Tübingen · Ausstellung

Der ewige Buchegger: Diese Leute kenne ich doch!

Seit 50 Jahren erscheinen Karikaturen von Sepp Buchegger im TAGBLATT. Das Stadtmuseum zeigt nun einen Querschnitt durch das Werk und gibt Einblicke in seine Arbeitsweise.

24.03.2023

Von Moritz Siebert

Radfahrer sind in Tübingen immer ein gutes Thema, findet Sepp Buchegger. Einfach zu zeichnen sind die aber nicht, schon gar nicht von vorne. Und was, wenn der Karikaturist die Aufgabe an eine KI delegiert? Will man eigentlich gar nicht wissen. Bild: Ulrich Metz

Radfahrer sind in Tübingen immer ein gutes Thema, findet Sepp Buchegger. Einfach zu zeichnen sind die aber nicht, schon gar nicht von vorne. Und was, wenn der Karikaturist die Aufgabe an eine KI delegiert? Will man eigentlich gar nicht wissen. Bild: Ulrich Metz

Lauter Einser, nur im Singen eine Zwei, notierte der Volksschullehrer für das Jahr 1956 im Zeugnisblatt. „Strebsam, sehr interessiert, brav“ sei der Junge. Und: „Malt sehr gut“ ist am Rand vermerkt. „Ich bin damit aufgewachsen“, sagt Sepp Buchegger. Papier, Stifte und Farben, das habe es zuhause immer gegeben, weil der Vater als Setzereileiter in einem Druckhaus arbeitete. Künstler sollte der Sohn aber nicht werden, der Vater wünschte sich für ihn einen sicheren Beruf. Zum Wintersemester 1971 kam Sepp Buchegger dann nach Tübingen, um aufs Lehramt zu studieren.

Er studierte Sport und Politik, Lehrer wurde er aber nicht. Am 3. Januar 1973 war zum ersten Mal eine Buchegger-Karikatur im SCHWÄBISCHEN TAGBLATT abgebildet. Zwischen 5000 und 6000 Zeichnungen sind seitdem erschienen, schätzt er. Einen Teil davon zeigt nun das Stadtmuseum. Die Ausstellung „Bucheggers Tübingen“ gibt einen Überblick über das Schaffen des Karikaturisten, sie dokumentiert, wie er das politische und gesellschaftliche Geschehen in der Stadt beobachtet und begleitet, kritisch und humorvoll. Sie erinnert an Debatten und Ereignisse und gibt einen Einblick in Bucheggers Arbeitsweise. Am heutigen Freitagabend wird die Ausstellung eröffnet (siehe Infobox).

Arbeitszimmer im Museum

Neben dem Zeugnis aus der Volksschule Bayreuth sind noch einige weitere persönliche Dokumente und Objekte zu sehen. In einem Raum im obersten Stock hat das Stadtmuseum Bucheggers Arbeitszimmer nachgestellt – mit Original-Arbeitstisch und -Lampe. Die Stifte, mit denen Besucher selbst zeichnen dürfen, sind keine Originale. Seine brauche er ja zuhause, meint Buchegger, den Kurbelspitzer konnte er aber für die Ausstellung entbehren. Eine Fotografie von 1975 zeigt den jungen Künstler am Schreibtisch, eine andere den älteren. Skizzen und Studien veranschaulichen, wie seine Zeichnungen entstehen, und die Besucher bekommen auch einen Eindruck, wie sich die TAGBLATT-Karikatur in den zurückliegenden 50 Jahren entwickelte: von den 1970er Jahren mit einspaltigen Miniaturen, mit einfachen Strichen gezeichnet, über Bilder mit Schattierungen und Tiefe, was in den 1980er Jahren im Druck möglich wurde. Ab Anfang der Nullerjahre erschien die Karikatur dann immer häufiger in Farbe.

Mal ist zuerst die Idee für das Bild da, mal zuerst die Idee für den Text, erzählt Buchegger. Klar ist aber: Text und Bild sind nicht voneinander zu trennen. Die Karikatur, die samstags in „Bucheggers Wochenschau“ erscheint, entsteht immer erst am Freitag. Es könnte ja noch was Wichtigeres passieren. Dass der 74-Jährige bis dahin keine Idee hat, das kommt eigentlich nicht vor. Und wenn doch? „Es gibt ja auch so Schlupflöcher“, sagt Buchegger. Wenn sich wirklich kein Thema aufdrängt, dann gingen immer noch die Themen Freizeitverhalten, Verkehr oder Radfahrer. „Da liegst du nie falsch.“

Die Ausstellung zeigt die Vielfalt an Themen, mit denen sich Buchegger beschäftigt. Überwiegend, aber nicht nur, sind das Arbeiten, die für das TAGBLATT entstanden sind. Der Hauptraum unterm Dach im Stadtmuseum ist thematisch gegliedert: großformatigen Alte-Meister-Collagen, Corona-Skizzen auf Stenoblock-Seiten, Stadtfest-Plakate. In der Raummitte ist eine Leseecke eingerichtet mit Zeitungen und Büchern. Das Foyer schafft mit ein paar Zeichnungen zum Thema KI die Verbindung zur aktuellen Sonderausstellung „Cyber and the City“ im Erdgeschoss.

