An fremde Familien verkauft

Eine ehemalige Kindersklavin aus Nepal ist Gast beim Filmfest Frauenwelten

Urmila Chaudhary arbeitete zwölf Jahre als Mädchenarbeitssklavin in Nepal und ist nun Aktivistin.

Urmila Chaudhary arbeitete zwölf Jahre als Mädchenarbeitssklavin in Nepal und ist nun Aktivistin.

24.11.2016

Von Dorothee Hermann

Eine ehemalige Kindersklavin aus Nepal ist Gast beim Filmfest Frauenwelten

Sie ist das Gesicht der Organisation FKDF, die in Nepal schon 13 000 Mädchen aus der Sklavenarbeit in Privathaushalten herausgeholt hat. Nun ist Urmila Chaudary Festivalgast beim Tübinger Filmfest Frauenwelten der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Eine eindrucksvolle Dokumentation zeigt sie bei der Arbeit. FKDF steht für Freed Kamlari Development Forum (etwa: Entwicklungsforum für befreite Haussklaven, in Nepal Kamlari genannt). Kernforderungen sind Freiheit und Bildung für die Mädchen.

Die Aktivistinnen achten an Busbahnhöfen auf verdächtige Fahrgäste, teilweise unterstützt von der Polizei. Sie bringen die Mädchen zu einem selbstverwalteten Wohnheim. Der Film zeigt, wie freundlich das Heim mit einfachen Mitteln gestaltet ist, wie picobello es die jungen Frauen halten, wie routiniert sie ein Essen vorbereiten, Kräuter zerstoßen – und wie einfühlsam sie auf Neuankömmlinge zugehen. Die können selbstverständlich frei entscheiden, ob sie bleiben oder zu ihren eigenen Familien zurückkehren möchten.

Die Mädchen betrachten sie als Schwester, sagte Chaudary dem TAGBLATT gestern in ihrem Tübinger Hotel. Der 22-Jährigen sind ihre Schützlinge genauso ans Herz gewachsen. Feiertage begeht sie mit ihnen, nicht mit ihrer Familie.

Chaudary war fünf, als sie aus dem ländlichen Distrikt Dang in ein Haus in der Hauptstadt Kathmandu gebracht wurde. Ihr Vater war damals krank, sagt die 22-Jährige. Die Familie wusste nicht, wie sie das Geld für die Krankenhausbehandlung aufbringen sollte. Deshalb entschieden sie, die Tochter als „Sklavenmädchen“ zu verkaufen, so Chaudary. Anfangs sollte sie Geschirr abwaschen und Essen servieren. Doch bald musste sie den kompletten Haushalt führen – für zwölf Leute. Sie fängt an aufzuzählen: „Es waren Großmutter, Großvater, ein Onkel.“

Als sie 15 oder 16 war, kam sie zu einer Frau, deren Kinder im Ausland lebten. Bei dieser Chefin durfte Chaudary nie das Haus verlassen. „Sie schloss die Tür ab, wenn sie aus dem Haus ging.“ Nur durch das Fenster konnte die Dienstbotin nach draußen spähen. Einen Lohn erhielt sie nie.

Als Chaudary mit ihrem Engagement begann, war die mutige junge Frau Morddrohungen ausgesetzt. Einmal versuchten zwei Männer auf Motorrädern, sie auf einem abgelegenen Feldweg vom Fahrrad zu stürzen, berichtet sie.

Mittlerweile ist sie überall bekannt. „Wir versuchen die Eltern zu überzeugen, die Mädchen nicht zu verkaufen wie Tiere oder Lebensmittel.“ Doch die Eltern seien arm, können nicht lesen und schreiben. Und: Die Mädchen arbeiten meist in den Städten. Die Eltern bleiben auf dem Land. „Sie wissen nicht, wie sie mit den Dienstherren umgehen sollen.“

Zudem glaubten sie, ihren Töchtern fehle es an nichts, sie hätten zu essen, lebten in einer guten Umgebung. „Die Mädchen erzählen zuhause nichts, damit die Eltern sich nicht beunruhigen“, sagt Chaudary. Manche werden in den fremden Familien vergewaltigt, einzelne sogar getötet.

Einer dieser Morde war 2013 der Auslöser für eine Großdemo, bei der Chaudary von einem Polizisten so hart geschlagen wurde, dass sie 49 Stunden bewusstlos war. Der Beamte wurde mittlerweile entlassen, sagt sie. Auch als Konsequenz aus diesen Protesten ist häusliche Sklavenarbeit nun in Nepal gesetzlich verboten. dhe / Bild: Metz

Für die Freiheit in Tübingen und Rottenburg

Die Doku „Urmila - Für die Freiheit“ läuft am Donnersag um 20.30 Uhr im Museum. Am Freitag und 16 Uhr im Waldhorn Rottenburg und um 18Uhr nochmals im Museum. Deutsche Untertitel. Urmila Chaudhary und Regisseurin Susan Gluth sind bei den Tübinger Vorstellungen anwesend.

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Erstellt:
24.11.2016, 10:28 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 43sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2016, 10:28 Uhr

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