Der Staatsanwalt, der Raubüberfälle plante

Ein Blick zurück: Bernhard Henn war 37 Jahre lang Strafverfolger, fast 35 davon in Tübingen

Laut konnte er werden im Gerichtssaal – und auch deutlich: „Was hier passierte, war eine bodenlose Sauerei“, donnerte Bernhard Henn dann in Richtung des Angeklagten. Oder er schmetterte einem Zeugen ein „Ich glaube Ihnen kein Wort!“ entgegen.

10.12.2016

Von Jonas Bleeser

Nach einem aufregendem Leben als Ermittler ganz entspannt im Ruhestand: Oberstaatsanwalt Bernhard Henn. Bild: Metz

Nach einem aufregendem Leben als Ermittler ganz entspannt im Ruhestand: Oberstaatsanwalt Bernhard Henn. Bild: Metz

Seine Plädoyers hielt er immer frei, nie vom Blatt abgelesen. Und auch wenn Henn dabei manchmal tief in die rhetorische Trickkiste griff, schätzte er die Wirkung des mündlichen Anklagevortrags nicht allzu hoch ein. Nur einmal habe er wirklich das Gefühl gehabt, ein Gericht dadurch maßgeblich in dessen Entscheidung beeinflusst zu haben. Ansonsten gelte: „Das muss im Prozess vorher gelaufen sein.“

In den Verhandlungspausen dagegen wirkte der eben noch strenge Staatsanwalt meistens aufgeräumt. Er konnte sich fast diebisch darüber freuen, wie man trickreich einen Dealer drangekriegt hatte, wie es gelungen war, einen Betrüger zu überführen. Seinen Job als Staatsanwalt erfüllte Henn ganz offensichtlich gern, nicht nur vor Gericht, sondern vor allem als Ermittler. „Das war mein Ding“, sagt er rückblickend. Seit dem 1. Dezember ist Henn, der zuletzt Oberstaatsanwalt war, in Pension.

Seine juristische Laufbahn begann er in Tübingen. Dort studierte er ab 1970 direkt nach dem Abitur Jura. Die politische Studentenbewegung beeindruckte ihn als Verbindungsstudent der „Virtembergia“ nur mäßig: „Nach meiner Erinnerung war Tübingen ein vergleichsweise ruhiges Pflaster.“ Nach dem Referendariat kam er nach kurzer Zeit als Strafrichter in Bad Urach und Münsingen zur Tübinger Staatsanwaltschaft und blieb dort – mit einer Unterbrechung als Justiz-Aufbauhelfer in Sachsen – fast 35 Jahre.

Schon als junger Staatsanwalt suchte Henn die Nähe zur Polizei. Er wollte nicht nur den Abschlussbericht auf dem Schreibtisch haben, er wollte aktiv an den Ermittlungen beteiligt sein. Das war Ende der 1970er-Jahre nicht unbedingt üblich: „Ich war einer der ersten Staatsanwälte, die bei der Polizei dabeigesessen sind. Ich wollte immer auf Augenhöhe mit meinen Gegenübern arbeiten. Das geht nicht, wenn ich in meiner Amtsstube sitze und die Leute antreten lasse.“ Sein Abteilungsleiter unterstützte das. „Damals gab es noch Polizisten, die mit einem Staatsanwalt nur im Stehen telefonierten. Das ist heute Gott sei Dank vorbei. Die Zusammenarbeit ist enger geworden.“

Der Überfall wird zur Falle

Von Anfang an setzte Henn auf den Einsatz verdeckter Ermittler. „Ich war in Tübingen wohl der erste Staatsanwalt, der selber einen gesehen hat.“ Dabei ging er auch unkonventionelle Wege. Anfang der 1980er-Jahre plante er gemeinsam mit Polizisten seinen ersten Raubüberfall – um weitere zu verhindern. In Tübingen war eine Volksbank überfallen worden. Einzige Spur zum Täter war ein zurückgelassene Kugel. Die Kripo bekam einen Tipp, wer es gewesen sein sollte. Sie setzte einen verdeckten Ermittler auf die Verdächtigen an. Die planten bereits den nächsten Bankraub. Der eingeschleuste Polizist überredete die Männer, doch lieber ein Glücksspiellokal in Baden zu überfallen. „Das war alles Legende, das gab es gar nicht wirklich.“ Da angeblich Waffen für den Überfall fehlten, überredete der Beamte seine Komplizen, die Waffe aus dem Volksbank-Überfall zu verwenden. Auf dem Weg zum geplanten Spielbank-Überfall wurden die Verdächtigen dann in eine Kontrolle gelotst – und im Kofferraum lag die Bankraub-Pistole. „Das machte es dann deutlich leichter, sie zu überführen“, sagt Henn und lächelt.

Der Spezialist für große Fälle

Henn wurde zuständig für organisierte Kriminalität, kurz: O.K. Oft ging es um lange Drogen-Verfahren. Dabei sind verdeckte Ermittlungen üblich. Henn hält sie für ein wichtiges und sinnvolles Mittel. Allerdings gebe es eine klare Grenze: „Ich darf keinen anstiften – und das ist mir auch absolut fern.“ Die Ermittler dürften sich keinesfalls jemanden ausgucken, den sie dann zum Schwerkriminellen aufbauten. „Es muss jemand sein, der schon Ähnliches gemacht hat und das auch weiter machen will.“ Manchmal komme man mit normalen verdeckten Maßnahmen wie Telefonüberwachung und Observation eben nicht weiter. Aber wenn beispielsweise durch einen fingierten Drogenkauf schon buchstäblich etwas auf dem Tisch liege, sei der Nachweis besser möglich – „und das Reden mit dem Verdächtigen fällt leichter“.

