Tumult im Gerichtssaal

Es waren nicht immer nur zwei Täter

Mehrjährige Haftstrafen für Bandendiebe – Angeklagter rastet aus

29.10.2016

Von Dorothee Hermann

Symbolbild: Hugo Berties - fotolia.com

Symbolbild: Hugo Berties - fotolia.com

Wegen schweren Bandendiebstahls in 35 Fällen, 15 Versuchstaten und kleineren Delikten verurteilte das Landgericht Tübingen gestern drei Albaner im Alter von 19 bis 22 Jahren zu je acht Jahren Haft. Ein vierter Angeklagter soll vier Jahre ins Gefängnis. Nach Überzeugung der Großen Jugendkammer war der 23-Jährige an neun Einbrüchen und vier Versuchstaten beteiligt. Die drei Hauptangeklagten lebten als Flüchtlinge im Landkreis Tübingen. Die Männer waren zwischen Mitte Oktober 2015 und Mitte Februar 2016 in Häuser und Wohnungen im Raum Tübingen-Reutlingen eingebrochen und hatten Bargeld, Schmuck und Uhren erbeutet (wir berichteten). Über „das bloße Stehlinteresse hinaus“ hätten die Angeklagten keinen Vandalismus gezeigt, sagte der Vorsitzende Richter Martin Streicher. „Das rechnen wir ihnen positiv an.“ Die Männer hätten die Möglichkeit gehabt, das Tatgeschehen in ein milderes Licht zu rücken. „Diese Gelegenheit haben sie nicht genutzt.“

Die Vielzahl von Fällen werde „zusammengehalten durch eine Struktur, die wir als Bande bezeichnen“, so der Richter. Bei dem 19-jährigen und dem 21-Jährigen sei umfängliches Diebesgut sichergestellt worden. Die Telefonüberwachung habe für die drei Hauptangeklagten vielfache Verbindungsdaten mit Bezug zu den Tatorten ergeben. Zudem lieferten offene Facebook-Chats Hinweise, sagte der Richter: „Kommissar Zufall spielte ebenfalls eine Rolle.“ Ein paar hundert Einbruchs-Fälle hätten ungelöst bei der Polizei gelegen, immer nach demselben Schema: „Dass man abends bei Einbruch der Dämmerung in Wohnungen einbricht, die man für unbewohnt oder vorübergehend unbewohnt hält.“

Doch dann sei es der Polizei gelungen, zwei Blutspuren und Fingerabdrücke des 21-Jährigen zu identifizieren. „Er war der Schlüssel zum Zugriff auf die Bande“, so Streicher.

An dieser Stelle fing der 21-jährige Angeklagte an, auf Albanisch laut in den Saal zu schreien. Ein Handgemenge mit etlichen Justizwachtmeistern entstand, von denen vier den außer sich geratenen Mann aus dem Saal brachten, gefolgt von zwei weiteren Beamten. Dabei waren die Kommandos zu hören: „Jetzt ist Ruhe! Auf die Knie! Eins, zwei, drei!“ Der Prozess wurde in Anwesenheit von zwölf Justizwachtmeistern fortgesetzt. Der Angeklagte müsse die Urteilsverkündung dann eben in Handschellen verfolgen, sagte der Richter. Der anwesende Dolmetscher weigerte sich nach Prozess-Ende, die Worte des Angeklagten gegenüber Pressevertretern wiederzugeben. Den engen Tatzeitraum und die spezifische Vorgehensweise wertete das Gericht ebenfalls als Beweis für eine Bandenstruktur. Häufig seien die Diebe mit der von der Polizei nachträglich so bezeichneten Methode „Glasstich“ in die Gebäude eingedrungen. Dabei wird mit einem Schraubenzieher oder einem Stein in Griffnähe ein Loch in Fenster oder Glastüren geschlagen, um daraufhin den Griff aufklinken zu können. Eine vergleichbare Einbruchsserie gab es nach Erkenntnissen der Polizei zuvor in Schleswig-Holstein. „Wo das nicht funktionierte, wurde mit roher Gewalt ein Stein in die Häuser hineingeworfen“, sagte der Richter.

Weitere Indizien waren: „Die Angeklagten lebten über ihre Verhältnisse.“ Zudem hätten sie „erhebliche Geldüberweisungen“ nach Albanien getätigt. Für den vierten Mann ließen sich Kontakte zu einem noch flüchtigen Drahtzieher belegen, so der Richter. Zudem sei er in engem Handykontakt zum 22-jährigen Angeklagten gestanden.

Das Netz der Tatorte von Rottenburg über Tübingen bis Kusterdingen, Ammerbuch, Dußlingen, Wannweil oder Betzingen erfordere eine gewisse Logistik sowie Fahrzeuge, sagte der Richter. „Es waren nicht immer nur zwei Täter.“

Das Gericht beurteilte auch die beiden jüngsten Angeklagten nach Erwachsenenstrafrecht. „Es fehlen Schickssalschläge, problematische Familienverhältnisse, geistige oder körperliche Beeinträchtigungen“, so der Richter. „Das wäre auch nicht anders, wenn Realschulabgänger aus Schleswig-Holstein in Baden-Württemberg auf eigenen Füßen stünden und abgelöst vom Elternhaus lebten.“ Dann gelte Erwachsenenrecht.

Verteidiger Thomas Weiskirchner will für den 21-Jährigen Revision gegen das Urteil einlegen.