Landtagswahl

„Es gibt keine Strategie“

FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke im Interview über die Corona-Politik der Landesregierung, die Ziele seiner Partei und Koalitions-Spekulationen.

30.01.2021

Von AXEL HABERMEHL

Kritik an „Stop-and-Go-Politik“ der Landesregierung: FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Kritik an „Stop-and-Go-Politik“ der Landesregierung: FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Stuttgart. Mit angriffslustiger Rhetorik und Freude an der Polemik prägt Hans-Ulrich Rülke seit Jahren die Debatten im Landtag. Doch der FDP-Fraktionschef will die Oppositionsbänke verlassen. Nach der Landtagswahl im März soll möglichst eine Regierungsbeteiligung herausspringen. Wie soll das gelingen? Was haben die Liberalen für den Fall der Fälle vor? Und mit wem?

Herr Rülke, die Spitzenkandidaten von Grünen und CDU haben vereinbart, keinen „Corona-Wahlkampf“ zu führen. Wie finden Sie das?

Hans-Ulrich Rülke : Ich weiß nicht, ob sie das vereinbart haben. Wahrscheinlich haben sie vereinbart, dieses gegenüber der Öffentlichkeit zu behaupten. Glaubwürdig ist das nicht.

Sie selbst üben demnach keine thematische Enthaltsamkeit?

Natürlich nicht. Ich habe nie behauptet, nicht im Wahlkampf zu sein. Alle, die nach der Wahl regieren wollen, sind im Wahlkampf, und die, die nicht regieren wollen, wie die AfD, sind es auch. Alles andere ist Heuchelei.

Die Pandemie dominiert seit Monaten alles. Welche Eindämmungsmaßnahmen der Landesregierung tragen Sie mit und welche nicht?

Wir tragen die Kontaktbeschränkungen mit. Weniger Kontakte bedeuten weniger Infektionsgefahr. Nicht für zielführend halten wir beispielsweise Ausgangsbeschränkungen. Ich gehe nicht davon aus, dass viele Infektionen geschehen, wenn Menschen abends spazieren gehen. Vor allem aber kritisieren wir die Stop-and-Go-Politik der Landesregierung. Man verschärft an einer Stelle und lockert an einer anderen. Der Ministerpräsident verweigert die Rücknahme der nächtlichen Ausgangssperre mit der Begründung, die Inzidenz sei zu hoch. Gleichzeitig kündigt er an, Schulen öffnen zu wollen, weil die Inzidenz sinke. Das ist nicht nachvollziehbar. Es gibt keine Strategie, keine Planung.

Der Umgang mit Schulen und Kitas ist sehr umstritten. Wo stehen Sie: schnell aufmachen oder abwarten?

Beides ist möglich, muss aber Teil einer nachvollziehbaren Strategie sein. Wir brauchen keine Präsenzgarantie für Schulen, wir brauchen eine Bildungsgarantie. Da sind alle Formen möglich: Präsenz-, Wechsel-, Hybrid- und selbstverständlich auch Fernunterricht. Aber wenn ich mit der Begründung, dass die Inzidenz gesunken ist, wieder in den Präsenzunterricht einsteigen will, kann ich nicht gleichzeitig Regeln verschärfen, etwa für das Homeoffice oder die Maskenpflicht in ÖPNV und Einzelhandel.

Mal jenseits von Corona: Warum sollte jemand FDP wählen?

Weil die FDP mit den Konzepten, die sie im Falle einer Regierungsbeteiligung durchsetzen würde, mit Sicherheit manche Probleme besser in den Griff bekäme als die anderen Parteien. Zum Beispiel bei der Digitalisierung, in der Bildungspolitik oder in der Frage: Wie gehen wir mit dem drohenden Strukturbruch in der Automobilindustrie um?

Nämlich wie?

Nun, da gibt es Grüne – glücklicherweise gehört Ministerpräsident Kretschmann nicht dazu – die setzen ausschließlich auf die Batterie-elektrische Mobilität. Da gibt es CDU-Politiker wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die mit ihren Plänen zur Euronorm 7 das Ziel der Vernichtung des Verbrennungsmotors verfolgt und damit so etwas wie einen Morgenthau-Plan für die baden-württembergische Automobil- und Zulieferindustrie im Sinn hat. Und es gibt die SPD, die, wie Bundesumweltministerin Schulze versucht, synthetische Kraftstoffe vom Markt fernzuhalten. Wir aber wollen beides: Mit Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen Arbeitsplätze erhalten und etwas fürs Klima tun.

