Fußball

Erster Torjubel nach der Tragödie

54 Tage sind seit dem Flugzeugabsturz des südbrasilianischen Klubs AF Chapecoense vergangen, der fast das gesamte Team auslöschte. Nun ein bewegender Neustart zwischen tiefer Trauer, Gänsehaut und Hoffnung.

24.01.2017

Von DPA

Zurück auf dem Platz: Das neu formierte Team von Chapecoense ging im Benefizspiel gegen Palmeiras durch Amaral (2. v. re.) sogar vorübergehend mit 2:1 in Führung. Am Ende hieß es 2:2. Foto: afp

Zurück auf dem Platz: Das neu formierte Team von Chapecoense ging im Benefizspiel gegen Palmeiras durch Amaral (2. v. re.) sogar vorübergehend mit 2:1 in Führung. Am Ende hieß es 2:2. Foto: afp

Fast die komplette Fußballmannschaft des brasilianischen Klubs AF Chapecoense starb Ende November, als ihr Flugzeug auf dem Weg zum ersten Finale um den Südamerika-Cup abstürzte. Beim ersten Spiel des neuen Teams kommt es zu ergreifenden Szenen – in der Hauptrolle: Drei überlebende Spieler.

Für Jackson Follmann ist es eine Rückkehr, die kaum auszuhalten ist. Im Rollstuhl wird er auf das Spielfeld der Arena Condá geschoben. Wie durch ein Wunder war er vor 54 Tagen aus dem Wrack des an einem Berg in Kolumbien zerschellten Flugzeugs gezogen worden. Sein rechtes Bein musste amputiert werden. Auf den Rängen jubeln ihm tausende Menschen in grün-weißen Trikots zu. Er weint.

Mit dem Torwart betreten Neto und Alan Ruschel das Spielfeld – die drei Fußballer überlebten als einzige Spieler den Absturz bei Medellín. Die Mannschaft des südbrasilianischen Erstligavereins AF Chapecoense war am 28. November auf dem Weg zum Finalhinspiel um die Copa Sudaméricana 2016. Unter anderem starben 19 Spieler sowie 24 Betreuer und Begleiter.

Am Samstag trat das neuformierte Team, bestehend aus Neuzugängen, Nachwuchsspielern und nicht mit nach Kolumbien geflogenen Kickern zu Spiel 1 nach der Tragödie an, gegen Meister Palmeiras aus São Paulo. Der Sport ist bei dem Benefizspiel – die Einnahmen gehen an die Hinterbliebenen – fast Nebensache. Aber das 2:2 (1:1) ist ein großer Achtungserfolg. Vor Spielbeginn in der heimischen Arena Condá hatte es ergreifende Szenen auf dem Spielfeld gegeben, wo im Dezember bei der Trauerfeier Dutzende Särge gestanden hatten.

Die überlebenden Neto und Ruschel hoffen, irgendwann auch wieder mitspielen zu können. Vor dem Anpfiff erhält Jackson Follmann den großen silbernen Pokal, den er eigentlich mit seinen Mitspielern auf dem Spielfeld erringen wollte. Auf Antrag des Finalgegners Atlético Nacional Medellín hatte „Chape“ den Titel der Copa Sudaméricana – vergleichbar mit der Europa League – zugesprochen bekommen und auch die zwei Millionen US-Dollar Preisgeld erhalten.

Mit Tränen in den Augen nimmt Follmann den Pokal entgegen, es ist wohl einer der traurigsten Ehrungen in der Fußball-Geschichte. Kein Konfetti, hinter ihm stehen die Witwen der gestorbenen Mitspieler und Betreuer, viele haben ihre Kinder dabei, die ihre Väter verloren haben. Die Witwen bekommen die Siegermedaillen der Copa überreicht. Viele liegen sich in den Armen, „Chape“-Gesänge erfüllen das weite Rund. Dieses Mal scheint die Sonne, als Anfang Dezember hier die Särge aufgebahrt wurden, regnete es in Strömen.

Der Verein wurde durch das unfassbare Schicksal weltbekannt, gewann Zehntausende neue Mitglieder. Im Sommer darf AF Chapecoense sogar zu einem Freundschaftsspiel gegen den FC Barcelona im Nou Camp antreten. Gegen Palmeiras gab es übrigens auch das letzte Ligaspiel vor der Katastrophe, der Klub des früheren Bundesligaspielers Zé Roberto, inzwischen 42 Jahre alt, sicherte sich damals, vor knapp zwei Monaten, durch einen 1:0-Sieg die erste brasilianische Meisterschaft seit 22 Jahren.

Nach der Führung von Palmeiras beim Benefizspiel durch Raphael Veiga (11. Minute) gleicht Douglas Grolli (14.) aus, frenetischer Jubel. Ausgerechnet Grolli, der seine Karriere als Jugendspieler hier begann und nun als Solidaritätsmaßnahme von Cruzeiro Belo Horizonte zu Sonderkonditionen an Chapecoense verliehen wurde.

„GOOOOLLL DA CHAAAPEEE!!“ twittert der Verein, tausendfach wird die Mitteilung in aller Welt weitergeleitet.

Viel mehr als nur ein Treffer

Denn es ist nun mal nicht irgendein Tor. Dieser 21. Januar 2017 ist der erste Schritt zum Neuanfang von „Chape“. Unter den Opfern des Absturzes waren auch viele Journalisten, die den Verein nach Medellín begleiteten. Der einzige Journalist, der das verheerende Flugzeugunglück überlebte, war übrigens Rafael Henzel. Er ist auch im Stadion. Und er moderiert sogar in seiner Kommentatorenkabine die Partie gegen Palmeiras für den Sender „Radio Oeste Capital“.

In der zweiten Halbzeit geht Chape durch Amaral (47.) sogar in Führung, bevor Vitinho (78.) zum 2:2-Endstand trifft. Zuvor gab es in der 71. Minute noch einmal einen besonderen Moment. Die Partie wurde für 60 Sekunden unterbrochen, um der 71 Toten von Medellín zu gedenken. Das ganze Stadion applaudierte, dann ertönte tausendfach der Ruf, der weltweit bekannt wurde: „Vamos, Vamos, Chape.“ dpa