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Ein neuer Arbeitskreis kümmert sich um Flüchtlings-Familien auf dem Österberg

Flüchtlingen helfen wollen viele. Aber wie? Am besten direkt in der Nachbarschaft, haben sich einige Österbergbewohner gesagt, seit in zwei Häusern Familien aus Syrien und dem Iran untergebracht sind. Vor einem Monat haben sie einen Arbeitskreis gegründet und schon einiges in Bewegung gesetzt. Zum Beispiel am Sonntag ein Willkommensfest.

12.04.2016

Von WOLFGANG ALBERS

Beim Fest für Flüchtlinge auf dem Österberg lernen sich neue und alte Nachbarn kennen. Bild: Metz

Beim Fest für Flüchtlinge auf dem Österberg lernen sich neue und alte Nachbarn kennen. Bild: Metz

Tübingen. Gabriele Wilde gibt Sprachkurse – und ist Österberg-Bewohnerin. Und sie hat bemerkt, dass der Österberg neue Bewohner bekommen hat, die Hilfe, gerade zum Beispiel beim Sprachenlernen, gut gebrauchen können: Im ehemaligen Kunstamt und der Schweikhardtvilla sind syrische und iranische Familien untergebracht. Auf die Hilfe der Ämter wollte sie nicht warten. Sie weiß, dass es noch gar nicht genug Sprachkurs-Plätze für Flüchtlinge gibt. Also spazierte sie in die Küche des Leibnitzhauses III – dort hatte sie früher einmal selbst gewohnt – und fragte nach Mitmachwilligen, um Flüchtlingen zu helfen.

Sie traf dort zum Beispiel auf die Studierenden Rieke Sauer und Enno Küker, die schon immer gedacht hatten, man müsse sich engagieren – bloß wo und wie? Jetzt also war die Chance vor der eigenen Haustür da. Und ruckzuck war der Arbeitskreis Österberg gegründet. Vor einem Monat war das, rund 20 Aktive machen inzwischen mit. Jetzt hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt: ein Willkommensfest für die Flüchtlings-Familien im Haus Lichtenstein.

In den Krieg? Übers Meer?

„Zum Beschnuppern, um Vorbehalte abzubauen, um ins Gespräch zu kommen“, sagte Gabriele Wilde. Dafür standen Dolmetscher bereit. Zum Beispiel die Syrerin Maram Alazizi. 22 Jahre ist sie jung – und kann schon von einem Leben etlicher Neuanfänge berichten. Ihr Vater hat in den Vereinigten Arabischen Emiraten gearbeitet, vor vier Jahren ging die Familie nach Daraa zurück, die Stadt, in der der Aufstand gegen Assad begann.

Flucht wieder in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo der Familie die Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde. Zurück in den Krieg? Oder die Flucht übers Meer? „Es war eine Entscheidung über Leben und Tod“, sagt Maram Alazizi. Über die Weihnachtstage erkaufte sich die Familie einen Platz in einem Boot nach Griechenland und gelangte mühsam, in Schneestürmen und Kälte, durch die letzten sich schließenden Löcher der Balkanroute. „In meinem ganzen Leben möchte ich so etwas nie mehr erleben“, sagt Maram Alazizi.

Sie spricht perfekt ein amerikanisch angehauchtes Englisch – Ergebnis eines disziplinierten Selbstlernens am Fernseher und durch Filme. So kann man mit ihren Schwestern und Verwandten ins Gespräch kommen. „Deutsch lernen, das ist momentan das Wichtigste“, sagen sie. Und dann zurück zu einem normalen Leben finden: eine Wohnung bekommen, die Kinder in die Schule schicken. „Wir wollen hier im Leben ankommen“, sagen sie. Aber momentan müssen sie warten, bis sie ihre Aufenthaltsgenehmigung bekommen. „Das zerrt an den Nerven“, so die Syrerin.

Alte Laptops werden gebraucht

Da möchte der Arbeitskreis helfen. Er vermittelt Plätze von Sprachkursen; Maram Alazizi etwa ist bei Gabriele Wilde in einem Turbo-Zug und hat die ersten drei Deutschstunden hinter sich. Ihr Ziel ist es, weiterzukommen. In Syrien hat sie Medizintechnik studiert. Hier würde sie gerne Medizin studieren. „Ich weiß, hier wartet Besseres auf mich als der Krieg in Syrien“, macht sie sich Mut.

Wo sich keine Sprachkurse auftun, bietet der Arbeitskreis selber welche an. „Nicht als Konkurrenz zu anderen Trägern“, sagt Gabriele Wilde. „Sondern wir überbrücken die Zeit, bis genügend Plätze da sind.“ Besonders dankbar ist sie dem Institut Francais Culturel, das in der Nähe der Flüchtlingswohnungen liegt und Kursräume zur Verfügung stellt.

Andere im Arbeitskreis versuchen, den Flüchtlingen Internet zu verschaffen. „Wir suchen noch gebrauchte Laptops“, nennt Gabriele Wilde eines der Dinge, mit denen der Arbeitskreis die Ausstattung für die Flüchtlinge verbessern will. Das können aber auch Kochtöpfe sein, die jemand nicht mehr braucht. Andere im Arbeitskreis übernehmen Patenschaften oder versuchen, Kindern und Jugendlichen Freizeitangebote zu machen.

Die Frauen um Maram Alazizi haben das sehr wohl registriert. „Wir fühlen uns nicht abgelehnt, hier gucken alle so freundlich“, ist eine ihrer Tübingen-Erfahrungen. Aber auch den Deutschen tut das Engagement gut, hat Rieke Sauer festgestellt, weil sie andere Österberg-Bewohner kennenlernt: „Plötzlich habe ich eine Nachbarschaft.“

Info: Wer sich im Arbeitskreis Österberg engagieren möchte, kann Kontakt über dessen Homepage aufnehmen: www.akoesterberg.wordpress.com

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Erstellt:
12.04.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 12.04.2016, 01:00 Uhr

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