Bald eine Tochter Evas

Ein Verein gründete vor 40 Jahren eine der ersten sozialpsychiatrischen Reha-Kliniken im Land

Der Weg zum Erfolg ist lang. Manchmal dauert er zwei Jahre. Aber Erfolge kann der Tübinger Verein für Sozialpsychiatrie und Rehabilitation viele aufweisen. In seinen Einrichtungen betreut er Menschen, die psychisch krank sind, nach der ersten Akutbehandlung in Kliniken auf ihrem Weg zurück in den Alltag: ins Leben mit Familie und Freunden, ins Arbeitsleben, in das sich selbst (er-) tragen. Das ist das, was psychiatrische Rehabilitation heute leisten kann.

04.11.2016

Von Angelika Bachmann

Kochen macht echt Arbeit, gehört aber zum Alltag dazu. Sich in diesem zurecht zu finden und ins Berufsleben zurückzufinden, lernen die Patienten der Reha-Klinik Grundstein. Hier schnippeln und kochen in der (Lehr-)Küche Essen für 40 Personen (von links): Rehabilitant Kai Harrer, FSJlerin Roswitha Vogel, Betreuerin Renate Erhardt und Rehabilitant Alexander Nolte.  Bild: Sommer

Kochen macht echt Arbeit, gehört aber zum Alltag dazu. Sich in diesem zurecht zu finden und ins Berufsleben zurückzufinden, lernen die Patienten der Reha-Klinik Grundstein. Hier schnippeln und kochen in der (Lehr-)Küche Essen für 40 Personen (von links): Rehabilitant Kai Harrer, FSJlerin Roswitha Vogel, Betreuerin Renate Erhardt und Rehabilitant Alexander Nolte. Bild: Sommer

Noch vor 40 Jahren war ein solches Denken revolutionär. Damals wurden Menschen gemeinhin in Nervenkliniken eingeliefert, um sie dort langfristig, wenn nicht ein Leben lang wegzuschließen. „Menschenunwürdige Bedingungen“ seien das an vielen Orten gewesen, sagt Dr. Ute Roesger. In Tübingen war man der Zeit voraus und überlegte sich, wie man die Betreuung psychisch Kranker an deren Bedürfnissen ausrichten könnte. Die Tübinger Psychiatrie-Ärztin Roesger und andere Mitstreiter gründeten 1973 den Tübinger Verein für Sozialpsychiatrie und Rehabilitation (TVSR) – auf Initiative der Klinik aber in fester Verankerung in der Tübinger Bürgerschaft.

Ein wichtiger Baustein für eine angemessene Versorgung war eine so genannte Nachsorgeklinik, eine Einrichtung für Rehabilitation, wie man sie aus anderen medizinischen Bereichen kennt. Weil sich weder das Land noch andere Organisationen bereit erklärten, übernahm der Verein kurzerhand selbst die Trägerschaft der Reha-Klinik.

In den letzten Jahren drohten die Aufgaben indes dem Trägerverein über den Kopf zu wachsen. Aus der Nachsorgeklinik wurde das Rehazentrum Grundstein (heute im Französischen Viertel), das derzeit 32 Patienten betreut. Als zweite Sparte entstand ab Mitte der 80er Jahre das Ambulante betreute Wohnen (mit derzeit zehn Wohngruppen) und schließlich noch der Integrationsfachdienst Neckar-Alb. 50 Mitarbeiter hat der Verein.

Passenden Partner gesucht

Es habe sich als unumgänglich erwiesen, den Verein auf eine breitere Basis zu stellen, so die Verantwortlichen im Gespräch mit dem TAGBLATT. Man habe, sagt der Verwaltungsratsvorsitzende Prof. Hans-Jürgen Kerner, lange nach einem Partner Ausschau gehalten, der zu ihnen passe – und ihn schließlich in der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (EVA) gefunden. „Das hat sich optimal gefügt.“

Der Tübinger Verein wird zum Ende des Jahres in eine gemeinnützige GmbH überführt und diese wiederum wird eine hundertprozentige Tochter der Eva. Die Stuttgarter Gesellschaft hat mit dem Rudolf-Sophien-Stift bereits eine Einrichtung mit ganz ähnlichen Strukturen wie die Tübinger Reha-Klinik. Dort hat man die notwendige Erfahrung und Expertise für die Verhandlungen mit den Kostenträgern, also den Krankenkassen und den Rentenversicherungen.

Auf die Arbeitswelt vorbereitet

Der neue Träger will die gewachsenen Tübinger Strukturen nicht nur respektieren, sondern wisse sie sehr zu schätzen, sagte Prof. Jürgen Armbruster, Vorstandsmitglied der EVA, Geschäftsführer des Rudolf-Sophien-Stifts und künftig auch der „Tübinger Gesellschaft für Sozialpsychiatrie und Rehabilitation“. Dass die Einrichtung von einem Verein getragen und die Bürgerschaft sich sehr für das Thema seelische Gesundheit interessiere – das seien „Wurzeln, die erhaltenswert sind“, so Armbruster.

Erfahrungen hat man im Rudolf-Sofien-Stift auch mit dem, was in Tübingen jetzt neu aufgebaut wird, der medizinisch-beruflichen Rehabilitation. Patienten werden dabei schrittweise auf den Wiedereinstieg in die Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitssituation vorbereitet, so die Grundstein-Leiterin Monika Stuhlinger.

Im Rehazentrum Grundstein sind die räumlichen Voraussetzungen schon geschaffen. Dort gibt es eine Werkstatt, eine Lehrküche und PC-Stationen, um zum Beispiel den Wiedereinstieg in kaufmännische, handwerkliche oder hauswirtschaftliche Berufe anzugehen.

Für die weiteren Reha-Phasen sei Tübingen ohnehin ein gutes Umfeld, versichern Stuhlinger und Röesger. Vom Metzger über Verwaltungen bis hin zu Universität und Kliniken: „Wir haben nie Schwierigkeiten, Praktikumsplätze für die Patienten zu bekommen.“ Langfristig ist die medizinisch-berufliche Rehabilitation ein Erfolgsmodell, auch wenn sie mitunter bis zu zwei Jahre dauert. Armbruster: „50 bis 60 Prozent der Patienten landen erfolgreich auf dem ersten Arbeitsmarkt.“

Förderverein ist bereits gegründet

In der Bürgerschaft verankertwill die Reha-Einrichtung bleiben. Dabei hilft der neu gegründete Förderverein für Sozialpsychiatrie, Rehabilitation und Berufliche Integration. Prof. Hans-Jürgen Kerner und Dr. Ute Roesger stehen gleichberechtigt dem sechsköpfigen Vereinsvorstand vor.

Als Vereinszweck festgeschrieben ist die finanzielle und personale Förderung mildtätiger Zwecke und die Hilfe für behinderte Menschen und das Wohlfahrtswesen in Tübingen.

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Erstellt:
04.11.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 04.11.2016, 01:00 Uhr

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