Evolutionsbiologie der Schildkröten

Einst hatten sie Zähne

Schildkröten waren nicht immer mümmelnde Salatfresser. Von ihren Reptilienvorfahren hatten sie Zähne geerbt.

08.11.2016

Von ST

Rekonstruktion der neu entdeckten bezahnten Schildkröte Sichuanchelys palatodentata aus dem Oberen Jura der westlichen Wüstenregion Chinas. Künstlerische Darstellung: Lida Xing

Rekonstruktion der neu entdeckten bezahnten Schildkröte Sichuanchelys palatodentata aus dem Oberen Jura der westlichen Wüstenregion Chinas. Künstlerische Darstellung: Lida Xing

Schildkröten haben keine Zähne. Zumindest nicht diejenigen, die heute leben. Sie schneiden ihre Nahrung mithilfe der harten Kieferleisten. Ihre Vorfahren verfügten jedoch noch über ein Gebiss. Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Márton Rabi aus der Biogeologie der Universität Tübingen hat nun entdeckt, dass noch bis vor 160 Millionen Jahren Schildkröten mit kleinen Zahnresten lebten.

Der Nachweis stammt aus der großen Ausgrabungsstätte in Wucaiwan in der westlichen Wüstenprovinz Xinjiang in China. Bisher kannten die Forscher nur 30 Millionen Jahre ältere bezahnte Exemplare. Der neue Fund hilft auch, die Abstammungslinien und Verbreitung
von Schildkrötenarten wie mit Puzzlesteinen zu einem Gesamtbild über die Jahrmillionen zusammenzufügen.

Die Ausgrabungsstätte Wucaiwan ist vor allem bekannt als Fundort von Überresten von Dinosauriern aus dem Oberen Jura. Zwischen den ausgestorbenen Riesen wurden jedoch auch zahlreiche Fossilien gefunden, welche die lange Evolutionsgeschichte der Schildkröten, von denen es heute weltweit rund 350 Arten gibt, beleuchten können.

Das Forscher-Team identifizierte in den Fundstücken eine bisher unbekannte ausgestorbene Schildkrötenart, die sie mit Sichuanchelys palatodentata benannte – die Schildkröte mit bezahntem Gaumen. Dass
die Tiere Zähne besaßen, ist ein ursprüngliches Merkmal, das sie von ihren Reptilienvorfahren geerbt haben.

Über die Einordnung von Sichuanchelys palatodentata in die bisher bekannten Schildkrötengruppen erfahren die Forscher auch mehr über die Verwandtschaftsverhältnisse und die geografische Verbreitung der Arten. „Unsere Analyse offenbarte, dass die neu entdeckte Schildkröte die nächste bekannte Verwandte einer großen Landschildkröte ist, genannt Mongolochelys efremovi, die fast 100 Millionen Jahre später in Zentralasien lebte“, sagt Márton Rabi. „Sie erschien uns merkwürdig. Aber wir erkennen nun, dass sie wohl den letzten Ausläufer einer langen Abstammungslinie bildet, die vor 70 Millionen Jahren in Asien bestand.“

Schildkröten sind eher ortsgebunden in ihrer Lebensweise. Dennoch hätten Wissenschaftler bisher häufig die Verbindungen zwischen den Orten mit Fossilienfunden und der geografischen Verteilung heute lebender Schildkröten übersehen. Auch die frühere und heutige Verteilung der Kontinente müsse man in die Betrachtung einbeziehen, sagte James Clark, Mitautor von der US-amerikanischen George Washington University.

Diese Überlegungen seien bei der biogeografischen Verteilung von Fröschen und anderen Amphibien viel früher angestellt worden. Die Schildkröten hätten sich durch das Auseinanderbrechen des Superkontinents Pangäa in die heutigen Kontinente während des Jura bis zur Kreidezeit in der Evolution aufgespalten: Auf jedem Kontinent entwickelte sich eine eigene Schildkrötenfauna.

Zum Artikel

Erstellt:
08.11.2016, 21:33 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 12sec
zuletzt aktualisiert: 08.11.2016, 21:33 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!