Bush, der Papst und wer noch? Die Achse des Bösen ist länger, als man glaubt.

Die unbarmherzigen Schwestern

Bush, der Papst und wer noch? Die Achse des Bösen ist länger, als man glaubt.

24.11.2015

Von che

Die unbarmherzigen Schwestern

Dass der Papst dem Bush eins auf die Mütze gibt, ist schon in Ordnung. Aber vielleicht sollte er sich zwischendurch auch mal an die eigene katholische Nase fassen. Da gab es zum Beispiel in Irland, und zwar bis ins Jahr 1996, so genannte Magdalenen-Heime. Dort wurden Frauen, die gegen die strenge Sexualmoral verstoßen hatten, oft jahrzehntelang eingesperrt, von katholischen Betschwestern gedemütigt, misshandelt und zu schwerster Sklavenarbeit gezwungen. Die meisten Opfer waren, wenn sie überhaupt je freikamen, psychisch vernichtet. Entschuldigt hat sich die Kirche dafür bis heute nicht.

Dieses finstere, bisher kaum bekannte Kapitel Kirchengeschichte hat der gelernte Schauspieler Peter Mullen („Braveheart?) zu einem Film verarbeitet, der völlig überraschend und zum Ärger der Klerikalen in Venedig mit dem Goldenen Löwen dekoriert wurde. Die Geschichte beginnt 1964. Als andernorts die Beatlemania grassiert, werden drei junge Frauen in eine Magdalenen-Anstalt in der irischen Provinz eingeliefert. Ihre Vergehen: eine erlittene Vergewaltigung, ein uneheliches Kind, Schäkern mit Jungs. Stellvertretend stehen die drei (weitgehend authentischen) Schicksale für das Anliegen des Regisseurs, das von höchsten katholischen Stellen gedeckte Gewaltregime der „Barmherzigen Schwestern? und vor allem die Torturen vieler Hunderter Opfer vor dem Vergessen zu bewahren.

Mullen ist clever genug, die Unterdrückten nicht als reine Lichtgestalten vorzuführen. Vielmehr passen sie sich allmählich dem Zwangssystem an und exerzieren die Quälereien, denen sie Tag für Tag ausgesetzt sind, schließlich an sich selbst. Umgekehrt deutet der Film an, dass auch die Herrschenden nicht von Natur aus böse sind. Zwar schwelgt er zuweilen ganz schön drastisch in sadistischen Exzessen, zeigt (über-)deutlich die Raffgier und Sexual-Komplexe der im Machtrausch delirierenden Schwestern. Doch als in der Anstalt einmal ein Film gezeigt wird („Die Glocken von St.Marien? mit Ingrid Bergman), umspielt ein so glückseliges Lächeln die Lippen der Oberin, dass man unter ihrer grausamen Schale einen Restbestand verdrängter Menschlichkeit vermuten muss.

Über die antiklerikale Wut und den aufklärerischen Impetus hinaus funktioniert „Die unbarmherzigen Schwestern? aber auch als Unterhaltungsfilm. Mullen mixt schwungvoll Elemente des Gefängnis-, Lager- und Kasernenhof-Dramas zu einem durchweg spannenden Kinostück, das auch als Fiktion unter die Haut gehen würde. Ganz Genre-gerecht gelingt den drei Drangsalierten am Ende die Flucht aus der Hölle.

So leicht wie diese vonstatten geht, ist sie allerdings mehr als ein versöhnliches Happy End. Sie unterstreicht, dass es keineswegs bloß die Mauern waren, die die Frauen in ihrem Gefängnis hielten, sondern offenbar auch ein tief verinnerlichter Glaube an die eigene Schuld und die Gerechtigkeit der Strafe. Insofern gilt Mullens Kritik nicht nur dem fürchterlichen Kuriosum der Magdalenen-Heime oder dem Sadismus von Einzelnen, sondern einer wahnhaft religiösen Gesellschaft, in der monströse Repressions-Apparate (nicht nur) katholischer Bauart erst gedeihen können.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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07.11.200312:00 Uhr

absolut sehenswert.