Kathrin Kammerer über Erlebnisse bei der Bahnfahrt

Ein Lokführer auf der Suche nach seinem Zug

Wer mit der Bahn reist, der kommt vielleicht nicht immer hundertprozentig pünktlich an. Aber dem wird’s zumindest nie langweilig. Was haben wir nicht schon für Durchsagen erlebt.

08.08.2018

Von Kathrin Kammerer

Am Horber Bahnhof auf der Suche nach dem Tübinger Zug…Bild: Kammerer

Am Horber Bahnhof auf der Suche nach dem Tübinger Zug…Bild: Kammerer

„Personen im Gleisbett“, „Stellwerkstörung“, „Verspätung des anderen Zuges“ (weil der Zug vor dem anderen Zug auch noch Verspätung hatte). Manchmal ist’s auch ein plötzlicher, völlig unvorhersehbarer Wintereinbruch, der den Zeitplan gefährlich ins Wanken bringt. Oder die Hitze. Oder neulich, in Ulm, da hat dem Zug einfach die Lok gefehlt. Die Orginaldurchsage des Schaffners lautete: „Mehr wois i au net.“ Und den Fahrgästen stellten sich unweigerlich die Frage: Wo er die Lok wohl verloren hat? Aber das ist alles schon bekannt, das ist alles schon überstanden, wir sind immer am Ziel angekommen.

Am Dienstagabend auf dem Horber Bahnhof aber, da lernten die Fahrgäste ein neues, bislang völlig unbekanntes Problem kennen. So warteten sie bei Gleis 6 auf ihren Zug nach Tübingen. Da fährt er immer und so war es auch dieses Mal auf der Anzeigentafel zu lesen. Auf Gleis 6 stand auch ein Zug. Dessen Türen ließen sich jedoch nicht öffnen.

Der aus seiner Fahrerkabine herausgeklopfte Lokführer erklärte: „Ich fahr net nach Tübingen.“ Na, aber das steht doch so auf der Tafel, entgegneten die verdutzten Fahrgäste. „Ne, ich fahr erst in ’ner halben Stunde“, sagte der Lokführer. Ja, aber wie kommt man denn dann nach Tübingen, wollten die Fahrgäste wissen. Puh, das wisse er auch nicht, entgegnete der Lokführer. „Die Anzeigetafeln werdet von Stuttgart aus gesteuert, da habe mir keinen Einfluss drauf.“ Die Fahrgäste lächelten müde und schwiegen.

Dann kam ein weiterer Mann in Bahn-Kleidung angerannt. Er sei der Lokführer, der nach Tübingen fährt, sagte er: „Aber mir fehlt noch der Zug.“ Erneut verdutzte Fahrgastmienen. „Ach, der da drüben, der ist’s“, sagte der Tübinger Lokführer daraufhin und marschierte zielstrebig zum Nachbargleis. Die 15 Fahrgäste, die in die Universitätsstadt wollten, folgten ihm im Gänsemarsch und stiegen in den Zug ein, der soeben dort zum Stillstand gekommen war. Er war mit „Pforzheim“ beschriftet. Als der Tübinger Tross einstieg, rief eine verzweifelte Frau, die bereits drin saß: „Aber der fährt doch nach Pforzheim??! Ich muss nach Pforzheim!!!“ Erneut herrschte planloses Schweigen.

Der Tübinger Lokführer diskutierte daraufhin eifrig mit dem Schaffner-Kollegen, der bereits im Zug saß. Kommando zurück: „Das ist doch nicht der nach Tübingen.“ Und so folgten die Fahrgast-Küken ihrem Schaffner wieder nach draußen. Wo war denn nun dieser verflixte Zug nach Tübingen?! „Immerhin haben wir schon den richtigen Lokführer“, sagte eine Frau. Ja, das sei momentan etwas nervenaufreibend, bestätigte dieser müde lächelnd. Allzulange dauerte die Suche nach dem richtigen Zug dann zum Glück nicht mehr: Und so kamen die 15 in Horb gestrandeten Tübinger schließlich etwas verspätet, aber dafür wohlbehalten am Bahnhof der Universitätsstadt an.

Wie kann es sein, dass ein Lokführer nicht informiert wird, wo sein Zug fährt? Auf diese Anfrage der SÜDWEST PRESSE ging eine Bahnsprecherin nicht ein. Alles, was sie dazu schrieb, war: Der richtige Zug habe schließlich am Gleis gegenüber gehalten. Für den suchenden Lokführer und die Fahrgäste seien also „keine zusätzlichen Wege entstanden“. /

Archivbild: Kuball

Ein Lokführer auf der Suche nach seinem Zug