Porträt

Ein Abschied, der auch weh tut

Über 20 Jahre war Ingrid Grossmann-Reck in der Schwangerschaftsberatung tätig. Zum 1. Dezember hört sie nun bei Donum Vitae in Horb auf.

26.11.2016

Von Dagmar Stepper

Ingrid Grossmann-Reck hat oft traurige Geschichten gehört. Aber es es gab auch vieles, was sie zuversichtlich gestimmt hat. Bild: Kuball

Ingrid Grossmann-Reck hat oft traurige Geschichten gehört. Aber es es gab auch vieles, was sie zuversichtlich gestimmt hat. Bild: Kuball

Es ist warm und behaglich im Beratungszimmer von Donum Vitae in der Schillerstraße. Vom Verkehr draußen dringt kaum ein Geräusch herein. Ingrid Grossmann- Reck (63) sitzt am Tisch. Sie hält eine Tasse Tee in ihren Händen. Sie redet ruhig, sie hört aufmerksam zu. Tausenden von Frauen ist sie in den vergangenen 20 Jahren gegenübergesessen. Sie hat Geschichten gehört, die sie manchmal traurig machen. Aber auch zuversichtlich gestimmt haben. Grossmann-Reck ist in der Schwangerschaftsberatung von Donum Vitae. Und häufig sind es Konfliktberatungen, die ein Drittel der Beratungen im Landkreis Freudenstadt ausmachen. Denn viele Frauen werden ungewollt schwanger. Sie fragen sich, ob sie das Kind behalten wollen. Oder ob sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden sollen.

„Können wir uns ein Kind leiste?“, mit dieser Frage wird Grossman-Reck häufig konfrontiert. „Es sind oft wirtschaftliche Gründe, die zu einem Schwangerschaftsabbruch führen“, berichtet die Beraterin. Es ist die Angst vor dem Jobverlust, die prekäre Lage von Leiharbeit und befristeten Verträge, die Frauen dazu bewegen, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Sie kommen zur Schwangerschaftsberatung, weil sie unsicher sind. Und manche benötigen auch den Beratungsschein, der nach Paragraf 218/219 für eine Abtreibung benötigt wird.

Abbruch immer noch ein Tabu

Die Aufgabe der Donum-Vitae-Beraterinnen ist es nicht, diese Entscheidung den Frauen abzunehmen. „Das ist nicht meine Entscheidung, sondern die Entscheidung der Frau“, betont Grossmann-Reck. „Aber wir können zeigen, wie ein Leben mit Kind aussehen kann.“ Das bedeutet, Lösungen aufzuzeigen und Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Dass ein Leben mit Kind sehr erfüllend sein kann. Dass es finanzielle und praktische Hilfen gibt. Will eine Frau trotzdem den Schein, wird diese Entscheidung natürlich respektiert. Manchmal weiß Grossmann-Reck nicht, wie die Geschichte zu Ende ging. „Bei manchen Paaren oder Frauen habe ich gedacht, wenn sie sich für einen Abbruch entscheiden, dann geht etwas in der Seele kaputt“, sagt sie. Aber es gab auch schon das Gegenteil: Da stand ein Paar mit Baby vor der Tür. Da wusste sie, sie hatte alles richtig gemacht.

Häufig werden die Frauen zerrissen zwischen den Argumenten für oder gegen ein Kind. Gerade diese innere Ambivalenz macht die Entscheidung so schwer, erklärt Grossmann-Reck. Abbruch ist immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft. „Ich habe noch nie eine Frau erlebt, die das einfach so locker machen würde.“ Oft kommen aber auch Probleme mit dem Partner hinzu. „Egal, wie du dich entscheidest: Ich stehe zu dir“, ist ein typischer Mänenrausspruch. „Doch viele Frauen wollen eine klare Aussage“, sagt sie. Daher würde sie sich wünschen, dass mehr Männer zu den Gesprächen mitkommen würden.

