Infrastruktur

Ein Netz für alle Nutzer und kurze Funkstrecken

Eine möglichst strahlungsarme, aber leistungsfähige Mobilfunkversorgung nach St. Gallener Modell wäre etwas für Freudenstadt.

20.07.2018

Von Monika Schwarz

Harry Künzle sprach über das Schweizer Konzept. Bild: Schwarz

Harry Künzle sprach über das Schweizer Konzept. Bild: Schwarz

Die Mobilfunkversorgung war in der Vergangenheit immer wieder Diskussionsthema im Freudenstädter Gemeinderat. Insbesondere die SPD-Fraktion hatte mehrfach darauf gedrängt, einen Vertreter aus Sankt Gallen einzuladen, um das dortige Modell – strahlungsärmer und dadurch weniger gesundheitsgefährdend – vorzustellen. Passiert sei aber nichts, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Eberhard Haug im vollen Vortragsraum des Schwarzwaldhotels am Montag. Deshalb sei die Fraktion selber aktiv geworden und habe den Leiter des Umwelt- und Energieamtes der Stadt Sankt Gallen, Harry Künzle, eingeladen.

Das Interesse am Thema war deutlich größer als gedacht. Etliche Zuhörer saßen auf Treppe oder Fensterbank, weil die Stühle bei weitem nicht reichten. Die Freudenstädter Verwaltungsspitze kam jedoch nicht. Obwohl sie nach eigenem Bekunden selbst schon auf Wunsch der SPD in Sankt Gallen angefragt, seinerzeit aber offenbar keine Zusage bekommen hatte.

Künzle sprach über die Motivation für die „Pilotinstallation Wireless“ in St. Gallen, über die konkrete Vorgehensweise, die Technik und die Umsetzung. Dasselbe hatte er zuvor bereits in der Landeshauptstadt Stuttgart und in Wangen im Allgäu getan, berichtete er. In Sankt Gallen waren die Übertragungsnetze aufgrund der starken Nutzung datenintensiver Dienste 2011 an ihre Leistungsgrenzen gekommen. Die Mobilfunkbetreiber setzten sich für eine Erhöhung der in der Schweiz deutlich niedrigeren Strahlungs-Grenzwerte ein.

Verantwortung für Einwohner

Sankt Gallen habe sich dieser Tendenz widersetzt. Die Stadt sei „auch aus Verantwortung gegenüber der Gesundheit seiner Einwohner“ aktiv geworden. Das Konzept konnte am Ende auch das Stadtparlament überzeugen. Die Idee jedoch, das Ganze gemeinsam mit den Mobilfunkbetreibern umzusetzen, sei an deren Widerstand gescheitert, berichtete Künzle. Die Fachhochschule Rapperswill habe das Konzept kompetent begleitet. Die Vision sei damals gewesen, das Mobilfunkthema schnell, verlässlich, benutzerfreundlich, bedarfsgerecht, immissionsarm, unsichtbar und kleinzellig umzusetzen, sagte Künzle. Das sei rückblickend auch gelungen.

Das Schweizer Konzept trennt die Indoor- von der Outdoor-Versorgung. Die Netzplanung endet an der Hauswand. Deshalb hat jeder individuell die Möglichkeit, sein W-Lan im Haus abzuschalten. Router- und Accesspoints wurden gegenüber Gebäuden abgeschirmt und so montiert, dass die Einstrahlung auf die Gebäude minimiert wurde.

Es gibt in Sankt Gallen nur ein Netz für alle Nutzer und die Funkstrecke wird jeweils so kurz wie möglich gehalten. Der Smartphone- und Tabletnutzer kann kostenlos über das städtische W-Lan kommunizieren. Dieses besteht aus Kleinstzellen und wird dann auf den jeweiligen Provider umgelenkt.

Meine Heimatstadt hat damit bewiesen, dass ein Kleinzellennetz in verdichteten Siedlungsgebieten eine praktische Alternative zu Makro- und Mikro-Zellen-Sendern mit deutlich höheren Emissionswerten sein können, sagte Künzle. Wenn es gelinge, mit dem Konzept die Zahl der Makrozellen trotz einer immer größeren Datenflut nicht auszuweiten, sei das ein Erfolg.

Künzle hatte Bilder der fast nicht sichtbaren „Picozellen“ in der Sankt Gallener Innenstadt mitgebracht. Eine Erhöhung der Grenzwerte, die in der Schweiz deutlich niedriger sind als in Deutschland, sei gar nicht nötig. Auch nicht, wenn immer größere Datenmengen transportiert werden. Selbst Kleinstzellen mit 0,1Watt seien in der Lage, die gleichen Datenmengen abzusaugen wie Makrozellen mit 100 Watt. Allerdings mit einer kürzeren Reichweite. „Wir verteufeln deshalb die Makrozelle nicht.“ Sie gehöre aber nicht in die Mitte von Wohngebieten, sondern in Industriegebiete.

Zusätzliches Angebot

Künzle sprach auch über die nicht geringen Kosten – ohne Refinanzierungsmöglichkeit über die Nutzer. Der Einbezug der Mobilfunktreibenden sei deshalb schlichtweg erforderlich, sagte er. Die kleinzellige Infrastruktur koste, müsse irgendwann aber sowieso gemacht werden. Alle Entwicklungen deuteten in diese Richtung, sagte er.

In Sankt Gallen werde dank der kleinzelligen Architektur eine sehr hohe Datenrate erzeugt. Dennoch sei die Gesamtstrahlung trotz des vervielfachten Datentransfers gesunken. Restunsicherheiten stellten den Erfolg grundsätzlich nicht in Frage. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit erwarte er positive Effekte infolge einer Kooperation mit den Mobilfunkbetreibern.

„Wir sind überzeugt, dass wir auch an diesen letzten Punkt noch einen Haken hinmachen können.“ In der sich anschließenden Diskussion stellte Künzle klar, dass es weniger um den Ersatz der bisherigen Makrozellen gehe, als vielmehr darum, diese trotz steigender Datenmengen möglichst nicht weiter auszubauen. Derzeit reichten in Sankt Gallen Abstände der Kleinstzellen von 300 Metern, um die Makrozellen „abzusaugen“. Reiche das irgendwann nicht mehr, dann setze man einfach weitere Kleinstzellen dazwischen.

Die Kosten für das Projekt habe die Kommune alleine gestemmt, ebenso den jetzigen Betrieb. An einen Verkauf des eigenen Konzeptes denke die Kommune nicht. Vielmehr habe sie großes Interesse daran, andere Kommunen zu unterstützen, dass St.Gallener Konzept zu übernehmen.

Bezahlen müssten die Kommunen, die es übernehmen, deshalb nichts an die Schweizer. Problem und Hemmschuh seien in Deutschland aber die im Vergleich zur Schweiz deutlich höheren Grenzwerte. Die seien so hoch, dass sich Mobilfunkbetreiber derzeit über eine Zusammenarbeit noch gar keine Gedanken machen müssten. „Die kratzt das nicht, die haben noch ziemlich Reserve“, sagte Künzle.

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Erstellt:
20.07.2018, 14:33 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 20.07.2018, 14:33 Uhr

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