Übrigens

Ein unscheinbarer Licht- und Seelenfänger

Der Schlaf der Gerechten wäre eine echte Alternative. Er müsste halt bis März dauern können und auch ein bissle Ungerechten wie mir erlaubt sein. Dann wäre alles in Butter.

15.11.2016

Von Winfried Gaus

Ein unscheinbarer Licht- und Seelenfänger

Ist es aber nicht. Und schuld ist der Nebelung. So hieß der November früher mal. Das Jahr ist mit ihm alt geworden, diesem rauen Gesellen, der wie kein anderer Monat einlädt zum Gedenken an Verflossenes oder auch an die eigene Endlichkeit, der aus der Farbenpracht des Oktobers eine Schwarzweißkopie gemacht hat und dessen Morgennebel an manchen Tagen nahtlos übergehen kann in ein lebendig depressives Grau. Es legt sich über Wiesen und Äcker, Brillengläser und Gemüter, Seelen und Alltag. Es dämpft die sonst dem Menschen innewohnende Unrast. Mit einem Licht, heruntergedimmt auf das gerade noch sichtbare Maß.

Und doch ist er auch – ein Versprechen: Schlimmer kommt nimmer! Versenken Sie, verehrte Leser/innen, Ihren Blick für kurze Zeit in das in diesem Text eingeklinkte Baumbildnis. In seine Abstufungen der Düsternis, Schwarz heraus wachsend aus der Erdkrume. Das Licht, aufgeteilt in Nuancen von Helligkeit, wirkt wie irgendwohin entführt und auf jemanden harrend, der bereit ist, ein Lösegeld zu bezahlen. Es ist nirgends hell auf diesem Bild und es ist nirgends Hoffnung – zumindest nicht vergleichbar dem Flusstalnebel eines Sommermorgens oder der Wattebäuschchenflucht über Gebirgswäldern nach reichlich Regen. Der Nebelung, ein Lichtfänger.

Doch, man soll ja nicht ungerecht sein: Was hat er auch sonst zu tun, dieser Monat? Es wächst in seinen 30 Tagen ja wenig außer dem Frust an ihm. Müsste man aus den zwölf Monaten eine Fußballmannschaft zusammenstellen, er weiß, er würde als letzter ins Team gewählt. Er ist imWortsinn: Unscheinbar. Er macht keinen Sinn, höchstens Trübsinn. Man muss ihn überstehen wie eine Erkältung oder eine Zerrung oder den Besuch einer gewissen Sorte von Verwandtschaft. Er zwingt einen zur Reduzierung der sonst gewohnten Aktivitäten, doch Stillstand, Stillstand fordert selbst er nicht.

Denn tief in ihm, verborgen in seiner feuchtgesättigtvollgeperlten Luft, hält er eine Erkenntnis bereit über den Jahreszeitenreigen des Lebens, das Yin und Yang des Daseins: Was wäre, nur so mal als Beispiel, der Mai ohne ihn? Nur halb so schön. Drum sitzen wir ihn vollends aus. Die Hälfte ist heute geschafft. Ein kleiner Lichtblick.

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Erstellt:
15.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 06sec
zuletzt aktualisiert: 15.11.2016, 01:00 Uhr

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