Depressionen und Ängste

Die Konfliktberatung ist aber nur ein Teil der Arbeit. Donum Vitae begleitet und berät Frauen während der Schwangerschaft und darüber hinaus. Im vergangenen Jahr suchten bundesweit 200 000 Schwangere eine Beratungsstelle auf. Das ist ein Drittel aller schwangeren Frauen. Im Landkreis Freudenstadt waren es in den beiden Beratungsstellen in Horb und Freudenstadt 337 Frauen, teilweise mit Partnern. Sie kommen vor allem wegen der sozialrechtlichen Beratung und die Vermittlung von finanziellen Hilfen. Doch das ist oft nur ein Türöffner: Viele die die Schwelle von Donum Vitae übertreten, haben noch andere Dinge auf dem Herzen. Probleme mit dem Partner, Ängste vor einer Überforderung als Alleinerziehende oder auch Depressionen nach einer Geburt. „Das macht die Arbeit so spannend. Auch wenn es einen manchmal schockt. Aber langweilig ist sie nie“, erzählt Grossmann-Reck.

Die 63-Jährige ist prädestiniert für den Job. Seit Donum Vitae im Jahr 2003 die Beratungsstelle in Horb eröffnet hat, ist sie dabei. Davor hatte sie für die Caritas in Nagold in der Schwangerschaftsberatung gearbeitet. Vor Nagold arbeitete sie zehn Jahre im Landkreis Freudenstadt mit alleinerziehenden Müttern. Sie hat also fast ihr ganzes Leben mit Kindern oder Eltern zu tun gehabt. Als sie ihre Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin in Stuttgart machte, – hier ist sie auch aufgewachsen – hatte sie in ihrem Anerkennungsjahr mit schwangeren Jugendlichen zu tun. Bei ihrem Sozialpädagogik-Studium in Reutlingen hat sie den Frauenhaus-Verein mitgegründet. Beim Studium in Reutlingen hat sie übrigens ihren Mann Erwin Reck kennen gelernt. Die beiden haben drei Söhne. Mit ihrem Mann, dem langjährigen Caritas-Chef von Horb, verbindet sie der Kampf für die Schwachen dieser Welt.

Praxis in Empfingen bleibt

Erwin Reck ging am Juni in den Ruhestand. Ihn wird sie jetzt bald öfters sehen. Grossmann-Reck hört auf den 1. Dezember als Beraterin bei Donum Vitae auf. Leicht fällt es ihr nicht. „Ich bin schon ein wenig traurig“, gibt sie zu. 20 Jahre war sie in der Schwangerschaftsberatung tätig, Sie hat es gern gemacht. „Auch der Austausch mit den Kolleginnen und dem Vorstand wird mir fehlen. Wir waren ein Dream-Team.“ Aber jetzt sei es an der Zeit, dass neue und jüngere Beraterinnen zum Zuge kommen. Sie ist sehr glücklich, dass Christa Weißer, die bisher bei Donum Vitae in Freudenschaft arbeitet, nun ihren Platz in Horb einnimmt. Denn Weißer ist ebenfalls Gründungsmitglied von Donum Vitae im Landkreis und kennt sich in der Materie sehr gut aus.

Außerdem wird sie ja weiterhin ihre Beratungspraxis für systematische Therapie in Empfingen weiterbetreiben. Hier bietet sie Paar-, Einzel- Familien- Lebens- und Gruppenberatung an. Und sie freut sich schon auf die Zeit des Reisens. Sie zählt noch das Haus in Empfingen den Garten und ihre Freundinnen auf. Und natürlich die Enkelkinder: Vor kurzem ist sie zum ersten Mal Großmutter geworden, im Februar wird sie es wieder. „Es ist ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt sie zum Schluss.

Donum Vitae in Kürze

Donum Vitae wurde 1999 von katholischen Christen gegründet, als Antwort auf den Ausstieg der katholischen Bischöfe aus dem gesetzlichen Beratungssystem bei Schwangerschaftsabbrüchen. Donum Vitae bietet umfassende qualifizierte Hilfe an und zeigen in aufmerksamer Zuwendung behutsam Perspektiven für ein Leben mit dem Kind. In Horb wurde eine Donum-Vitae-Beratungsstelle 2003 eröffnet. In 2015 wurden im Landkreis 337 Frauen beraten.