Mackevision

Die neue Realität

Ein Stuttgarter Unternehmen erschafft Welten, die es nicht gibt. Für die Arbeiten an der Kultserie „Game of Thrones“ gab es den US-Fernsehpreis Emmy. Auch Autos der Zukunft flitzen über ihre Bildschirme.

01.12.2018

Von THOMAS VEITINGER

Bevor ein animiertes Ferkel laufen kann, muss es erst am PC erschaffen werden (Bild oben und mitte). In der unteren Filmszene reicht eigentlich eine kauernde Mitarbeiterin dem Mädchen etwas. Die Frau wurde in einem weiteren Schritt durch das Schweinchen ersetzt, so dass es wie eine Fütterung aussieht. Foto: Mackevision

Bevor ein animiertes Ferkel laufen kann, muss es erst am PC erschaffen werden (Bild oben und mitte). In der unteren Filmszene reicht eigentlich eine kauernde Mitarbeiterin dem Mädchen etwas. Die Frau wurde in einem weiteren Schritt durch das Schweinchen ersetzt, so dass es wie eine Fütterung aussieht. Foto: Mackevision

Stuttgart. Eine Stadt gefällig? Ein kämpfendes Heer, ein Auto der Zukunft oder ein süßes Ferkel? Das alles und noch viel mehr erschafft das Unternehmen Mackevision. Am Computer. Und das so gut, dass ihre Arbeit mit einem Emmy ausgezeichnet wurde, dem bedeutendsten US-Fernsehpreis. Für herausragend hielt die Jury die virtuelle Realität der Kultserie „Game of Thrones“.

Wer nun denkt, das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in einer Industriehalle bei Hollywood oder zumindest in einem angesagten Viertel in Auckland, liegt falsch. Mackevision ist auf dem Bosch-Areal in Stuttgart zuhause. Wo früher Zündkerzen für Autos produziert wurden, entsteht heute in insgesamt vier Gebäuden auf acht Stockwerken sogenannte datenbasierte Visualisierung für Filme, Werbung und Verkauf.

Ein Elektro-Porsche fährt durch wunderschöne Natur, ein Wagen von MG rast durch eine Tiefgarage, ein Mercedes-Benz-Bus lässt seine Scheinwerfer zu basslastiger Musik leuchten: perfekt inszenierte Kurzfilme, die zum Großteil am Computer entstehen. Wer den Unterschied zwischen fiktivem und realem Innenraum eines Autos erkennen will, muss auf ausgedruckten Bildern der Filme schon sehr genau hinsehen. „Viele Leute wissen nicht mehr, was wirklich ist und was nicht“, sagt Mackevision-Marketingchef Alexander Trage. Um solche perfekten Abbildungen zu schaffen, braucht es viele Informationen – etwa über die Oberfläche, Eigenschaften und Glanzgrade einzelner Gegenstände des Autos. Wie sieht der Lichtkegel des Autos aus? Was ist auf dem Display zu sehen, wenn der Motor gestartet wird? Was reflektiert sich wie im Fenster bei einer Tunnelfahrt?

Informationen bedeuten Daten. Mit Datenaufbereitung erzielt Mackevision die Hälfte seines Umsatzes. Baumärkte etwa liefern Informationen, das Unternehmen erschafft hochautomatisiert daraus 300?000 fotorealistische Produkte für den Internetauftritt – schneller, billiger und durch die digitale Form vielseitiger verwendbar als es herkömmliche Fotos sind. So lässt sich etwa die Bohrmaschine online drehen und von allen Seiten betrachten.

Wer sich auf der Seite eines süddeutschen Autoherstellers ein Fahrzeug zusammenstellt, kann die verschiedenen Felgen und Farbkombinationen und Formen der Sitze sofort sehen. Bei manchen Auto-Modellen sind insgesamt hunderte Millionen Kombinationen möglich, die sich nur noch computeranimiert zeigen lassen. „Vor 20 Jahren gab es bei Auto-Händlern Broschüren. Heute gibt es Informationen auf Webseiten, sozialen Plattformen, mobilen Applikationen und in Anwendungen virtueller Realität. Alle Kanäle wollen bedient werden“, sagt Trage.

Gelände in „Game of Thrones“, „Independence Day II“, Straßenszenen in „Jim Knopf“, Raumschiffstarts in „Lost in Space“ – alles gut und recht. Aber 95 Prozent des Umsatzes macht Mackevision mit Filmen über Produkte, meist aus der Autoindustrie. „Beide Welten sind wichtig für uns“, sagt Verkaufsspezialist Jörn Hüggelmeier. „Wir haben Leute im Haus, die wissen, wie Regentropfen im Spielfilm aussehen.“

Zur Realität hat Mackevision sowieso eine besondere Einstellung. Vom Geschäftsführenden Gesellschafter Armin Pohl stammen die Worte: „Die Welt, die für die Zuschauer geschaffen wird, ist ja in gewisser Weise auch real.“ Menschen würden durch neue Realitäten in andere Welten gebracht.

Oder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wie in einem Film für die Tierschutzorganisation Peta, in der ein Ferkelchen zunächst ein guter Freund ist und später auf dem Teller landet – virtuell, versteht sich. Nachdem sich Mackevision in Filmen vor allem einen guten Namen mit Hintergründen und Gebäuden gemacht hat, wollten die Stuttgarter zeigen, dass sie auch Tiere können. Das gelang so gut, dass die Geschichte des Ferkelchen bei der Vorstellung auf einem Festival Zuschauer zu Tränen rührte.

In der Werbung ist derzeit Individualität angesagt. Je nachdem, wer den Film sieht, sitzt etwa US-Rapperin Nicki Minaj oder Formel-1-Rennfahrer Lewis Hamilton hinterm Steuer. Die Fahrzeuge werden mit alten Modellen gedreht und dann mit einem aktuellen ersetzt. Wie die Autos der Zukunft aussehen, ist natürlich streng geheim. Sollten Bilder der Fahrzeuge, die erst Jahre später über die Straßen rollen, an die Öffentlichkeit dringen, bekäme Mackevision große Probleme. Der Konkurrenz- und Preiskampf in der Branche ist hart, sagt Trage.

Immer wieder ist den Spezialisten früh klar, wer in welcher Folge etwa von einem Pfeil durchbohrt wird und stirbt. Absolute Verschwiegenheit gilt deshalb ebenfalls für Film- und Serien-Produktionen, sonst drohen Strafen: Virtuelle Realität kann sehr reale Folgen haben.

Visuelle Effekte sparen bei „Game of Thrones“ viel Geld. Foto: Mackevision

Visuelle Effekte sparen bei „Game of Thrones“ viel Geld. Foto: Mackevision

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Erstellt:
01.12.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 01.12.2018, 06:00 Uhr

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