Prozess

Eigentlich habe er nur gewollt, dass der Mann den Laden verlässt

Ein 31-Jähriger muss sich seit gestern vor dem Landgericht Rottweil verantworten. Im Juli 2017 soll er auf dem Horber Hohenberg einen Mann erstochen haben.

02.03.2018

Von Nathanael Häfner

Blumenschmuck der Trauer: An den Tagen nach dem tödlichen Zwischenfall beim Horber Real-Markt herrschte sichtbar Betroffenheit ob der Tat, die seit gestern am Landgericht Rottweil verhandelt wird. Archivbild: Kuball

Blumenschmuck der Trauer: An den Tagen nach dem tödlichen Zwischenfall beim Horber Real-Markt herrschte sichtbar Betroffenheit ob der Tat, die seit gestern am Landgericht Rottweil verhandelt wird. Archivbild: Kuball

Ein Toter am Real-Markt auf dem Hohenberg, mutmaßlich mit einem Dönermesser erstochen. Der Fall erschütterte vergangenen Sommer die Horber Bevölkerung und die Menschen im Umland. Am Landgericht Rottweil begann Donnerstag der Prozess wegen Totschlags gegen den 31-jährigen Angeklagten.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, das damals 35-jährige Opfer im Juli 2017 mit einem Dönermesser und mindestens vier Einstichen umgebracht zu haben. Sie geht dazu davon aus, dass der Angeklagte psychisch krank und daher erheblich vermindert schuldfähig ist.

Der Tat ging wohl ein Streit voraus

Vor der Tat soll es einen Streit gegeben haben. Der Angeklagte war Aushilfe in dem Dönerladen am Real-Markt und habe sich beschwert, dass das Opfer zu laut gewesen sei. Nach einigen Wortwechseln soll das Opfer den 31-Jährigen mit der Faust geschlagen haben. Der Angeklagte verteidigte sich mutmaßlich mit Stühlen und Tischen des Imbisses gegen das Opfer. Dieses flüchtete aus dem Laden, kam aber unmittelbar davor zu Fall. Der Angeklagte soll daraufhin mit einem Dönermesser aus dem Laden mindestens vier Mal auf das Opfer eingestochen haben. Wenige Minuten später verstarb der Mann an seinen Stichverletzungen.

Da gestern ein Gerichtsmediziner verhindert war, beschäftigte sich das Gericht am ersten Prozesstag weniger mit dem genauen Ablauf der Tat am 13. Juli 2017. Vielmehr stand das bisherige Leben des Angeklagten im Mittelpunkt.

Mit 19 Jahren selbstständig

Der 31-jährige S. ist im Kosovo als drittes von sechs Kindern geboren. 1992 starb seine Mutter. Wegen des Bürgerkriegs floh die Familie wenig später nach Deutschland und landete in Herrenberg. Dort besuchte der Angeklagte die örtliche Realschule und fing anschließend eine Ausbildung als Verwaltungsangestellter an. Zu langweilig und perspektivlos erscheine diese dem Angeklagten damals, nach acht Monaten brach er ab. „Die zweieinhalb Jahre Ausbildung wären im Nachhinein ein guter Grundstein gewesen“, sagte der Angeklagte am Donnerstag.

Mit 19 Jahren machte der Angeklagte sich selbstständig. Er nahm einen Kredit über 50000 Euro auf, kaufte eine Eigentumswohnung und gründete ein Reinigungsunternehmen. Das Geschäft lief zunächst gut, auf dem Höhepunkt beschäftigte der Angeklagte 14 Mitarbeiter. Nach einigen Jahren verlor S. jedoch Aufträge und meldete schließlich 2013 Privatinsolvenz an. In dieser Zeit habe er Depressionen bekommen.

Aus diesem Abschnitt resultiert auch der erste psychische Anfall. Der Angeklagte fuhr betrunken und unter Drogenkonsum im Zug nach Hamburg, als er plötzlich Angst vor einem Schaffner bekam. Er floh im Zug, bekam Panikattacken. Schließlich nahm in die Polizei mit. Er verbrachte danach vier Wochen in einer Osnabrücker Psychiatrie. Seitdem habe er immer
wieder Wahnvorstellungen und berichtete dem Gericht von Träumen.