Dass Verdächtige mit ihm sprachen, Reue zeigten, beispielsweise in einem Drogenfall ihre Lieferanten und Abnehmer nannten, war ihm wichtig. Dann senkte er im Prozess die Strafforderung deutlich. Das mit Verteidigung und Gericht vorab auszuhandeln, hält er für sinnvoll: „Ich kann doch eine Entscheidung nicht besser hinkriegen, als wenn alle Beteiligten hinterher sagen können: So passt es.“

Seine Bereitschaft, auch aufwändige Ermittlungsverfahren zu begleiten, sprach sich in Polizeikreisen herum. Und so landeten auch große Kokain-Verfahren des Landeskriminalamtes und des Zolls in seinem Zuständigkeitsgebiet: Dass 130-Kilo-Kokain ausgerechnet im beschaulichen Engstingen beschlagnahmt wurden, steuerten die Ermittler ganz gezielt.

Eines dieser Verfahren, in denen ein verdeckter Ermittler die Drogen von Südamerika nach Deutschland transportierte, platzte spektakulär: Nacheinander erkrankten ein Schöffe und ein Richter. Das Verfahren musste von vorne beginnen. Weil absehbar war, dass das Gericht wegen Terminproblemen nicht mit der gesetzlich gebotenen Geschwindigkeit verhandeln würde können, wurden die Haftbefehle gegen die südamerikanischen Verdächtigen aufgehoben. Die Angeklagten reisten aus, das Verfahren ruht bis heute. „Da ärgert man sich natürlich, man hat ja lange und risikoreich ermittelt. Gerüchteweise hat es ein schönes Fest gegeben“, sagt Henn. Aber es sei eben ein Zeichen dafür, dass die Justiz an der Belastungsgrenze arbeite.

Die Haft sieht er als Chance

Seine „Kundschaft“, wie er sagt, habe er nie als Feind gesehen: „Wenn man sich vor Gericht trifft, mache ich meinen Job, dann ist der Fall erledigt. Ich habe ernsthaft gegen niemanden etwas.“ Besonders bei Suchtproblemen müsse den Tätern geholfen werden. Eine U-Haft könne ein Weg in ein geregeltes Leben sein. „Die Chance müssen sie ein-, besser zwei Mal geben.“ Der Teufelskreislauf mit dem Stigma des Vorbestraften sei ihm immer bewusst gewesen, gerade, weil er daran beteiligt war, Menschen ins Gefängnis zu schicken. „Wer will den Mörder, wer will den Vergewaltiger als Kollegen oder Nachbarn? Sie sind alleine.“

Der Weg in ein Leben ohne Straftaten müsse gut vorbereitet sein: durch Freigang, eine Vermittlung in einen Job und einen Ortswechsel. Oft helfe nur ein radikaler Bruch mit den alten Kontakten. „Mit viel Glück haben sie dann noch Freunde oder eine Familie, die hilft – dann haben sie eine Chance.“

Immer wieder trifft er Leute, die er mit in den Knast gebracht hat. Manche saßen lange. Zuletzt sprach ihn ein Mann an, der über sechs Jahre wegen Drogenhandels abgesessen hat. Man unterhielt sich freundlich. So sei das meistens. Seine größte Angst war es, dass durch seine Arbeit ein Unschuldiger im Gefängnis landen könnte: „Aber ich gehe davon aus, dass es nie passiert ist.“

Angst vor Rache hatte er nie

„Sehen Sie, so trifft man sich zwei Mal an einem Tag.“ Ob er diesen Satz so heute nochmal zu einem festgenommenen Hells Angel sagen würde, weiß Henn nicht. Damals schlug der Angeklagte Henn im Gerichtsflur nieder. Der Rocker hatte das Gericht verlassen, um sich in der Psychatrie einweisen zu lassen. Henn sorgte dafür, dass die Polizei ihn zurückholte. „Ich kann es nachvollziehen, dass er explodiert ist“, sagt Henn rückblickend – allerdings hätte der Rocker ihn „ja nicht gleich umhauen brauchen“.

Angst vor Rache hatte er trotzdem nie. Einmal schlug ihm die Polizei vor, eine Waffe zu seinem Schutz zu tragen. Im Rottenburger Knast soll ein Gefangener Drohungen gegen ihn ausgestoßen haben. Henn lehnte ab: Er wollte keine Pistole im Haus, das war ihm zu gefährlich – für sich und seine Familie. Die hielt er aus seinem Arbeitsleben heraus: „Die Probleme der Kundschaft müssen im Büro bleiben. Sonst dauert es sechs Monate – und man landet in der Klapse.“ Das Problem hat er nun nicht mehr. Henn ist raus aus dem Geschäft.

Bernhard Henn

1950 Geboren in Heidelberg, aufgewachsen in Ludwigsburg.

1970 -1976 Jurastudium in Tübingen

1976-1978 Referendariat in Tübingen, anschließend ein Jahr Strafrichter in Bad Urach und Münsingen

Seit 1979 Staatsanwalt in Tübingen, seit 2006 Oberstaatsanwalt, spezialisiert auf Kapitalverbrechen und Organisierte Kriminalität.

Seit Dezember ist Henn pensioniert. Er ist verheiratet, hat vier Kinder

und vier Enkel.

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Erstellt:
10.12.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 10.12.2016, 01:00 Uhr

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