt Hilfe von einem Steuerberater, da hat der Staat aus Betrugsversuchen gelernt. Ich selbst habe einen Brief an den Wirtschaftsminister geschrieben, der ihn auch erreicht hat – er hat tatsächlich reagiert, das hat mich gefreut. Meine Bitte wäre, dass die Einbußen über sog. Verlustvorträge des Gastgewerbes im Jahr 2020 auf die nächsten beiden Jahre 2021 und 2022 verteilt werden können. Dann hätten viele Betreiber, Pächter und Inhaber etwas mehr Zeit, um wieder einen normalen Betrieb hinzubekommen.

Wie ist ihre Prognose für den Winter?

Nicht sehr positiv. Erfahrungsgemäß reagieren die Menschen sehr gleichgeschaltet auf die Bedrohung und reflektieren ihr individuelles Risiko nur sehr wenig. Gedanken, wie sie die Unternehmen und die liebgewonnene Infrastruktur stützen können, machen sich nur wenige. Ich sehe eine Pleitewelle auf uns zurollen, auch der DeHoGa fürchtet sie. Es gibt rund 31 000 Gastbetriebe mit mehr als 12 Milliarden Euro Jahresumsatz in Deutschland – davon 450 Betriebe im Kreis Tübingen mit rund 155 Millionen Euro im Jahr. Während die Alb und das Umland 2019 zum Vorjahr zahlenmäßig zulegen konnte, war 2019 in Tübingen schon ein Rückgang der Übernachtungen zu verzeichnen. Und davon, wie die Bilanz des Jahres 2020 ausfallen könnte, möchte ich gar nicht sprechen.

Was kann die Gesellschaft, was kann jeder einzelne tun, um Ihrer Branche zu helfen?

Letztendlich müssen wir unsere Ängste ablegen, Risiken rational einschätzen und den Hygienekonzepten vertrauen. Langsam kursiert die Einsicht, dass man sich in Hotels und Gasträumen weniger ansteckt als auf privaten Partys oder Familienfeiern. So sollte die Politik rein freizeitorientierte Auslandsreisen deutlicher beschränken, man kann auch in Deutschland herrlich Urlaub machen. Hier haben wir Kontrolle über die Vorgaben und Konzepte, an die wir uns alle halten sollten. Man muss nicht zum xten Mal für ein paar Tage für 29,99 Euro sonst wohin fliegen, sondern kann sich auch mal zuhause erholen und die heimischen Betriebe unterstützen. Zudem sollten Geschäftsreisen neu betrachtet werden durch bessere Verbindungen und unkompliziertere Testverfahren. Häufig ist die Aufenthaltsdauer von Geschäftsleuten im Durchschnitt so gering wie die damit verbundene Ansteckungsgefahr, dass ein Abwägen der politischen Vorgaben zu einhergehenden Steuereinnahmen oder dem Freizeitvergnügen am Ballermann angebracht wäre.

Zum Artikel

Erstellt:
04.12.2020, 07:55 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 55sec
zuletzt aktualisiert: 04.12.2020, 07:55 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!