Mit Engelszungen

Eine Krankmeldung, die Freude macht

Es sind so oft kleine Gesten, die den Tag verschönern. Eine freundliche Nachfrage nach dem Wohlbefinden vom Metzgerei-Fachverkäufer, statt eines ruppigen „Was darfs sein“ zur Begrüßung. Das Lächeln einer hübschen Frau, die sich im Zug auf den Platz gegenüber setzt. Oder eine kleine Entschuldigung vom Verteiler der Anzeigenblätter, der erklärt, warum die Samstagswerbung erst am Dienstag im Briefkasten gelandet ist.

18.10.2016

Von Maik Wilke

Eine Krankmeldung, die Freude macht

Solch eine Nachricht habe ich zuletzt bekommen: „Tut mir leid, hatte Magen-Darm-Grippe. Ihr Austräger“ stand auf einem etwa 15 Zentimeter langen und 7 Zentimeter breiten Papierstreifen, der von Anzeigenblättern umhüllt in meiner TAGBLATT-Röhre lag. Häufig ignoriere ich die am Samstag ankommenden Anzeigen und hole sie sowieso erst Dienstag aus der Röhre. Nur damit diese nicht überläuft. Diese kleine Botschaft brachte mich aber doch zum Schmunzeln. Zumal das der längste „Brief“ war, den ich seit meiner unfreiwilligen Brieffreundschaft in der 7. Klasse mit einem französischen Austauschschüler erhalten habe.

Gleich hatte ich das Bild eines jungen Mannes im Kopf, der sich noch von seiner Krankheit geschwächt von Briefkasten zu Briefkasten durch seinen früh beginnenden Arbeitstag müht. Und sich trotzdem die Zeit nimmt, um seine viertägige Verspätung zu entschuldigen. Dabei könnte er auch eine Sie im fortgeschrittenen Alter sein. Und wie viele dieser Zettel landeten auch bei meinen Nachbarn? War ich gar nicht der einzige Adressat dieser um Verzeihung bittenden Botschaft?

Diese zwischenmenschliche Interaktion freut mich vor allem, weil es nicht mehr viele der kleinen Nettigkeiten im Alltag gibt. Wenn ich meine Jogging-Runden im Markwasen drehe, nicken nur noch wenige der entgegenkommenden Läufer zu. Das eigentlich selbstverständliche Grüßen unter Joggern scheint nicht bei jedem bekannt zu sein. Oft senken Läufer sogar auf den letzten Metern vor dem Zusammentreffen ihren Kopf Richtung Rindenmulch.

Vorbildlich sind da noch die Motorradfahrer. Sobald sich die Biker auf Land- oder Bundesstraße entgegenkommen, wird gegrüßt. Ganz klar. Ohne Frage. Manchmal nimmt der Fahrer die ganze linke Hand vom Lenker, in Schräglage reichen auch mal zwei Finger. Oder einer. Aber es wird gegrüßt. Da spielt es auch keine Rolle, ob ein Harley-Fahrer mit seinen mehr als 100 PS einem kleinen Moto-Guzzi-Mofa entgegencruist. „Doesn’t matter what you ride. Just ride!“

Weil die nette Geste meines Austrägers nicht unerwidert bleiben soll, habe ich meinem neuen Zettelfreund gleich am nächsten Morgen eine eigene Botschaft hinterlassen: „Macht nichts. Ich hoffe, es geht Ihnen wieder besser.“ Mal schauen, ob eine Antwort in meinem Briefkasten landet.