Auch im Treppenhaus sind viele Blätter ausgestellt. Zum Beispiel, auch ein klassisches Buchegger-Thema, zur Schwäbischen Mentalität. „Darf’s scho was zum Trinka sei?“, fragt die Kellnerin. „A schwäbische Schorle“, antwortet der Herr im grauen Pullover: „halb Sprudel, halb Leitungswasser.“ Die Figuren sind einfach gestaltet, ihr Gesichtsausdruck, die Kleidung und Körperhaltung aber eben doch so detailreich, so präzise und charakteristisch, dass der Betrachter sofort eine Vertrautheit spürt und sich ziemlich schnell ziemlich sicher ist: Diese Leute, die kenne ich doch!

Dass der Betrachter tatsächlich Figuren wiedererkennt, ist Voraussetzung für die Karikatur, wenn Prominente darin auftauchen. Eine Herausforderung für den Zeichner, der sich dabei an besonderen, meist körperlichen Merkmalen orientiert. „Dass Kretschmann eine Frisur hat, wie er sie hat, das ist ein Segen für einen Karikaturisten“, erklärt Buchegger. Gegenbeispiel? Manuel Hagel, der als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten in Reihen der Union gehandelt wird. „Normale Frisur, keine Brille, keinen Bart und eine ganz normale Nase“, beschreibt Buchegger: „Das ist eine echte Herausforderung.“

Viele Debatten, kleine und große

Die Ausstellung im Stadtmuseum erinnert an Debatten in der Stadtgesellschaft, kleinere und größere, ob studentische Wohnungsnot 1989, Streit in der Stocherkahnszene 2009 oder Baugebot 2019. Und veranschaulicht wunderbar das Phänomen, dass manche Themen in Tübingen ihre Aktualität einfach nicht verlieren. Schwäne füttern – ging es darum nicht erst kürzlich? Ja, aber eben auch schon 2004.

Aufs Lehramt studierte Buchegger bis zum zweiten Staatsexamen. „Das Sportstudium war klasse“, erinnert er sich. Dass er sich dann doch gegen den Beruf entschied, daran hatte am Ende auch die Oberstufenreform 1976 ihren Anteil. Er hätte ein drittes Fach studieren müssen, erzählt Buchegger, und wäre damit erst mit Ende zwanzig fertig geworden. Zu diesem Zeitpunkt war er beim TAGBLATT und bei anderen Medien auch schon gut als Karikaturist etabliert. Seit 1976 zeichnete Buchegger auch für Fernsehsender. „Learning by doing“ – so beschreibt er seinen Werdegang ohne künstlerische Ausbildung. Gezeichnet hat er schon immer, ob für die Schülerzeitung oder wenn er sich in Vorlesungen langweilte.

Zu einer Olympia-Ausstellung vom Ludwig-Uhland-Institut steuerte er 1972 Zeichnungen bei. Der Kulturwissenschaftler Utz Jeggle, der damals Kritiken fürs TAGBLATT schrieb, vermittelte den Kontakt zur Zeitung. „Er fand Gefallen, sowohl an mir als auch an den Zeichnung“, erinnert sich Buchegger an die Reaktion des damaligen Chefredakteurs Christoph Müller. „Und der Rest der Redaktion zeigte freundliches Interesse.“ Zunächst erschienen seine Zeichnungen unregelmäßig, bald schon wöchentlich. Eine gewisse Herausforderung sei das schon gewesen, so Buchegger, denn von politischen Zusammenhängen in der Stadt habe er damals noch wenig Ahnung gehabt. Der Kontakt zur Redaktion wurde enger. „In den Lehrjahren absolut wichtig“, erinnert sich Buchegger. „Hingehen, zeigen und drüber reden.“ Das war und ist ihm heute noch wichtig.

Für die Samstagskarikatur benötigt Sepp Buchegger übrigens zwei bis drei Stunden. „Und ich bin mir sicher, dass sie nicht besser wird, wenn ich noch einen Tag Zeit hätte“, sagt er. „Meine Arbeitsweise ist eben der Tatsache geschuldet, dass es morgen eine neue Zeitung gibt.“

Zeichnungen in Stadtmuseum und Hölderlinturm

Seit 50 Jahren begleitet und kommentiert Sepp Buchegger mit seinen Karikaturen das Stadtgeschehen für das SCHWÄBISCHE TAGBLATT. Anlässlich des Jubiläums widmet das Stadtmuseum dem Künstler eine Ausstellung. „Bucheggers Tübingen“ wird am heutigen Freitag, 24. März, um 19 Uhr im Löwen (Kornhausstraße 5) eröffnet. Im Anschluss ist eine kleine Feier im Stadtmuseum. Sprechen werden Dagmar Waizenegger, Leiterin des städtischen Fachbereichs Kunst und Kultur, und Ulrich Janßen, stellvertretender Chefredakteur des TAGBLATTS.

Begleitend zeigt auch der Hölderlinturm eine kleine Auswahl von Bucheggers Zeichnungen, die sich mit dem Dichter Hölderlin befassen. Die Ausstellung „Bucheggers Tübingen“ ist bis zum 19. November zu sehen. Das Stadtmuseum ist immer von Mittwoch bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr, geöffnet, der Hölderlinturm immer Donnerstag bis Montag, 11 bis 17 Uhr. Weitere Informationen auf www.tuebingen.de/ stadtmuseum.