In Träumen tötete er die Mutter

Sie handelten oft vom Bürgerkrieg in Kosovo. Der Angeklagte sehe sich darin als Soldat der Freiheitskämpfer, zudem töte er in den Träumen seine Mutter. Zur Zeit des Kosovokriegs war er ein Kind, Wehrdienst oder militärische Ausbildung hat er nicht absolviert. Sein mittlerweile verstorbener Onkel kämpfte in den Neunzigern und lehrte dem Angeklagten Selbstverteidigung. Zeugen berichteten vergangenes Jahr, dass der 31-Jährige direkt nach der Tat militärisch anmutende Messerübungen gemacht habe.

In den Jahren vor der Tat lebte der Angeklagte hochverschuldet teilweise bei seiner Schwester in Ulm und arbeitete bei einer Leihfirma. Er stand in diesen Jahren zudem im Austausch mit einem psychiatrischen Betreuer, der Kontakt hält bis heute. Die Ulmer Firma bot ihm eine Ausbildung als Mechaniker an, die er ablehnte. Im Jahr 2014 begann er, eine Therapeutin zu aufzusuchen – Ärzte hatten bei ihm eine paranoide Schizophrenie festgestellt. Außerdem verbrachte der Angeklagte wegen der Wahnvorstellungen einige Monate in der Psychiatrie Freudenstadt.

Vor zwei Jahren zog der Angeklagte nach Horb und begann, bei der Diakonie Essen auszuteilen. Nach den beiden Jahren bot diese ihm einen unbefristeten Vertrag an, was der Angeklagte allerdings ablehnte. Das Gehalt von 480 Euro reiche ihm nicht. Daher fing er bei besagtem Dönerimbiss auf dem Real-Gelände in Horb an. Er sei im Berufsleben immer sehr ehrgeizig und habe den Laden nach wenigen Wochen gut leiten können, wenn der Chef nicht da war, sagte der Angeklagte.

Grundsätzlich sei er ein zurückgezogener Mensch. Seine psychische Krankheit sei ihm bewusst gewesen. Gegenüber dem Imbisschef habe er diese aber aus Scham nicht mitgeteilt. Mit Kunden gehe er stets höflich um.

In den drei Tagen vor der Tat am 13. Juli 2017 besuchten Freunde den Angeklagten. In seiner Horber Wohnung kifften sie, das letzte Mal am Abend vor dem Tattag. Am Morgen der Tat habe der Angeklagte keine Drogen zu sich genommen. Der Ablauf beim Imbiss sei routiniert, und auch an jenem 13. Juli sei zunächst alles normal gelaufen. Der 31-Jährige kann sich noch an eine laute Kindergruppe erinnern, die er mittags höflich nach draußen gebeten habe.

Sieben Prozesstage, 39 Zeugen

Er habe Schande gebracht, sagte der Angeklagte am Donnerstag. Seit der Tat habe ihn noch kein Familienangehöriger besucht. Derzeit ist er in Konstanz psychiatrisch eingewiesen und besucht in einer Anstalt verschiedenste Therapieformen und Gesprächskreise. Die Wahnvorstellungen hätten in den vergangenen Monaten abgenommen. Er ist selbst davon überzeugt, dass die stationäre Behandlung nötig ist. Auf lange Sicht kann er sich vorstellen, ambulant behandelt zu werden, sagte der 31-Jährige.

Der Prozess in Rottweil ist auf insgesamt sieben Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil des Landgerichts Horb wird spätestens am 19. März erwartet. Neben der Bestrafung wegen Totschlags fordert die Staatsanwaltschaft, den Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen.

Der öffentliche Prozess wird heute um 9 Uhr fortgesetzt. Die ersten von insgesamt 39 Zeugen und Sachverständige werden sich dann zu dem Fall äußern, nachdem das Gericht am ersten Prozesstag den Hintergrund des Angeklagten ergründete.

Drei Familienangehörige des Opfers sind Nebenkläger im Prozess, darunter die Witwe. „Würden Sie sich heute nochmal so verhalten?“, fragte ihr Verteidiger am Donnerstag den Angeklagten.

Das wisse er nicht. Er habe sich verteidigen müssen, das Opfer sei aggressiv auf ihn losgegangen. „Hör auf“, habe eine Mitarbeiterin geschrien. Der Angeklagte habe nicht gewusst, was er machen soll. Er habe unbedingt gewollt, dass das Opfer den Laden verlässt. Es sollte einfach aufhören.

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02.03.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 07sec
zuletzt aktualisiert: 02.03.2018, 01:00 Uhr

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