„Das gibt uns unglaubliche Stärke“

Interview mit Hain-Lifescience-Geschäftsführer Tobias Hain über Märkte, Wachstum und Platzmangel

Für die Mitarbeiter von Hain Lifescience soll sich wenig ändern, auch wenn das Nehrener Labordiagnostik-Unternehmen bald zur Bruker Corporation gehört. Geschäftsführer Tobias Hain sprach über Märkte, Wachstum und Platzmangel.

22.09.2018

Von Gabi Schweizer

Tobias Hain: „Wir haben nach jemandem gesucht, der das noch nicht hat, was wir haben.“ Bild: Franke

Tobias Hain: „Wir haben nach jemandem gesucht, der das noch nicht hat, was wir haben.“ Bild: Franke

Tagblatt: Herr Hain, wieso haben Sie und Ihr Bruder David Hain denn 80 Prozent der Anteile verkauft? Von außen betrachtet hatte man immer den Eindruck, dass Ihre Firma gut läuft.

Tobias Hain: Es läuft auch toll. Wir hatten jetzt keine finanzielle Not, diesen Schritt zu gehen, aber man möchte und muss ja auch immer weiter wachsen. Um am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir neue Ideen, neue Technologien, und wir müssen neue Märkte erschließen. Das kostet Geld. Wir sind mittlerweile nicht mehr nur ein Testanbieter, sondern wir stellen ganze Geräteplattformen. Und die gehen eben von der DNA-Isolierung, -Extraktion und -Detektion bis hin zu den Befunddaten. Da stellen wir auch die kompletten Maschinen auf. Früher sind wir in ein Labor gegangen und haben unsere Reagenzien verkauft und vielleicht noch ein Gerät für 1000, auch mal 3000 Euro. Aber das war’s dann. Heute müssen wir in ein Labor gehen und sagen: Hier, nehmt die Lifescience-Geräteplattform. Und dann reden wir gleich von über 100 000 Euro. Wenn sie das in zwei, drei oder fünf Laboratorien machen, geht es noch, aber wenn sie das weltweit stellen möchten, dann wird das finanzielle Engagement einfach zu hoch.

Wie kamen Sie denn auf die amerikanische Bruker Corporation?

Der Bruker-Geschäftsführer Frank Laukien ist im Raum Stuttgart aufgewachsen und spricht unsere Landessprache wie ein Nachbar. Und das ist ja das Tolle: dass wir die Unternehmenskultur mitnehmen können in dieses neue Konstrukt. Wenn Sie zum Beispiel von einem asiatischen Unternehmen übernommen werden, gibt es oft Probleme, die Kulturen aufeinanderzukriegen.

Ist Herr Laukien künftig ihr Ansprechpartner?

Nein, das ist Herr Wolfgang Pusch. Die Firma Bruker GmbH in Bremen hat ihn abgeordnet, hier dritter Geschäftsführer zu werden. Der Chef der Deutschlandgruppe von Bruker ist Herr Jürgen Srega. Das ist dann unser oberster Boss.

Gab es noch weitere Optionen?

Große Biotechnologiefirmen haben über die vergangenen Jahre ihr Interesse gezeigt an der Firma Hain Lifescience. Aber das Schlechte ist: Wenn große Biotechnologiefirmen kommen, die eigentlich das Gleiche machen wie wir, können sie nur gewisse Bereiche ersetzen oder hinzufügen. Wir haben nach jemandem gesucht, der das noch nicht hat, was wir haben, und den das interessiert. Und das war bei der Bruker Corporation der optimale Fit.

Die machen ja praktisch alles.

Die machen tolle innovative Technologien, aber sie haben eben keine Division für molekulare Diagnostik. Und das wollten sie gerne. Wir werden nicht mit irgendwas ersetzt, sondern die ganze Firma Hain Lifescience, so wie sie jetzt dasteht, ist für Bruker das Zentrum für molekulare Diagnostik.

Heißt das, Sie bleiben langfristig hier am Standort?

