Menschen aus allen Schichten sitzen an einem Tisch

Die Versperkirche ist ein Ort der Begegnung, an dem es auch Essen gibt

Etwa 400 Gäste kamen am Sonntag zum Auftakt der 8. Tübinger Vesperkirche in der evangelischen Martinsgemeinde.

23.01.2017

Von Dorothee Hermann

So dünn besetzt war es bei der Vesperkirchenpremiere in der Martinskirche am gestrigen Sonntagmittag nur in den ersten Minuten.Bild: Franke

So dünn besetzt war es bei der Vesperkirchenpremiere in der Martinskirche am gestrigen Sonntagmittag nur in den ersten Minuten.Bild: Franke

Leise klappert Geschirr, Leute unterhalten sich, aber ganz ohne den Trubel eines großen Lokals. Bei der Vesperkirche sitzen bis zu acht Gäste an weiß gedeckten Tischen in der evangelischen Martinskirche in der Frischlinstraße. Sonst stehen dort die Bänke für die Gottesdienstbesucher. Lärm und Hektik scheinen weit weg.

„Es ist uns wichtig, dass die Besucher als Gäste empfangen werden und sitzen bleiben dürfen, so lange sie möchten“, sagt Pfarrer Christoph Cless. „Es ist ein wunderschöner Raum“, murmelt eine ältere Besucherin, die sich trotz der eisigen Temperaturen mit dem Rollator zur Vesperkirche aufgemacht hat.

Am Sonntag wurden Rahmgulasch oder vegetarisches Gemüseragout aufgetischt, dazu Nudeln, Erbsen und Karotten und als Nachtisch Clementinen. Das Essen hat das Küchenteam des Pauline-Krone-Heims auf der anderen Straßenseite zubereitet. Wasser und Bio-Apfelsaft stehen in Glaskaraffen bereit. An der Seite lockt ein Kuchenbüfett.

Manuela Rubow aus dem siebenköpfigen Leitungsteam hilft seit der allerersten Tübinger Vesperkirche mit. „Dass Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten miteinander an einem Tisch sitzen, und die Kirche zu einem Gasthaus wird, das ist für mich sensationell“, sagt die Mediatorin und Einzelhandelskauffrau aus Entringen in der Spülküche im Untergeschoss. In den vier Wochen Vesperkirche ist die 59-Jährige fast täglich zur Stelle, von 10.30 bis 14 Uhr, wenn sie Tagesleitung hat, auch bis 16 Uhr.

„Wir sind keine Armen- und Suppenküche, sondern ein Ort der Begegnung, wo es auch Essen gibt“, betont Mitorganisator Peter Heilemann, Diakon der Tübinger Eber-hardsgemeinde in der Südstadt. Deshalb findet er es „ganz arg“ bedauerlich, wenn Leute nicht kommen, weil sie befürchten, sie würden jemandem etwas wegessen.

Der einzige Unterschied zwischen den Gästen ist für ihn: „Jeder gibt, soviel er kann.“ Im achten Jahr der Vesperkirche kennt Heilemann etwa zwei Drittel der Gäste, „manche näher, manche weniger“. Das hänge auch damit zusammen, dass er vielen auch übers Jahr begegnet, sagt der 65-Jährige. „Es gehört zu meinem Berufsverständnis, Ansprechpartner zu sein.“ Manche Gäste leben im Männerwohnheim, andere sitzen am Sternplatz, „wenn es die Temperatur erlaubt“, sagt Heilemann. „Das ist mein Revier“, meint der 65-Jährige. Er setzt sich dann einfach dazu.

In der Vesperkirche sei eine tiefere Form der Begegnung möglich. Ingesamt etwa 300 Helfer/innen tragen dazu bei, von denen pro Tag zirka 40 im Einsatz sind. „Es ist ein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft“, so Heilemann: „Ein pensionierter Professor steht an der Kuchentheke. Gleichzeitig hilft einer, der das Jahr über am Rand steht und froh ist, in seiner Einsamkeit mal ein Lächeln, mal ein Dankeschön zu erfahren.“

Essen gibt es von 11.45 Uhr bis 14 Uhr. „Aber wenn jemand kurz danach hungrig kommt, bekommt er auch noch etwas“, so Pfarrer Cless. Ab zirka 14 Uhr dürfen Gäste auch Essen mitnehmen, das übriggeblieben ist. Ihm ist es wichtig, dass die Vesperkirche jedes Jahr auch ein politisches Thema hat. Heuer sind es die steigenden Mieten in Tübingen und die Notlage derer, die gar keine Wohnung mehr haben.

Eine Kunstausstellung für die Vesperkirche

Porträts aus Malawi zeigt die Tübinger Künstlerin Kris Heide bei der diesjährigen Tübinger Vesperkirche. Heide hat von Januar 2014 an zwei Jahre in dem südostafrikanischen Land gelebt. Sie ließ sich von traditionellen malawischen Stoffen (Chitenje) ebenso inspirieren wie von den Frauen, die ihr auf den Märkten begegneten, und die ihr erlaubten, sie zu fotografieren. Nach den Aufnahmen fertigte Heide abstrahierte schwarz-weiße Tuschezeichnungen, die zur Vorlage für ihre Porträtserie wurden. Die Schau ist bis zum 19. Februar in der Martinskirche, Frischlinstraße 35, zu sehen.