Hochkultur vom Krieg zerstört

Empfinger Syrer sprechen über Heimat und Flucht

Zahlreiche Interessierte kamen am Donnerstagabend in die Aula der Schule, um sich bei einem Vortrag Syrien zu informieren. Tief beeindruckt von der Schönheit des Landes vor dem Krieg und dem aktuellen Leid der Menschen hatten viele der Besucher danach eine veränderte Ansicht über die Flüchtlinge und deren Gründe zur Flucht. Einige suchten im Anschluss auch gleich das Gespräch mit syrischen Freunden oder ehrenamtlichen Helfern.

16.04.2016

Von Gerhard Rebmann

Die Syrer sind mittlerweile anerkannte Kriegsflüchtlinge und konnten so manche Frage am Donnerstag klären. Bild: ger

Die Syrer sind mittlerweile anerkannte Kriegsflüchtlinge und konnten so manche Frage am Donnerstag klären. Bild: ger

Empfingen. Gabriele Reich vom Lenkungskreis Asyl stellte in ihrer Begrüßung die Arbeit der Ehrenamtlichen vor. Im Oktober 2015 ins Leben gerufen wurde die Frage „Was ist Integration“ erörtert und ein Konzept erstellt. Aktuell sind die etwa 40 Neubürger in Empfingen auf drei Häuser verteilt – ihnen stehen lediglich drei bis sieben Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Seit Oktober 2015 hat sich hier nichts verändert, weshalb an die Bevölkerung die dringende Bitte gerichtet ist, leere Wohnungen und Gebäude zur Verfügung zu stellen.

Trotzdem hat sich seit der Ankunft in ihrer neuen Heimat Empfingen für die Asylsuchenden einiges getan: Durch einen glücklichen Umstand können die jungen Männer im Hermann-Hesse-Kolleg in Horb die deutsche Sprache lernen, vertieft durch Unterrichtsstunden bei ehrenamtlichen Lehrkräften an der Empfinger Schule. Sie engagieren sich sportlich in verschiedenen Sparten, unterstützen und besuchen Festivitäten der Vereine. Alle haben die bürokratischen Hürden genommen, sind als Kriegsflüchtlinge anerkannt und haben ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik für drei Jahre.

Ammar Arafat und Hassan Hesso hießen die Gäste im Namen der Flüchtlinge willkommen. In der Hinführung zum Thema des Abends gaben sie preis, am Anfang in Empfingen öfters irritiert gewesen zu sein – zum Beispiel bei der Frage eines Einheimischen, ob sie in Syrien Autos hätten. Schon nach wenigen Sequenzen des anschließenden Films war jedem Zuseher bewusst, wie absurd diese Frage ist.

Als erste Stadt wurde Damaskus, „die Stadt des Jasmin“, Hauptstadt mit etwa drei Millionen Einwohnern und eine der ältesten kontinuierlich bewohnten Städte der Welt, vorgestellt. Mehrere große Einkaufsstraßen, moderne Brücken, Malls, Kirchen, Moscheen vermittelten den Eindruck einer pulsierenden Großstadt. Aleppo, „die Stadt der Wissenschaft“, war mit vier Millionen Bewohnern ebenfalls eine sehenswerte Metropole mit Theatern und Ruinen vergangener Hochzeiten. Im mit Musik unterlegten „Reisebericht“ wurden eindrucksvoll weitere Schönheiten des Landes wie Euphrat und Tigris vorgestellt. Die Golanhöhen an der Grenze zu Israel, waren vor den Auseinandersetzungen Skigebiet für syrische Sportfans. Teil 1 des Berichts endete mit der Laufschrift: „Das meiste, was sie gerade gesehen haben, ist zerstört. Syrien wird nie wieder so sein, wie es war“.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kurden, dem Regime von Baschar al Assad und dem IS (Islamischer Staat) führten zu einer großen Flüchtlingsbewegung aus Syrien: elfeinhalb Millionen Menschen, 42 Prozent der Bevölkerung, machten sich auf, das Land zu verlassen.

Im Film sind da, wo früher Sehenswürdigkeiten früherer Epochen zu bestaunen waren, nur noch Ruinen zu sehen. Vieles liegt in Schutt und Asche, verzweifelte Menschen, Kinder stehen mit verängstigten Augen traumatisiert in Trümmern. 220 000 Tote, darunter 45 000 Kinder und 38 000 Frauen sind bisher zu beklagen, die syrische Industrie beziffert ihren Verlust bisher auf 200 Milliarden Dollar. Erschreckend sind Bilder von der Flucht – Säuglinge in übergroßen Rettungswesten in völlig überfüllten Booten, Verletzte oder vollkommen Erschöpfte, die von anderen getragen werden.

Im Anschluss an diesen Part war noch Zeit für Fragen: Weshalb flüchten überwiegend junge Männer aus Syrien war zum Beispiel interessant. Einer der Gründe sei die Tatsache, dass junge Männer nur die Wahl haben, in die Armee einzutreten und für Assads Regime Menschen zu töten – oder selbst inhaftiert oder gleich erschossen zu werden.

Am Ende der Veranstaltung zog Gabriele Reich ein Resümee über den Abend und die aktuelle Situation der Flüchtlinge in Empfingen. Derzeit beteiligt man sich an einem Projekt, das vorsieht, den neuen Mitbürgern in 660 Unterrichtsstunden die deutsche Sprache zu vermitteln. Einige machen nachmittags, zwei- bis dreimal pro Woche, ein Praktikum in der fachlichen Richtung, in der sie Vorkenntnisse haben oder in der sie sich später ausbilden lassen wollen. Außerdem besuchen vier junge Männer die Berufsschule. In eineinhalb Jahren, so ist vorgesehen, sollen alle in der Lage sein, in die Arbeitswelt ihrer neuen Heimat eintauchen zu können.

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Erstellt:
16.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 16.04.2016, 01:00 Uhr

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