Genau. Wir haben eine Standortgarantie für sieben Jahre, mit zwei weiteren Verlängerungsoptionen. Und das ist ein klares Zeichen von Bruker, dass sie es ernst meinen mit uns und dass hier nicht irgendeine feindliche Übernahme stattfindet oder ein Ausverkauf der Hain Lifescience-Ideen. Deswegen können mein Bruder David und ich immer noch in die Firma reingehen und den Leuten ins Gesicht gucken, weil wir nicht die Firmenideen aufgegeben, sondern eine wertvolle Kooperation geschlossen haben mit einem Unternehmen, was einen Milliardenumsatz hat und 6000 Mitarbeiter. Das gibt uns natürlich auch unglaubliche Stärke.

Bruker hat aber eine weitere Kaufoption für die restlichen 20 Prozent bis 2021. Würde das dann nochmal was ändern? Damit gäben Sie ja das Unternehmen komplett aus der Hand..

Damit wären die Anteile weg, das ist richtig, und ich möchte mal sagen, das ist so eine Art Sicherungsprinzip, ob die Brüder Tobias und David Hain den Brukers passen und umgekehrt. Einfach damit man die Möglichkeit hat, getrennter Wege zu gehen, wenn irgendwas nicht passen sollte. Das ist aber ein reines Kann. Es kann auch sein, dass wir in zehn Jahren noch dasitzen und unsere jeweils zehn Prozentchen halten.

Und was bedeutet das für Ihren Bruder und Sie? Sehen Sie sich noch langfristig hier in der Geschäftsführung?

Auf jeden Fall. Mein Bruder ist vier Jahre älter als ich, ich bin 49. Das ist ja noch kein Alter, wo man sich im Schwabenland zur Ruhe lässt.

Sie haben immer mal wieder angedeutet, dass Ihnen der Standort hier im Nehrener Industriegebiet zu klein wird. Beispielsweise haben Sie Räume in der leerstehenden Rilling-Fabrik angemietet, weil die eigenen nicht mehr reichen.

Wir platzen hier aus allen Nähten, das kann man ganz klar sagen, und wir werden uns auch mittelfristig um neue Räumlichkeiten gemeinsam mit unserem neuen Partner kümmern.

In Nehren?

Uns gefällt es in Nehren, wenn möglich auch gerne in Nehren oder im näheren Umland.

Aber es gibt noch nichts Konkretes?

Nein.

Vor etwa einem Jahr sagten sie mal, dass Sie nicht auf den amerikanischen Markt wollen, weil es da so hohe Sicherheitsbestimmungen gibt. Ebnet Bruker Ihnen den Weg in die USA?

Genau. Das war kein Grund, aber es ist jetzt eine schöne Sache, die wir mitnehmen können. Bei der Food and Drug Administration Zulassungen zu bekommen, ist sehr kostenintensiv. Das sind nicht nur Gebühren, sondern auch geforderte Studien. Und dann muss man sich immer gegenrechnen: Was bringt mir der US-amerikanische Markt im Gegensatz zu anderen Märkten? China zum Beispiel ist auch aufwändig, aber nicht ganz so kostenintensiv wie die USA. Wir haben uns gesagt, wir gehen eher in die Länder, wo wir uns den Markteintritt besser leisten können. Mit Bruker eröffnen sich natürlich neue Pforten Richtung Amerika. Es bleibt gleich teuer, aber wir haben natürlich andere finanzielle Ressourcen im Hintergrund.

Und geht es auch um einfachere Vertriebswege? Weil die schon ihre Kontakte haben?

Genau. Wenn Sie mal diese Zulassungshürde für die USA geschafft haben, stellt sich ja als nächstes gleich die Frage: Und wer macht jetzt das Geschäft?

Wegen ihrer Tuberkulosetests haben Sie viele Verbindungen nach Afrika. Bruker auch?

Ja, aber wir sind dort wesentlich stärker vertreten. Das ist auch das Tolle. Als wir unsere Vertriebsgebiete aufeinandergeworfen und geschaut haben, wer ist denn wo? Da hat sich schon bei den ersten Gesprächen gezeigt: Das matcht ganz toll. Wir sind dort stark, wo Bruker derzeit nicht so starken Fokus draufgelegt hat, und andersrum ist das natürlich noch ausgeprägter.

Dann gab es auch diesen Brustimplantateskandal in Frankreich, der, wie Sie mal sagten, alles teurer und die Bestimmungen schärfer gemacht hat. War das auch ein Grund, weshalb Sie einen Partner suchten?

