Ernährung

„Ernährungs-Hype ist das größte Übel“

Udo Pollmer ist als Autor kritischer Sachbücher über Lebensmittel bekannt. Im Interview spricht der Chemiker vor dem Vortrag in Wiesenstetten über Giftstoffe, Frauendiäten und überschätzte Tipps.

24.01.2019

Von Cristina Priotto

Udo Pollmer Privatbild

Udo Pollmer Privatbild

SÜDWEST PRESSE: Hormone im Fleisch, Pestizide im Gemüse: Seit Ihrem ersten Bestseller, „Iss und stirb“ von 1982 hat sich die Lebensmittelwelt eher verschlechtert. Wovon ernähren Sie sich und wo kaufen Sie ein?

Die „Lebensmittelwelt“ hat sich insgesamt nicht verschlechtert – aber die Qualität des Journalismus unterliegt starken Schwankungen. Das führt zu Irritationen.

Sie sind bekannt für steile Thesen, etwa dass Pommes für Kinder besser seien als Pellkartoffeln, Vollkornprodukte oder eine vegetarische Ernährung der Gesundheit eher schaden oder Diäten und Sport bei Übergewicht meist keine Wirkung zeigen. Wie können Sie dies beweisen?

Bei meinen Beiträgen zu diesen Themen sind hinreichend Belege enthalten – unter anderem in aller Regel wissenschaftliche Arbeiten. Man muss sich halt die Mühe machen, meine Texte zu lesen – und dann die Quellen zu studieren. Lesen bildet!

Sie hatten schon die Agrarindustrie, Landwirte, die Fitnessbranche, Ernährungsberater, die Grünen und
Veganer als Feinde. Wer ist aktuell Ihr größter Widersacher?

Die Ignoranz im Journalismus.

Wie sehr ist gesunde Ernährung hierzulande eine Frage des Geldbeutels?

Ist denn das, was „gesund“ sein soll, stets besonders teuer? Hab ich was verpasst?

Was halten Sie für gefährlicher: Die Giftstoffe in Fleisch und Gemüse oder das Verschweigen der Lebensmittelindustrie darüber?

Die medialen Unterstellungen in Sachen „Giftstoffe“, siehe Glyphosat, Diesel, Nitrat etc. Die vergiften das gesellschaftliche Klima.

Das Handelsblatt nannte Sie „Antichrist der Esskultur“, die FAZ hat Ihnen den Titel „Veganerfresser“ verpasst, allerdings erhielten Sie für das Buch „Don’t go Veggie“, das vor rein pflanzlicher Ernährung warnt, auch Morddrohungen. Gibt es persönliche Grenzen, über die hinaus Sie Ihre Überzeugungen nicht veröffentlichen würden?

Wie halten Sie es denn als Journalistin? So mache ich das auch.

Eine Ihrer Behauptungen lautet, Ernährungsberatung werde meist von Frauen ausgeübt und mache übergewichtige Frauen fertig. Erhalten Sie dafür eher Zuspruch von Männern oder von Frauen – oder gar keinen?

Die Ernährungsberatung macht mit ihren Diäten dicke Frauen meist noch dicker. Das haben mir selbst Kolleginnen in Frauenzeitschriften bestätigt. Ich zitiere: „Natürlich wissen wir, dass Diäten unsere Leserinnen dick, krank und unglücklich machen. Aber die wollen das so.“

Was wird in 30 Jahren auf unseren Tellern liegen: Noch genauso viel Fleisch oder Mehlwürmer als
Proteinlieferanten?

Weder noch. Wenn die Landwirtschaft weiterhin kaputtreguliert wird, dann werden wir wohl beherzt ins Gras beißen müssen.

Was würden Sie sich für die Lebensmittelsicherheit in Deutschland wünschen? Was sollten Industrie, Landwirte und Verbraucher tun?

Der Hype um die „gesunde Ernährung“ ist das größte Übel. Man sieht es an der bedenklichen Zunahme von Essstörungen bei jungen Menschen. Sie wollen alles richtig machen, halten sich an die Ratschläge und enden nicht selten auf dem Friedhof. Es ist ein Trauerspiel.

Heutzutage redet jeder über Ernährung, Ratgeber und Kochsendungen boomen. Mal ganz ehrlich: Wird das Thema Ernährung nicht generell überschätzt?

Ernährungsempfehlungen sind so überflüssig wie ein Kropf.

Zur Person

Udo Pollmer (Jahrgang 1954) hat Lebensmittelchemie studiert und arbeitet seit 1981 als selbstständiger Wissenschaftsjournalist und Unternehmensberater. Pollmer hatte Lehraufträge für Haushalts- und Ernährungswissenschaften an der Fachhochschule Fulda und an der Uni Oldenburg.

Den Verein „Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften“ (EU.L.E.) mit Sitz in München leitet Udo Pollmer seit dem Jahr 1994.

Mehrere Sachbücher hat der Chemiker mitverfasst, darunter „Iss und stirb. Chemie in unserer Nahrung“ (1982), „Vorsicht Geschmack. Was ist drin in Lebensmitteln?“ (1998), „Wohl bekomm’s! Was Sie vor dem Einkauf über Lebensmittel wissen sollten“ (1998), „Lexikon der populären Ernährungsirrtümmer“ (2000), „Lexikon der Fitness-Irrtümer“ (2003), „Esst endlich normal! Wie die Schlankheitsdiktatur die Dünnen dick und die Dicken krank macht“ (2005), „Wer gesund isst, stirbt früher“ (2008) oder „Don’t go Veggie“ (2015).

Artikel und Kolumnen schreibt
Pollmer für mehrere Zeitschriften.

In Fernseh- und Hörfunkdokumentationen tritt Udo Pollmer ebenfalls regelmäßig auf.