Morgenthau-Plan? Glauben Sie wirklich, die EU-Kommission wolle Deutschland in einen Agrarstaat verwandeln wie 1944 der US-Finanzminister Henry Morgenthau?

Wenn von der Leyens Pläne umgesetzt werden, sind die Folgen für unsere Wirtschaft dramatisch. Das sage nicht ich allein, das sagen beispielsweise auch der operative Chef und der Aufsichtsratschef von Bosch, die von einem Strukturbruch sprechen. Das ist das, was beispielsweise im Ruhrgebiet im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts passiert ist: dass massenhaft Arbeitsplätze verloren gehen, die zunächst nicht von anderen Branchen aufgefangen werden können.

Eine „Wasserstoff-Strategie“ haben Sie als einzig harte Koalitionsbedingung genannt. Ist das ein Scherz?

Nein, wieso?

Alle reden über Wasserstoff und seine Potenziale. Die Landesregierung hat eine „Wasserstoff-Roadmap“. Das Thema ist unumstritten.

Das sind Feigenblätter. Wenn wir aus der Kernenergie und fossilen Energieträgern ausgestiegen sind, können wir nicht mit erneuerbaren Energien aus Baden-Württemberg allein unseren Energiebedarf decken. Wir brauchen ein globales Konzept. Wir müssen dort, wo es Sinn ergibt, in großem Umfang erneuerbare Energien produzieren, beispielsweise mit Wasserkraft in Skandinavien, Windparks im Meer oder an der Küste und Sonnenenergie im Süden, mit Projekten wie Desertec. Diese Energie muss in grünen Wasserstoff umgewandelt werden, der dann dorthin transportiert wird, wo die Energie gebraucht wird. Nur so schaffen wir die Energie- und die Verkehrswende. Dass sich außer uns noch eine Partei auf diesen Weg macht, kann ich nicht erkennen.

Was haben Sie außerdem vor?

Wir wollen etwa im ländlichen Raum die nötige Breitband-Infrastruktur schaffen. Wir wollen die Schulen modernisieren und digitalisieren. Wir wollen, dass die berufliche Bildung einen besseren Stellenwert erhält. Wir möchten die Privilegierung der Gemeinschaftsschule beenden und zurück zu unserem leistungsfähigen, gegliederten Schulsystem. Außerdem plädieren wir für die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung.

Warum wollen Sie Eltern die Entscheidung der Schulwahl nehmen?

Wir wollen nicht Eltern die Entscheidung nehmen, sondern Kindern einen klaren Hinweis geben. Die unverbindliche Empfehlung wird vielfach ignoriert, weil politisch der Eindruck erweckt wird: Jedes Kind muss aufs Gymnasium, sonst hat es schlechte Zukunftschancen. Das führt dazu, dass viele Kinder aufs Gymnasium geschickt werden, die dort von ihren Möglichkeiten her nicht oder noch nicht richtig beschult werden.

Mit wem würden Sie gern koalieren?

Man sollte Koalitionen nicht nach Farbenlehre machen, sondern nach der Frage: Mit wem können wir das meiste unserer Inhalte durchsetzen? Wir haben in vielen Politikbereichen, etwa in der Bildungspolitik, die meisten Übereinstimmungen mit der CDU. Es gibt aber absehbar keine Mehrheit für Schwarz-Gelb. Das heißt, wir brauchen absehbar eine Lager-übergreifende Dreierkoalition. Deshalb wird es Koalitionsverhandlungen vorbehalten bleiben, zu sehen, mit wem wir die meisten Wahlprüfsteine umsetzen könnten.

Sie betonen die Nähe zur CDU, greifen aber deren Minister immer wieder hart an. Erklären Sie uns diese Strategie?

Das ist keine Strategie, sondern die Feststellung, dass bei der CDU das Programm besser ist als das Personal.

Warum sollten eigentlich Grüne oder CDU komplizierte Dreierbündnisse eingehen, statt einfach ihre Koalition fortzusetzen?

Ich höre aus Reihen der Grünen, die CDU sei ein Klotz am Bein. Und wer regiert schon gern mit einem Klotz?

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Erstellt:
30.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 06sec
zuletzt aktualisiert: 30.01.2021, 06:00 Uhr

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