Nein, das betrifft die neue Regulierung zur In-Vitro-Diagnostik (IVD). Die wurde in Europa komplett neu aufgerollt. Ausgangspunkt war eben unter anderem dieser Brustimplantateskandal. Das hat die Zulassung von jedem unserer diagnostischen Produkte ungeheuer verteuert und verkompliziert – für Europa schon. Bei dem Thema haben wir uns aus eigenen Mitteln supertoll aufgestellt. Wir erfüllen diese IVD-Regulierung bereits in weiten Teilen. Dafür hätten wir keinen Partner gebraucht.

Wird sich an Ihrem Produktportfolio etwas ändern?

Nein. Das werden wir weiter ausbauen. Wir bringen ständig neue Testparameter auf den Markt. Wir bleiben weiter fest in der Mikrobiologie drin, gehen jetzt aber auch in die Virologie und haben auf der neuen Geräteplattform ein breites Produktportfolio anzubieten.

Was bedeutet die Übernahme für die Belegschaft?

Unsere Belegschaft kann sich sicher sein kann, dass wir mit Bruker dieses Unternehmen in eine neue Dimension vorbringen können und die Leute keine Angst um ihre Arbeitsplätze oder Arbeitsbedingungen haben müssen. Das sind ja immer zwei Paar Stiefel: Der Arbeitsplatz ist zwar sicher, aber vielleicht ändert sich ja was an den Bedingungen. Man kann wirklich sagen, dass wir da eine gut funktionierende verlässliche Firma haben, mit der wir gut arbeiten können.

Werden Mitarbeiter viel Kontakt mit Bruker haben oder eher nicht?

Man wird sich in den Bruker-Konzern einfinden – es wird von einer sogenannten Integrationsphase gesprochen. Ein mittelständisches Unternehmen läuft natürlich immer anders als ein Konzern. Im Wesentlichen wird die tägliche Arbeit sich nicht ändern.

Gibt es dann einen gemeinsamen Betriebsrat?

In Nehren gibt es keinen Betriebsrat. Das spricht eigentlich dafür, dass die Mitarbeiter sich mit der Geschäftsleitung immer schön einigen konnten. Wenn Sie sich ein paar Stunden im Haus aufhalten, werden Sie merken, dass ein extrem gutes Betriebsklima herrscht. Und das wollen wir genau so weiterbehalten.

Künftiger Name ist „Bruker-Hain Diagnostics“

Die Bruker Corporation ist ein breit aufgestelltes Technologieunternehmen mit Hauptsitz in den USA, seine Wurzeln liegen jedoch in Karlsruhe. Es beschäftigt heute um die 6000 Menschen und hatte 2017 einen Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Dollar. Bruker stellt zum Beispiel Instrumente und Analysesysteme für die Pharma- und Biotech-Industrie her. Hain Lifescience entwickelt Diagnostika beispielsweise für Tuberkulose, Parodontitis und multiresistente Keime. In Nehren arbeiten momentan 120 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Insgesamt sind es knapp 200 – Hain hat Niederlassungen in Spanien, Kenia, Südafrika, Großbritannien und Frankreich sowie Vertriebspartner in mehr als 50 anderen Ländern. Die Geschäftsleitung teilen sich bisher die Brüder Tobias und David Hain. Als Gesellschafter ausgestiegen sind der Labormediziner Jan Bartel und der Molekularbiologe Michael Weizenegger, der aber als Berater bleibt. Beide hielten 15 Prozent. Es war eine „ideale Kombination“, sagt Tobias Hain, und „wichtig in der Zeit, als wir allein waren“. Die beiden hätten ab 2001 eine eher „protegierende Rolle“ gehabt. Hain Lifescience hat sich aus einem Handelsunternehmen für Laborbedarf entwickelt. Hains haben es 1986 in Reutlingen gegründet – beraten und unterstützt von ihrem Vater Klaus. Seit 1992 hat die Firma ihren Sitz in Nehren. David Hain ist unter anderem für die Produktentwicklung und den Auslandsvertrieb zuständig, Tobias Hain verantwortet den Bereich Dental- und Betriebsadministration. Heuer erwartet Hain einen Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro. Momentan läuft das Zustimmungsverfahren bei den Kartellbehörden. Nach Tobias Hains Einschätzung wird dies keine Hürde darstellen. Über den Kaufpreis haben die Firmen Stillschweigen vereinbart.

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Erstellt:
22.09.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 00sec
zuletzt aktualisiert: 22.09.2018, 01:00 Uhr

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