Cannabis-Freigabe ist für Jugendliche nicht gut

Die Suchttherapietage beschäftigen sich mit Haschisch-Konsum, mit E-Zigaretten und der Sucht bei Flü

Es gibt viele Aspekte von Sucht und neue Wege zu ihrer Behandlung. Einmal im Jahr wird in Tübingen Bilanz gezogen und über neue Herausforderungen diskutiert. Gestern begannen die 21. Tübinger Suchttherapietage, an denen rund 300 Ärzte, Psychologen, Sozialpädagogen und Pflegekräfte teilnehmen.

07.04.2016

Von Ulla Steuernagel

Tübingen. Die Suchttherapietage gehen aus einer Kooperation zwischen der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung am Uniklinikum Tübingen und der Drogenhilfe hervor.

Eines der Themen, die alle bisherigen Suchttage begleiten, ist der Cannabis-Konsum bei Jugendlichen. Die Legalisierung von Cannabis wird von Kinder- und Jugendpsychiatern sehr skeptisch gesehen. Dabei gehe das Risiko weit über die Gefahren von Abhängigkeit hinaus. „Es ist klar nachweisbar“, so Suchtspezialist Prof. Anil Batra, „dass Cannabis Auswirkungen auf das sich entwickelnde Gehirn hat.“ Der Konsum könne gerade in der Phase des Einstiegs, in den Jahren zwischen 12 und 16, schwere Psychosen hervorrufen. In US-Staaten, in denen Cannabis zu medizinischen Zwecken freigegeben wurde, habe man, so Batra, einen ansteigenden Konsum beobachtet, die Hemmschwelle sei niedriger geworden. Tierversuche bewiesen überdies, dass dauerhafter Konsum zu starker Antriebsminderung führe. Eine Legalisierung müsse jedenfalls mit konsequentem Jugendschutz einhergehen, so der Psychiater.

Ein weiterer Themenschwerpunkt der diesjährigen Suchttage gilt dem engen Zusammenhang aus Flucht, Trauma und Sucht. Rund ein Drittel der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Suchtmittel, so Christian Weise, Diplom-Psychologe und Geschäftsführer des Landesverbands für Prävention und Rehabilitation, dienten mit ihrer betäubenden Wirkung schnell mal „zur Selbstheilung“. Frauen neigten dabei eher zum Medikamenten-Missbrauch, Männer griffen zum Alkohol. Wichtig seien rechtzeitige Präventionsprogramme in Flüchtlingsunterkünften. Als Referent für diesen Bereich war der Orientalist, Traumatologe und Psychologe Prof. Jan Ilhan Kizilhan zur Tagung gekommen. Er hat mit traumatisierten Jesidinnen gearbeitet, die sich aus der Geiselhaft der IS-Terrormiliz befreien konnten. Er vertritt eine „transkulturelle Psychiatrie“ und einen relativen Normalitätsbegriff und betont die Bedeutung von Multiplikatorenschulungen und die Vermittlung gesundheitlicher Grundbegriffe bei Dolmetschern.

Gemessen daran erscheint das Thema E-Zigarette eher nebensächlich. Auch wenn sie weniger schädlich ist als der übliche Tabakkonsum, so hat die elektrische Zigarette ebenfalls ihre Tücken. Dr. Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg beschäftigt sich mit diesem Zigarettenersatz, dessen Nutzen sich bei der Tabakentwöhnung als fragwürdig erweist. „Raucher“, so ihre Beobachtung, „nutzen die E-Zigaretten im dualen Konsum.“ Sie trügen also keinen gesundheitlichen Benefit davon. Die allerwenigsten Raucher schafften einen kompletten Übergang zum reinen E-Konsum, sondern „switchen“ zwischen Tabak zur elektrischer Zigarette hin und her. Auch die gesundheitlichen Nachteile des E-Rauchens sind nicht zu verachten, die Liquids enthalten krebserzeugende als auch entzündungsfördernde Substanzen, der inhalierte Dampf schädigt die Lunge. Außerdem könne es in dem Verdampfungsapparat zu Überhitzungen kommen, die ebenfalls krebserregend wirken.

Die fast zehn Jahre andauernden Untersuchungen hätten ergeben, dass die E-Zigarette den Ausstieg nicht erleichtert: „Sie ist kein taugliches Mittel zum Aufhören.“ Bedenklich auch, dass rund 40 Prozent der Jugendlichen, die angaben, schon E-Zigaretten oder E-Shishas geraucht zu haben, noch keine Tabakerfahrungen hatten. Ob es sich um einmalige Versuche oder dauerhaften Konsum handelt, diese Frage ließ die Untersuchung allerdings offen. Seit 1. April gilt jedenfalls ein Verkaufsverbot an Unter-18-Jährige, ab Mai wird dann eine weitere Stufe gezündet: Beimischungen von Stoffen wie Ethanol in den Liquids werden verboten.

Die 21. Suchttherapietage in Tübingen

Die Suchttherapietage sind eine Fortbildungsveranstaltung für Mediziner, Psychologen, Mitarbeiter aus dem Pflegebereich, Sozialpädagogen, Pharmakologen und auch Mitarbeitern aus der Justiz. Dabei geht es um halluzinogene Drogen, um Alkohol, Tabak bis hin zur Spielsucht. Titel der Tagung: „Herausforderungen und Chancen der Suchttherapie“. Die Frage, ob Suchtkrankheiten als eine Form von Behinderung angesehen werden könnten, ist eines der kontrovers diskutierten Themen der Tagung. Führt dieses Etikett zur Stigmatisierung oder kann es dem Patienten im Einzelfall helfen? Die Tagung endet am morgigen Freitag in den Abendstunden.

Zum Artikel

Erstellt:
07.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 07.04.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!